Die Wahrheit: Definitiv mit das Beste!
Steigerungen um Steigerungen pflastern der Rede Weg. Der Allergiker reagiert dabei schon auf total winzige Dosen. Eine Sprachkritik.
Wer eine Allergie hat, reagiert auf Substanzen, die Gesunden nicht schaden und von ihnen nicht einmal bemerkt werden. Es gibt analog dazu sprachliche Allergien.
Hoeneß, schreibt Christoph Bausenwein in seiner Biografie des Fußballspielers, Vereinsmanagers und Steuerkriminellen, hatte als „Würstchen-Millionär finanziell ausgesorgt und konnte im Dienst des FC Bayern völlig frei und ohne alle finanziellen Hintergedanken agieren. Und er blieb stets dankbar für das große Glück, das ihm die Würstchen beschert hatten.“ Scheinbar normale Sätze also – doch der Allergiker reagiert auf winzige Dosen: Warum „völlig“ frei, warum ohne „alle“ finanziellen Hintergedanken, und war Hoeneß wirklich „stets“ dankbar?
Zum Ausbruch kam die Erkrankung Ihres stets völlig beliebten Sprachkritikers schon 1991, als Joseph von Westphalens Roman „Im diplomatischen Dienst“ erschien. Der Ich-Erzähler kennt die „einzige Person“ (statt: eine), der man etwas anvertrauen konnte, bemängelt, dass in Heiratsanzeigen manche Wünsche „nie“ (statt: nicht) ausgedrückt werden, und folgert, dass die Heiratswilligen wohl „nie“ danach verlangten; sodann dünkt ihn etwas nicht schön, sondern er hält es gleich für „das Schönste“, findet etwas nicht bloß wahr, sondern „einzig wahr“, und stuft ein Vorkommnis nicht bloß als erfreulich ein, sondern zählt es sofort „zu den erfreulichsten Augenblicken“ – das alles in einem Absatz, ja in einem einzigen Absatz, in dem sich selbstverständlich auch die Wörtchen „selbstverständlich“ und „natürlich“ tummeln und die den Stil eines Autors prägen, dessen Alter Ego im Roman natürlich als Student in der „verwegensten Wohngemeinschaft von Frankfurt“ lebte und für den, nur noch ein Beispiel, ja ein einziges!, der Maler der Sanella-Margarine-Sammelbilder ein „tausendmal größerer Künstler“ ist als manch anerkannter Maler. Er selbst ist aber bloß ein tausendmal größerer Prahlhans.
Nun ist der einzige Joseph von Westphalen natürlich von gestern – heute ist es selbstredend Eugen Ruge, der in einem tausendmal aktuelleren Interview mit der taz bekennt: „Manchmal denke ich: Alles Quatsch, was du hier machst … Schreiben ist ein krisenhafter Prozess. Nicht, dass man sich jedes Mal umbringen will, aber es droht immer alles einzustürzen.“
Absolut okay
Es wäre selbstverständlich falsch, immer alles jedes Mal auf die Goldwaage zu legen, obwohl es natürlich megaviel Spaß macht. Eine Sage ist keine Schreibe. In mündlicher Rede ist es, wenn nicht „absolut okay“, so doch „total“ alltäglich, das Wasser „ultimativ“ bei 30 Grad kochen zu lassen. Da wimmelt es „extrem“ von Superlativen und Elativen (also Steigerungen mittels Adverbien wie „definitiv“ oder „ultra“modernen Vorsilben) sowie geistesverwandten Übertreibungen und Verabsolutierungen.
Ob etwas „absolut genial“ (NDR 4) ist oder nur „genial“ oder in Wahrheit nicht einmal das, ist garantiert hundertprozentig egal; es bei der Wortwahl genau zu nehmen, wäre selbstverständlich Beckmesserei und „geht wirklich absolut gar nicht‘“ (so die Sprecherin der Grünen Jugend im Juli 2014), denn „absolut gar nicht“ oder „gar nicht“ brächte nicht, Quatsch: wirklich absolut gar nicht, zum topexpressiven Ausdruck, was sie meint.
Selbst die Göttinger Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel entledigte sich einmal zur vollsten Zufriedenheit der protestierenden Studenten ihres elaborierten Codes: „Wir als Uni verstehen ihr Anliegen supergut.“
Es ist superklar, dass die Bedeutung der Wörter durch häufigen Gebrauch (scheinbar?) verblasst. Dann muss das Event zum Topevent, die Sensation zur Riesensensation, der Star zum Superstar, ja absoluten Weltstar hochgejazzt und ein Talent zum Ausnahmetalent, ja „absoluten Ausnahmetalent“ hochgejubelt werden wie vor Jahren der Brasilianer Renato Augusto, von dem man freilich nach seiner Verpflichtung durch den Fußballbundesligisten Bayer Leverkusen nur gelegentlich absolute Superleistungen gesehen hat.
Hochgedrehter Superlativ
Etwas älter ist die schon von Kurt Tucholsky glossierte Adjektivmethode, den Positiv zum Superlativ hochzudrehen und diesen, der eine Lüge sein könnte, durch ein „mit“ oder „vielleicht“ einzuschränken, sodass Michel Houellebecq nicht mehr bloß ein großer französischer Gegenwartsautor ist, sondern vielleicht der größte oder mit der größte.
Tucholsky zufolge hat Nietzsche diesen „snobistischen Superlativ“ erfunden. Heute tritt er vielleicht mit am meisten in der Form auf, wie ihn die „Tagesschau“ benutzte, als sie verlautbarte, der Georg-Büchner-Preisträger Jürgen Becker sei „einer der überragendsten Lyriker der Gegenwart“. Man stößt auf jenen Superlativ natürlich selbstverständlich auch in einem Fußballbuch, in dem „eines der prägendsten Bilder während der Weltmeisterschaft 2014“ gerühmt wird – „das Bild des Jogi Löw im strömenden Regen von Recife“ nach dem Spiel gegen die USA. Erinnert sich irgendjemand daran?
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