Die SPD und Sarrazin: "Wir sollten uns trennen"
Die SPD hat ein Ausländerproblem: Überholte Forderungen, keinen Özdemir, keine Özkan, aber einen Sarrazin. Man ist empört - aber auch hilflos.
Die SPD hat ein Problem mit älteren Herren. Der frühere Superminister Wolfgang Clement (70) ist nach zähem Parteiausschlussverfahren selbst gegangen und wirbt nun für die FDP. Der ehemalige Innenminister Otto Schily (77) unterstützt eine Anzeigenkampagne der Atomlobby, die SPD-Chef Gabriel für "beispiellose Propaganda" hält. Aber diese Ausfälle sind harmlos im Vergleich zu dem, was Thilo Sarrazin (65) mit seinem publizistischen Feldzug gegen die Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland anrichtet. Angela Merkel hat ihm widersprochen, der Zentralrat der Juden empfiehlt ihm den Eintritt in die NPD. Von der CDU bis zur Linkspartei ist man entsetzt über den Biologismus des Bundesbankers und früheren Berliner Finanzsenators.
Entsetzt ist man auch in der SPD. So attestiert der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, Sarrazin im Gespräch mit der taz "eine billige Form von Stammtischpolitik mit Brandstifterqualität" und meint: "Wir sollten uns trennen." Auch Kenan Kolat, hauptberuflich Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, will einen sofortigen Parteiausschluss. "Das ist ein neuer intellektuellen Rassismus", meint er. Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Ralf Stegner schließlich glaubt, "dass für diese zutiefst menschenverachtende Haltung kein Platz in der SPD" sei.
Die Empörung ist echt. Aber hilflos. Die Parteiführung scheut ein langwieriges Ausschlussverfahren, bei dem unklar ist, wie es ausgeht. Im März ist der Versuch, Sarrazin administrativ zu entsorgen, schon einmal gescheitert. Damals hatte Sarrazin über "kleine Kopftuchmädchen" und unfähige Türken und Araber hergezogen. Doch für einen Ausschlussverfahren (siehe Kasten) reichte es nicht. Auch das neue Buch "Deutschland schafft sich ab" liefere, so die skeptische Einschätzung der Parteispitze, nicht genug Stoff für einen Ausschluss.
Gründe: Laut der SPD-Satzung ist ein Ausschluss möglich, "wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen hat und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist". Darunter fällt auch, "wer beharrlich Beschlüssen des Parteitages oder der Parteiorganisation zuwiderhandelt", so heißt es in der Satzung.
Verfahren: Der Vorstand jedes Orts- oder Landesverbandes kann den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin beantragen. Zunächst entscheidet das Schiedsgericht des Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, danach die Berliner Landesschiedskommission. Hier würden wieder dieselben Personen über Sarrazin urteilen, die bereits im März 2010 seinen Ausschluss ablehnten, weil sie keinen Rassismus in seinen Äußerungen erkennen konnten. Im Fall eines Ausschlusses hätte Sarrazin auch noch die Bundesschiedskommission in dritter und letzter Instanz anrufen können. (hei)
Von allein aber wird Sarrazin nicht gehen. Denn so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommt er nur, weil er als Sozialdemokrat und Bundesbanker auftreten kann. Für die SPD ist das keine schöne Aussicht. Sie hat ein Problem, das bleibt.
Und das Fragen nach sich zieht. Etwa: Warum ist jemand wie Sarrazin eigentlich in der SPD? Was sagt es über die Sozialdemokraten, dass Sarrazin dort lange in der Rolle des Mahners akzeptiert war, der zwar etwas schrill formuliert, aber mutig zur Sprache bringt, was viele nur denken? Denn so einhellig wie jetzt war die Ablehnung des früheren Finanzsenator keineswegs immer. So befand Gabriel noch vor einem Dreivierteljahr in der taz, dass die durch Sarrazin in Gang gekommene Debatte über Migration "in die SPD gehört".
Das Verhältnis zwischen Migranten und SPD ist schon seit Längerem kühl. Bei den Parteitagen in den Jahren 2007 und 2009 wählten die Delegierten jeweils eine rund 50-köpfige Parteiführung, der kein einziger Migrant angehörte. Den meisten Genossen fiel nicht mal auf, dass dies problematisch sein könnte.
Zwar fordert die SPD routinemäßig bessere Aufstiegschancen für Migranten, doch in der Partei sind deren Chancen gleich null. Es ist kein Zufall, dass es keinen sozialdemokratischen Cem Özdemir gibt, der bei den Grünen Parteichef ist. Und dass Sarrazin eine so große Rolle in der SPD spielt, Migranten darin aber keine spielen.
