■ Bücherfrühling in Leipzig:
: Die Rückkehr der Tränensäcke

Hier schon jetzt die wichtigsten Neuigkeiten vom Leipziger Bücherfrühling 1997, der ganz im Zeichen trotziger Bekenntnisse stand: Ralph Giordano, zuletzt häufig als Frisurdouble für Radovan Karadžić in Film und Fernsehn zu Gast, feierte ein glänzendes literarisches Comeback. „Ich unterschreibe alles“ heißt sein autobiographischer Bericht aus den 90er Jahren, den Lappan im handlichen Gesäßtaschenformat anbietet.

Im Freiburger Nie/nie/sagen Verlag sind lyrische Fragmente von Vera Lengsfeld erschienen: „Es geht eine Träne auf Reisen“. Ihr Kollege Konrad Weiß indes hat seinem angolanischen Freund Jonas Savimbi bei Ullstein/Propyläen ein Denkmal gesetzt: „Blutbad ja, Abtreibung nein“. Auch Rotbuch kann über Mangel an Körperflüssigkeitsprosa nicht klagen; hier lieferte Boxer Axel Schulz mit „Fäuste öffnen Lippen“ ein einfühlsames Debüt ab.

An den Erfolg seiner Predigttextsammlung „Eisige Zeiten“ versuchte Friedrich Schorlemmer anzuknüpfen und schob den Folgeband nach: „Eisige Zeiten II – jetzt noch eisiger“. „15 Prozent mehr soziale Kälte in nur sechs Monaten“, jubelte Verlagssprecher Rolf Winter am Schneekluth-Stand, „Friedrich Schorlemmers Gefühl für Eis ist traumhaft.“ Das sah der Lutherstädter Pfarrer ganz genauso; dreimal täglich demonstrierte er in Leipzig gegen „Edelzyniker und kaltschnäuzige Zeitkritiker ohne Arsch in der Hose“ – besonders schön dabei, daß Schorlemmer trotz der frischen Temperaturen Radlerhosen trug.

Helfried Liebsch vom Neuen Deutschland hat bei Dietz eine Monographie seines Chefredakteurs Reiner Oschmann veröffentlicht: „Oscho, Vento, Letscho – Ein halbkonspiratives Leben“ ist eine klassische Home-Story voller Überraschungen; der ausführliche Fototeil widmet sich vor allem Oschmanns legendärer Breitcordschlipssammlung. Kapitelüberschriften wie „Neuer Wein in alten Schläuchen“, „Milch der frommen Denkungsart“ und „Tea-time to say good-bye“ garantieren eine flüssige Lektüre.

Messeschlager bei Haffmans war „Das große Haffmans Hausbuch der Haffmans-Anekdoten“, herausgegeben von Gerd Haffmans. Man muß dem Zürcher Verleger zu seinem Mut gratulieren: Seine freimütigen Plaudereien setzen neue Maßstäbe in der bekennenden Betrugsliteratur. Dokumentiert werden Briefe, die Haffmans an Autoren und Zeichner wie F.W. Bernstein, Eugen Egner, Eckhard Henscheid, Michael Sowa u.v.a.m. schrieb; Schmeicheleien und Versprechungen wechseln fliegend mit wilden Beschimpfungen. Fast leitmotivisch zieht sich Haffmans bittere Anklage „Ich hab dich groß gemacht, und was ist der Dank?!“ durch die Geständnisse aus der Welt von Pump und Plumpanei. Faksimiles seltener Quittungen runden diesen bibliophilen Leckerbissen ab.

Ebenfalls bei Haffmans ist „Die Pfingstgeschichte“ von Robert Gernhardt erschienen. Wie schon seine Oster- und seine Weihnachtsgeschichte beeindruckt auch Gernhardts neuer Streich vor allem graphisch: Selten sah man Buchstaben so großzügig auf Papier verteilt. Diverse elegant ins Buch gestreute Leerseiten bieten dem Leser darüber hinaus Raum für Notizen und zum Männchenmalen.

Streng autobiographisch angelegt ist „Balsamico“ von Oliver Tolmein. Die bei Elefanten Press erschienene schmale Erzählung schildert Tolmeins Besuch bei der inhaftierten RAF-Frau Irmgard Möller: Der Journalist schenkt der Gefangenen ein Fläschchen Balsamico-Essig, bricht anschließend vor Rührung über sich selbst zusammen und beschließt, ein furchtbarer Jurist zu werden.

Den Sonderpreis für die bestdotierte Lesung der Leipziger Messe teilten sich Christian Graf von Krockow und Reinhold Messner: Beide erhielten für einen Kurzauftritt je 8.000 Mark. In ihrer Doppellaudatio beschwichtigte Margarethe Schreinemakers aufgebrachte, wütende Kollegen, darunter Martin Walser und Bodo Kirchhoff: „Nach Ostpreußen zum Rittergut ist es weit, da hat der Krockow beim Kilometergeld voll hingelangt. Und Messner hat eine Achttausender-Klatsche, darunter kann der gar nicht.“ Zwischenruf Walter Jens: „Ich auch! Ich auch!“ Jetzt muß der deutsche PEN-Club schlichten.

Franz Beckenbauer dagegen zog es in diesem Frühjahr fort vom Profanen: „Ich habe gerade ,Sofies Welt‘ gelesen, diesen dicken philosophischen Schinken“, bekannte er in der Bild-Zeitung. „Sokrates, Aristoteles, Platon und diese Leute haben sich vor zweitausend Jahren Gedanken gemacht, da sind wir noch auf den Bäumen gesessen und haben uns vor den Wildschweinen gefürchtet.“ Damit sich das auch nicht ändert, hat Beckenbauer schnell selbst ein Buch geschrieben: „Vom Ich zum Wir – Mein Leben mit Robert Schwan“, laut Beckenbauer „etwas Existentialistisches – Sartre, Camus, die Schiene“. Im Vorwort lobt Beckenbauers Freund und Wegbereiter Wolfgang Schäuble: „Mit einem Rolli ist man immer gut angezogen.“ Wiglaf Droste