Die Wahrheit: Die Gallenblase Europas
Willkommen in Luxemburg, einer wahren Wellness-Oase für sparsame Superreiche und steuergeizige Weltkonzerne.
Luxemburg heißt Luxemburg, nicht Schlichtemburg oder Bescheidemburg, nicht Gütigemburg oder Fairemburg. Von daher hätte die Verblüffung darüber, dass das pieselige Nest am Rande der Ardennen seine Existenzberechtigung ausschließlich seinem Status als Wellness-Oase für sparsame Superreiche und steuergeizige Weltkonzerne verdankt, ruhig etwas geringer ausfallen können. Das Luxuriöse samt Prunk, Protz und Prahlerei ist dem lächerlichen Zwergstaat, der natürlich nicht einfach nur ein Herzogtum sein kann, sondern gleich ein Großherzogtum sein muss, ausdrücklich eingepreist.
Jeder weiß zum Beispiel, dass Luxemburg ein Radio hat, aus dem durch unkontrollierte Zellwucherung eines Tages der Fernsehsender RTL wurde. Dessen Programm griff vor 30 Jahren auch auf Deutschland über. Seither steht „Radio Télévision Luxembourg“ für feinstes Oberschichtenfernsehen, das seine betuchte Klientel mit maßgeschneiderten Sendungen wie „Wer wird Millionär?“, „Exclusiv“ oder „Raus aus den Schulden“ verwöhnt. Auch hier wäre also längst Misstrauen angebracht gewesen.
Mit etwas über einer halben Million Einwohner ist Luxemburg lediglich so groß wie Essen, Leipzig oder Bremen, verfügt aber nicht nur über ein cooleres Nachtleben, sondern auch über hundertmal so viele Briefkästen wie alle drei Städte zusammen. Ganze Viertel in Luxemburgs Hauptstadt, die mit viel Sinn für Großzügigkeit ebenfalls mit dem Markennamen bedacht wurde, bestehen aus nichts anderem als Briefkästen – überraschend viele von ihnen übrigens Designermodelle der Edelmarken Keilbach und Blomus.
Die langbeinigen und juwelenbehangenen Briefkastentanten, die darin wohnen, haben ein entsprechend offenes Schlitzohr für Kummer und Sorgen aller Art, solange sie nur fiskalischer Natur sind. Ihre exquisiten Fähigkeiten gehen jedoch über das rein Steuerberaterische hinaus. Allseits gelobt wird insbesondere ihre verschwenderische Kreativität beim Ausdenken von ausgeflippten Namen für die Schildchen auf den Kästen, zum Beispiel „Global Opportunities XYZ“, „PC Property Corp.“ oder „Amazon Media EU S.à.r.l.“.
In stürmischen Börsennächten kann man die vielen hunderttausend Briefkastendeckel bis ins Saarland hinein klappern hören. Es verwundert deshalb schon ein bisschen, dass die vielen tausend EU-Beamten in Luxemburg, die immerhin in Institutionen wie dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Rechnungshof oder der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität beschäftigt sind, überhaupt nichts davon mitgekriegt haben, dass das Geschäftsmodell ihres Lebensmittelpunkts auf Steuerbetrug und Reichenbegünstigung fußt.
Kasematten aus dem 17. Jahrhundert
Aber Geld riecht eben nicht, jedenfalls nicht schlecht. Anders als die konkurrierende Geldwaschanlage Liechtenstein hat sich das schlaue Luxemburg zur Tarnung immer noch ein wenig Schwerindustrie geleistet, deren Rauch die Sinne vernebelt und jeden Verdacht zerstreut. Wirkungsvoll dürfte auch die Schreckensherrschaft gewesen sein, die Jean-Claude Juncker in seinen achtzehn Jahren als mausgrauer Despot errichtete: Wer irgendwelche Fragen stellte, wurde auf sein Geheiß hin gnadenlos wegbefördert oder unter unanständig hohen Zulagen begraben.
So konnten die Mitarbeiter der EU am Ende gar nicht anders, als die abenteuerlichen Finanzkonstruktionen zu ignorieren, die in den Himmel wuchsen wie die Skyline des Luxemburger Bankenviertels. Sie sahen die berühmten Kasematten aus dem 17. Jahrhundert einfach nicht, in denen Gerüchten zufolge das internationale Schwarzgeld gebunkert wird. Und sie interessierten sich nicht für den hohen Steuerbeamten Marius Kohl, der über zwanzig Jahre lang die Großanleger aus dem Ausland beriet. Ein Herr Kohl, der mit dubiosen Geldtransaktionen befasst ist – warum hätte da jemand aufmerksam werden sollen?!
Freisprechen muss man die EU-Beamten allerdings noch aus einem anderen Grund: Gerade in diesen Zeiten darf man den Gegnern Europas nicht in die Hände spielen. Bei allen Fehlern, die sie haben mögen, sind die EU-Behörden letztlich das Herz Europas, das dafür sorgt, dass das Blut fließt und der Kreislauf in Schwung bleibt.
Doch was weiß das Herz schon von den anderen Organen? Will es über sie und ihre teilweise unappetitlichen inneren Vorgänge überhaupt etwas wissen? Die Gallenblase zum Beispiel stellt die bittere Galle zur Verfügung, die zur Fettverdauung im Darm benötigt wird und das Fett in verdauliche Tröpfchen zersetzt. Insofern wäre Luxemburg also möglicherweise die Gallenblase Europas.
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