Die Wahrheit: Unter Fremden
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die Leserschaft an einem Poem über Menschen, die in einen hineinsehen, erfreuen.
Unter Fremden
Fremde Menschen schauen in deine Wiege
und verkünden, du seist eindeutig zu dünn.
Fremde Menschen schauen in deinen Ranzen
und beanstanden die Unordnung darin.
Fremde Menschen schauen in deinen Koffer
und durchwühlen deinen Reiseproviant.
Fremde Menschen schauen dir in die Nase
und vermissen dort die Nasenscheidewand.
Fremde Menschen schauen dir in die Ohren
und verordnen dir ein teures Hörgerät.
Fremde Menschen schauen dir in die Augen
und empfehlen dir die Fatburner-Diät.
Fremde Menschen schauen dir in den Mund
und erblicken schwarze Konkremente.
Fremde Menschen schauen dir in den Bauch
und erzählen dir was von der Riester-Rente.
Fremde Menschen schauen dir in den After
und ertasten ein bedrohliches Geschwür.
Fremde Menschen schauen dir in den Zipfel
und verlangen auch noch gutes Geld dafür.
Fremde Menschen schauen dir ins Herz
und erkennen einen unverwundenen Schmerz.
Fremde Menschen schauen in deine Seele,
und sie fragen dich, wo es denn fehle.
Und nach dieser Zeit, die Gott dir gab,
Schauen fremde Menschen in dein Grab.
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