Die Show der Politiker: Floskel des Tages
Kurt Beck gibt sich "perplex", weil er bei Angela Merkel durch einen "Wortbruch" enttäuscht worden sein will? Billiges Theater! Man kann es auch einfach "Politik" nennen.
Das war die Floskel des Tages: Als nämlich Kurt Beck Kanzlerin Angela Merkel "Wortbruch" vorwarf, nachdem am Ende der Koalitionsrunde der Mindestlohn für Postboten nicht gemeinsam verabredet wurde. Zuvor hatte Arbeitsminister Franz Müntefering, ehe die Meldungen über dessen bevorstehenden Rücktritt die Nachrichtensendungen zu füllen begannen, empört ausgerufen: Er sei von Merkel enttäuscht, denn eigentlich sei doch gewiss gewesen, dass dieser politische Wunsch der SPD bedient würde. Und nun das, so Müntefering, er habe Merkel "immer ganz und gar anders verstanden".
Dem Machterhalt dienen
In Wahrheit ist der Umstand des sogenannten Wortbruchs ein Kernelement politischen Tuns, ein Stein in den Waagschalen des Aushandelns. Die eine Seite wünscht dieses, die andere jenes - und sagen dies öffentlich, um sich der öffentlichen Anteilnahme zu vergewissern. Aber wenn beide Seiten voneinander abhängig sind, die Macht also teilen müssen, muss ein Kompromiss gefunden werden.
Aus Sicht der Union mag dies so gedeutet werden: Nur weil Müntefering und Beck ihrer Kundschaft zuvor den Mindestlohn als quasi beschlossen verkauft haben, muss dieses "quasi" noch nichts bedeuten. Der inzwischen indisponierte Arbeitsminister gibt es sogar zu, wenn er sagt, dass er die Kanzlerin "ganz und gar anders verstanden" habe, also gedeutet, interpretiert - eine Fehlanalyse, die nur jenem unterläuft, der es hätte besser wissen können.
Denn Verhandlungen um nur gemeinsam zu Erreichendes haben immer Wortbrüche zur Voraussetzungen wie zur Folge. Wer mit einem dealt, lässt Federn - und kriegt nicht alles, immerhin aber etwas durch. So wie vor zwei Jahren beim Antidiskriminierungsgesetz. Der schmutzige Handel, wie es ein SPD-Bundestagsabgeordneter formuliert, lief so: Die Schwarzen kriegen was für die Bauern, die Roten für die Homos. Dass in dieser Perspektive alle Theorie, der zufolge Politik den Grundsätzen der Vernunft sich unterwerfen müsse, zerbröselt wirkt, ist ohnehin klar. Grau ist alle Theorie, meinen manche, Fußballtrainer sagen, "gespielt wird aufm Platz", und vom ersten bundesdeutschen Kanzler Konrad Adenauer ist die Wendung überliefert, "was kümmert mich mein Geschwätz von gestern". Er wollte damit sagen: Prinzipien sind nichts fürs wahre Leben, nur Krümelcharaktere werden irre an einer Welt und ihren Worten, die sie sich auf ewig bruchlos vorstellen möchten.
Tatsächlich waren Beck wie Müntefering ihren Adressaten gegenüber verpflichtet, das nicht erreichte Ziel zu erläutern. Hätten sie etwa sagen sollen: Die Dealerei lief anders, und wir hatten anderes im Sinn, weil das mit dem Mindestlohn aktuell uns nicht das Wichtigste ist?
Eben, so spricht man nicht in der politischen Arena, so organisiert man keine Zustimmung für das Eigene, obwohl nicht alles zu erzielen gelang. Politik ist, in ihrer zivilisierten Form, kein diktatorisches Geschäft, sondern immer ein großer Basar, auf dem die Hände immer schmutzig werden. Die übelsten Politiker sind dieser Logik nach jene, die so tun, als hätten sie immer saubere Griffel behalten - was nur die Deutung nahelegt, dass man keine Lust hatte, mit ihnen zu verhandeln. Rein bleibt nur, was nicht dem Leben ausgesetzt war.
Routinierte Vorwürfe
Die Union, ein simpler Google-Klick, den Begriff "Wortbruch" suchend, beweist das, redet auch ununterbrochen von "Wortbruch", den sie der Sozialdemokratie vorwerfen. Mit nachgerade beiläufigster Routine im Übrigen. Namen hier zu nennen, wäre reine Platzverschwendung: Alle üben sich in Wortbruchkritik, wirken in ihren Statements empört, aufgeschäumt, entsetzt.
Es klingt immer, als würden sie niemals wieder auch nur eine Silbe miteinander wechseln. Alles Show doch nur, nichts als einmal gutes, dann wieder eher ermüdendes Theater. Hinter den Kulissen reden sie doch längst wieder miteinander - allein schon, um weiterzuverhandeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!