piwik no script img

Die Stadt im FlussAutos zu Kuchenblechen

Der „Autofreie StadTraum“ zog gestern Zehntausende in die Neustadt. Und morgen? Da soll das Budget für Radwege auf eine Million Euro aufgestockt werden.

Die Fahrradtour aus Auto-Perspektive - inklusive Gitarren-Beschallung von der Autobahnbrücke. Bild: Bleyl

BREMEN taz | Rund 50.000 Menschen kamen gestern zum „autofreien StadTraum“ rund um den Neustädter Leibnizplatz. Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne) zufolge sollte hier der Blick für die Stadt geöffnet werden – und dafür, wie sie genutzt werden kann, wenn Autos mal draußen bleiben.

Bei der großen Hochstraßen-Tour als Auftakt, an der etwa 4.000 RadlerInnen teilnahmen, zeigte sich, dass Bremen mittlerweile eine solide Autofrei-Routine besitzt. Immerhin ist es schon die vierte Aktion dieser Art und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) als Tourveranstalter kann zahlreiche HelferInnen motivieren. Während sich die ADFC-Aktivisten in früheren Jahren an heiklen Absperrungspunkten noch mutterseelenallein dem Zorn der blockierten Autofahrer stellen mussten, ist die Polizei inzwischen sehr kollegial präsent.

Über die B 6 ging es hinüber zur rechten Weserseite und hinunter zum Rembertikreisel, der zur großen Belohnungs-Schleife wurde: Erstmals bekam man als Teilnehmer einen Überblick auf das beeindruckende Ausmaß der Radkarawane. Denn während die Ersten schon um den Kreisel herum waren und auf die Hochstraße zurückfuhren, kamen ihnen auf der anderen Straßenseite noch endlos Mitradler entgegen.

Das Gefühl ist gut: Wir sind viele. Von der Hochstraße dann ein letzter Blick auf den Bahnhof samt Vorplatz, der im kommenden Jahr bereits von einem doppelten Hotel- und Büroturm verstellt sein wird – wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

Via A 281 wird die 20 Kilometer lange Tour nun zur Landpartie auf der Autobahn, immer weiter hinaus bis zur Ausfahrt Strom – wo sich die Kette des taz-Fahrrades unlösbar zwischen Speichen und Ritzel verkeilt. Und der Redakteur, der gerade noch den Punk-Song „Autos sind Arschlöcher“ vor sich hin summte, ist ausgesprochen froh über einen stinkenden Diesel – den LKW des Recyclinghofs Findorff, der als „Lumpensammler“ am Ende der Karawane fährt und die Havaristen aufnimmt.

Auf dem Leibnizplatz als Zielpunkt wird die Vision wahr, die ein Radler auf seinen Hänger geschrieben hat: „Autos zu Kuchenblechen!“ Der sonst verkehrsumtoste Platz ist ein riesiges Festgelände samt großer Gemeinschaftsküche und Riesenrad – neben dem die CDU mit einem Transparent für „Wohnraumförderung statt autofreiem StadTraum“ demonstriert. Sie wirft dem grünen Verkehrssenator nicht nur „Wahlkampf“ auf Staatskosten vor, sondern hält auch den Aufwand von immerhin 100.000 Euro für den autofreien Tag für zu hoch – die unter anderem für Absperrung samt entsprechendem Personal ausgegeben werden.

Nun könnte man das Absperrungsproblem elegant lösen, in dem man zu den bundesweiten autofreien Sonntagen der siebziger Jahre zurückkehrte. Andererseits: Wenn das halbe Viertel inklusive Osterdeich zig Mal pro Jahr für die Werder-Heimspiele abgesperrt werden kann – warum soll das dann nicht auch bei einem jährlichen autofreien Sonntag eine allseits akzeptierte Selbstverständlichkeit sein?

Dass es im Zweifelsfall auch ohne jede logistische Rahmensetzung geht, zeigt im übrigen der Blick nach Hamburg: Dort gibt es mehrmals im Jahr unangemeldete Fahrrad-Pulkfahrten mit mehreren tausend Teilnehmern, die eine erst allmählich bekannt werdende Nische in der Straßenverkehrsordnung nutzen: Ab 16 Teilnehmern darf mehrreihig auf der Straße geradelt werden, unter Ausnutzung der gesamten Fahrspur. In Bremen wird das seit gut einem Jahr ebenfalls versucht, allerdings kommen hier bislang nur um die 80 Radler zusammen. Termin ist jeder letzter Freitag im Monat, die wechselnden Abfahrtsorte sind im Netz unter www.criticalmass-bremen.de zu finden.

Neben der mobilen Rückeroberung der Straßen bleibt freilich die stationäre Raumnahme spannend: Den Leibnizplatz erfüllte mit fast hundert Ständen die Atmosphäre eines riesigen Straßenfestes. Mit dabei: Initiativen und Parteien, Läden und Würstchenverkäufer. Da wurde für europaweit Tempo 30 und den ADFC geworben, für Ökoinitiativen jeder Art, E-Bikes und auch der anliegende Fitnessclub präsentierte öffentlich die Lust an der Bewegung.

Zwischendurch gab es vor der Schule am Leibnizplatz auch Politisches: Der Verkehrssenator stand da im sportlichen Dress und bekannte sich zu fahrradfreundlichen Initiativen. In Bremen würden rund 25 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt, doch die vorhandene Infrastruktur erreiche für dieses hohe Aufkommen an einigen Stellen ihre Grenzen. Auch die überdurchschnittlich hohe Zahl von Verkehrsunfällen in Bremen – wie kürzlich an der Kaisen-Brücke – ist für Lohse „nicht hinnehmbar“.

„Es ist an der Zeit, die Karten neu zu verteilen“, sagt Lohse – die Aufteilung der Verkehrsräume müsse an bestimmten Stellen verändert werden. Das Budget für Radwege will er bis 2015 um 350.000 Euro auf eine Million Euro aufstocken. Zudem würden weitere Fahrradstraßen eingerichtet, Stellplätze geschaffen und Wegeführungen über Kreuzungen deutlicher markiert.

Europaweit nahmen 1.600 Städte an der gestern zu Ende gegangenen „Europäischen Woche der Mobilität“ teil, übrigens auch CDU- und sonstwie konservativ regierte. Im August setzte der neue linke Bürgermeister von Rom sogar durch, die historische Prachtstraße am Kolosseum von Autos zu befreien. In Bremen hingegen scheiterte schon in den 1980er Jahren das Projekt, den Ostertorsteinweg autofrei zu bekommen – ebenso die Idee einer autofreien Siedlung. Die diesbezüglich weitgehendsten Pläne hat derzeit Saudi-Arabien: Am Rand der Hauptstadt wird eine autofreie Ökostadt für immerhin 40.000 Menschen errichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • Wenn dieses kurzfristige Vergnügen tatsächlich 100.000 Euro gekostet hat, sollten ein paar GeldverschwenderInnen ihre Mütze nehmen - und das schnell!!!

     

    Ein "Haushaltsnotlageland" hat kein Geld für Aidsberatung, Kindergärten, Uni und Schulen, stellt aber 100.000 Euro für so ein grünes Wahlkampfstrohfeuer zur Verfügung?

     

    Wann endlich jagen die Bremer ihre Plage mit Schimpf und Schande vom Hof???

    • N
      neubremer
      @Thomas Elias:

      Kaum wird eine Euro-Summe genannt, kommt der Kindergarten-Kommentar.