Die SPD ist mental in den 80er Jahren stecken geblieben, als die Fronten noch klar schienen. Damals waren die SPDler die Guten, die fürs kommunale Ausländerwahlrecht eintraten, die Christdemokraten waren die Engstirnigen, die leugneten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Doch seitdem hat sich vieles geändert. Die CDU hat sich modernisiert. Sie hat den Integrationsgipfel und die Islamkonferenz einberufen, in Nordrhein-Westfalen wurde mit Armin Laschet der ersten Integrationsminister der Republik und in Niedersachsen mit Aygül Özkan die erste türkischstämmige Landesministerin eingesetzt. Beide sind CDU-Mitglieder. Die SPD hingegen ist im Jahr 2010 noch immer für das kommunale Ausländerwahlrecht. Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde und langjähriger Sozialdemokrat, sagt: "Solche Vorstöße wie von der CDU hätte ich mir von der SPD gewünscht. Wir haben da Nachholbedarf."
In der Tat. Denn die Ignoranz der SPD gegenüber den Migranten schadet der Partei. Bei der letzten Bundestagswahl wählten nur noch rund 50 Prozent der Deutschtürken SPD, früher waren es mal 70 Prozent. Doch in der SPD glauben viele, sie hätten weiterhin eine Art Gewohnheitsrecht auf die Stimmen der Migranten. "Früher dachten wir, die Deutschtürken würden von selbst bei der SPD landen, aber das ist lange vorbei", hat Dieter Wiefelspütz erkannt.
In ihrem Selbstbild ist die SPD internationalistisch, offen und aufgeklärt. Vor Ort sieht das manchmal anders aus, wie der SPD-Mann Volkan Baran 2008 in Dortmund erfuhr. Als er im Ortsverein Borsigplatz zum Vizevorsitzenden gewählt wurde, gaben drei deutsche Genossen aus Protest ihr Parteibuch zurück. Andere fragten: "Habt ihr keinen Deutschen?" Baran hat seit 14 Jahren einen deutschen Pass.
Eigentlich, sagt er, der viel und schnell redet, "bin ich heute der Gewinner". Nach dem Skandal am Borsigplatz traten ein Dutzend andere aus Solidarität mit ihm in die SPD ein, Baran purzelte die Karriereleiter nach oben und wurde in den Stadtrat gewählt. Offenbar wollte die SPD ein Signal setzen.
Aber es geht nicht nur um ein paar Rassisten, die sich in die SPD verirrt haben. Das Problem ist strukturell. "Die Strukturen der SPD sind nicht offen für Migranten", weiß Baran. Im Klartext: Migranten müssen sich in manchen Ortsvereinen erst mal eine paar Wochen lang rassistische Sprüche anhören, ehe sie akzeptiert werden.
"Wir haben kaum Migranten in Führungspositionen", sagt Baran. Und in der Partei mangele es an Bewusstsein, dass sich dies ändern müsse. In Städten wie Frankfurt, Dortmund oder Duisburg machen die Einwanderer und ihre Nachkommen längst 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung aus. Wenn die SPD sich nicht bald öffnet, wird sie an den Rand gedrängt werden.
Dass viel anders werden muss, weiß auch Dieter Wiefelspütz. "Die deutsche Gesellschaft hat sich massiv verändert", sagt er. "Das bildet sich in unseren Führungsteams nicht ab. Wir bleiben zu sehr unter uns." Auch die Integrationspolitik der SPD ist blass geworden. Rot-Grün, so der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat "mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und der Einführung des Zuwanderungsgesetzes viel geleistet." Dann aber habe man sich "ein wenig zurückgelehnt". So kann man es auch sagen.
Unverbindliche Selbstkritik, dass es der SPD an prominenten Migranten und Ideen in der Integrationspolitik mangelt, hört man in der Partei schon lange. Nur folgt daraus nicht viel. Jedenfalls nichts Vorzeigbares. Hannelore Kraft versuchte in NRW in letzter Minute, nach dem Vorbild der CDU eine Ministerin mit Migrationsbackground ins Kabinett zu holen, handelte sich aber aufgrund der kurzfristigen Anfragen nur Absagen ein.
Kenet Kolat glaubt immerhin, dass die SPD-Spitze endlich begriffen hat, dass sich etwas tun muss. Seit dem Frühjahr leitet er gemeinsam mit Klaus Wowereit die "Zukunftswerkstatt Integration". Zwei Jahre lang will die Partei diskutieren, im November 2011 soll der Parteitag dann ein Papier verabschieden. Eigentlich sollte Kolat Ende 2009 in Dresden in die Parteispitze gewählt werden. Aber nach der verlorenen Bundestagwahl war die SPD-Führung mit Wichtigerem beschäftigt und vergaß ein Detail - nämlich Kolat von dieser Idee zu informieren und die notwendigen Schritte einzuleiten.
Die SPD begreift langsam, dass sie etwas tun muss, um für Migranten attraktiv zu sein. Einfach ist das nicht. Und ein Hindernis sind dabei die Ansichten des Genossen Sarrazin "Wir prüfen", sagt Volkan Baran, "ob wir ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn beantragen". Diese Frage scheint im Moment die halbe SPD zu beschäftigen.
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