■ Die Reaktionen auf Joschka Fischers Rede vor der UNO: Ein, zwei, viele Kosovos?
Der deutsche Außenminister hat gesprochen – und es ist kein Zufall, dass ihm ausgerechnet sein chinesischer Kollege widerspricht und der russische Distanz erkennen lässt. Fischers Rede vor der UNO stand im Schatten des Kosovo-Konflikts. Auch in der Kontroverse um den Militäreinsatz ohne UNO-Mandat befanden sich China und Russland auf der einen Seite, Deutschland und die übrigen Nato-Staaten auf der anderen. Darf eine internationale Streitmacht Menschenrechtsverletzungen stoppen, auch wenn es darüber keinen Konsens im UNO-Sicherheitsrat gibt? Fischer suchte in New York nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Eine Antwort hat er nicht gefunden – und sein Reformansatz für die UNO wird diesen inneren Widerspruch kaum auflösen.
Auch Fischer warnt vor dem Kosovo-Krieg als Präzedenzfall. Sein konkreter Vorschlag zielt daher darauf ab, „humanitäre Interventionen“ vom Makel zu befreien, außerhalb des UNO-Systems zu erfolgen. Einfacher gesagt: Wie ist zu erreichen, dass bei künftigen Konflikten à la Kosovo der Sicherheitsrat zustimmt? Am Vetorecht der ständigen Mitglieder des Rats zu rütteln, traut sich selbst Deutschlands populärster Politiker nicht zu. Stattdessen sollen die Mitglieder ihren Einspruch vor der Generalversammlung begründen müssen. Eine höhere Schwelle vor dem Gebrauch des Vetos verspricht Fischer sich davon. Doch der Vorstoß muss sein Ziel verfehlen. Er entspringt dem Irrtum, so ernst hätten es etwa China und Russland mit ihrem Widerstand gegen den Kosovo-Einsatz nicht gemeint. Fischers Einschätzung, ein UNO-Mandat für Kosovo sei an der „Selbstblockade“ des Sicherheitsrates gescheitert, verrät denselben Irrtum. In Wahrheit haben China und Russland ihr Veto genauso einsetzen wollen, wie es von der UNO-Charta gedacht ist: als Mittel, ihnen unliebsame Entscheidungen zu verhindern.
Am Streit um das Kosovo hat sich damit einmal mehr gezeigt, dass Einigkeit über Unmenschlichkeit schwer zu erzielen ist. Was dem einen als Schande erscheint, hält der andere für politisch vertretbar – im Zweifel auch vor der UN. Die Formel von der Nichteinmischung dürfe nicht länger als Schutzschild für Diktatoren mißbraucht werden, hat Fischer gefordert. Das Beispiel Kosovo steht für die moralische Integrität dieser Überzeugung, aber auch für ihre völkerrechtliche Fragwürdigkeit. Fischer mag noch so sehr beteuern, dass Kosovo kein Präzedenzfall ist. Wahrscheinlicher ist, dass es bald ein, zwei, viele Kosovos geben wird. Patrik Schwarz
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