Die Türkei nach dem Anschlag: Ein Land in Trauer
In vielen türkischen Städten gibt es Trauerfeiern. Die Ermittlungen konzentrieren sich derzeit auf eine IS-Gruppe in Ostanatolien.
Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu reiste nach Malatya, um den Angehörigen persönlich sein Beileid auszusprechen. Keiner der getöteten jungen Leute war älter als 22 Jahre.
Auch in vielen anderen Städten der Türkei fanden große Trauerfeiern statt. In Izmir, der Metropole an der Ägäis, gab es im Anschluss an die Beerdigung eine Trauerdemonstration, zu der sich Tausende Protestierende zusammenfanden. An vielen Universitäten blockierten die Studenten die Vorlesungen. Die linken Gewerkschaften hatten zu Solidaritätsstreiks aufgerufen.
Die Hintermänner der beiden Selbstmordattentäter, die am Samstagmorgen das Massaker am Bahnhofsplatz in Ankara angerichtet hatten, sind weiterhin noch nicht identifiziert worden. Allerdings verdichten sich wohl die Indizien, die zur Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) führen. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu bestätigte das in einem Interview im Nachrichtenkanal NTV am Montagmorgen, wollte allerdings einen anderen Hintergrund nicht definitiv ausschließen.
Die Ermittlungen der Polizei konzentrieren sich nach Medienangaben auf eine seit Langem bekannte IS-Gruppe in der ostanatolischen Stadt Adıyaman. Aus dieser Gruppe stammte auch der Selbstmordattentäter von Suruç, sein älterer Bruder gehört nun zu den Hauptverdächtigen. Insgesamt nahm die Polizei bis Sonntagabend 43 Verdächtige aus dem Umfeld des IS fest.
Versäumnisse beim Geheimdienst
Da diese IS-Gruppe seit Langem polizeibekannt ist, wird die Kritik an den Sicherheitsbehörden nun immer lauter. Nicht mehr nur Betroffene, wie etwa die kurdisch-linke HDP, auch unabhängige Terrorismusexperten prangern die mangelhafte Arbeit des Geheimdienstes an. Selbst der frühere stellvertretende Chef des Geheimdienstes MIT, Cevat Önes, sprach im Fernsehen von erheblichen Versäumnissen.
Entsprechend mehren sich die Rücktrittsforderungen an Innenminister Selami Altınok. Hatte dieser unmittelbar nach dem Anschlag noch behauptet, die Sicherheitsbehörden hätten alles richtig gemacht, will er nun Lehren aus dem Attentat ziehen. Die Anwaltskammer von Ankara hat bereits Strafanzeige gegen Altınok wegen Verletzung seiner Dienstpflicht erstattet.
Waffenstillstand ist nicht in Sicht
Die Hoffnung, der Schock des Terroranschlages möge bei allen politisch Verantwortlichen zu einem Innehalten und einer Neubewertung der bisherigen Positionen führen, hat sich drei Tage später schon weitgehend als Illusion herausgestellt.
Der Kovorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, hat zwar vor Racheakten gewarnt, doch ein Waffenstillstand zwischen der Armee und der kurdischen Guerilla PKK ist weiterhin nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Kämpfe in den kurdisch bewohnten Teilen der Türkei gehen mit unverminderter Härte weiter.
Noch am Sonntag hatte die Luftwaffe angebliche Stellungen der PKK im Nordirak bombardiert, am Montag wurden angebliche Verstecke der PKK in der Provinz Hakkari angegriffen und nach Militärangaben etliche PKK-Kämpfer getötet, obwohl die PKK angeboten hatte, ihre Angriffe einzustellen, wenn sie selbst nicht angegriffen würde.
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