Die Wahrheit: Plaudern mit dem Mob
Früher wollte die Regierung mit Demonstranten nicht sprechen. Jetzt meinen populistische Politiker, den Pegida-Pöbel „ernstnehmen“ zu müssen.
I m Herbst des Jahres 1981 begab es sich, dass die Friedensbewegung zu einer Demonstration in den Bonner Hofgarten rief. Ich, 16-jährig, folgte. Im Bus nach NRW wurden schlimme Lieder von Hannes Wader und BAP gesungen, die zusammen mit meiner mich damals in jedem motorisierten Fahrzeug überfallenden Reiseübelkeit dazu führten, dass ich auf der Höhe von Dortmund in den vom Busfahrer bereitgehaltenen Plastikeimer göbeln musste.
Als ich in Bonn bleich aus dem Bus taumelte, waren schon circa 300.000 andere Leute da. Zwei Jahre später demonstrierten in ganz Deutschland sogar 1,3 Millionen gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen. Die Atomsprengköpfe kamen trotzdem.
Damals interessierte es die Regierung einen Dreck, ob Hunderttausende oder Millionen gegen Raketen oder AKWs demonstrierten. Das nicht ganz von der Hand zu weisende Argument war, dass die Mehrheit bei Wahlen weiterhin den Parteien ihre Stimme gab, die für die Nachrüstung und für Atomkraft waren. Wenn der Rest sich trotzdem einen Wolf demonstrieren wolle, sei das sein Problem.
Jetzt aber sieht es anders aus. Jetzt demonstrieren in Dresden wöchentlich ein paar Zehntausend Vollhonks – im Vergleich zu damals also nur eine Handvoll – gegen – sagen wir, wie es ist – Ausländer und Muslime. Und trotz relativ klarer Kanzlerinnenworte arbeiten Teile der Union, der Rest-FDP und auch Sigmar Gabriel an einer Strategie, um die paar „Pegida“-Stimmen nicht den Rechtsträgern der AfD zu überlassen. Es sei wichtig, die „Sorgen und Ängste“ der Menschen ernst zu nehmen, heißt es.
Und da erinnert man sich: Stimmt, die großen Friedensdemos wurden zwar ignoriert, aber zehn Jahre später gab die Politik doch verdächtig bereitwillig einem vermeintlichen Druck der Straße nach: 1991/92 – als die Asylbewerberheime brannten und Menschen durch die Straßen gejagt, verprügelt und ermordet wurden. Der Pöbel, auch damals schon „ganz normale Leute“, stand daneben und klatschte Beifall. In friedlicher Eintracht mit dem emblematischen Hitlergrüßer und seiner vollgepissten Jogginghose.
Die Polizei schaute zu oft nur zu, nicht fähig oder willens einzugreifen. Und das, obwohl hier keine Millionen, ja noch nicht mal Zehntausende auf der Straße waren. Die Politik knickte vor der Gewalt weniger und dem wohlwollenden Nicken einiger ein und billigte den Rassisten eine berechtigte Angst vor „Überfremdung“ zu. Dann änderte sie die Verfassung und schaffte damit das Asylrecht, so wie es im Grundgesetz gemeint war, ab.
Nun mag man einwenden, dass die Pegidisten montags keine Häuser anzünden. Richtig. Aber bei den Demos spielen Nazis eine nicht zu unterschätzende Rolle. Von der Mehrheit wird das allerdings nicht als Problem empfunden. Ein „Ernstnehmen“ dieser Leute ist auch ein Signal an denjenigen Teil Deutschlands, der ausländische Wurzeln hat. Das sind übrigens mehr als die gerademal zehn-, zwanzig- oder meinetwegen vierzigtausend in Dresden. Komischerweise sind die den populistischen Politikern egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen