Die Politik feiert Franz Josef Strauß: Vater unser
In Bayern sind die Feierlichkeiten zur Heiligsprechung von Franz Josef Strauß zu Ende gegangen. Oder war es nur sein Geburtstag?
Heute zeigt sich der demonstrierende Mob in Gestalt eines Herrn in mittlerem Alter und Jeans-Jacke. In den Achtzigern mag er schon in Wackersdorf demonstriert haben, damals noch in seinen Zwanzigern und in Gesellschaft von 100.000 Gleichgesinnten. Jetzt steht er recht allein vor der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz und hebt an einem kleinen Stöckchen ein Schild in die Luft, auf dem zu lesen steht: „Stoppt Strau߆ Pfändet die CSU! Karl Valentin – Airport ohne 3. Startbahn.“ Karl Valentin? Nun, gut.
An dem Mann muss man vorbei, wenn man zum Festakt der Hanns-Seidel-Stiftung zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß will. Die Hanns-Seidel-Stiftung, auch dies sei erklärt, ist so etwas wie die bayerische Konrad-Adenauer-Stiftung, bloß dass selbst in Bayern heute weniger Menschen mit dem Namen Seidels als mit dem des Kölners etwas anfangen können. Deshalb sei noch kurz erwähnt, dass auch Seidel einmal Chef der CSU war, doch das ist lange her, sehr lange sogar; und die Tatsache, dass es vor Franz Josef Strauß schon andere Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union gab, darf getrost als kleiner Betriebsunfall der Parteigeschichte gewertet werden und muss hier nicht vertieft werden.
Wer Strauß in der Allerheiligen-Hofkirche huldigen will, muss aber nicht nur an dem Unbelehrbaren vorbei, sondern auch an zwanzig Gebirgsschützen aus Mittenwald, die vor dem Eingang Spalier stehen, und an Ursula Männle. Männle war zwar nie Vorsitzende der CSU, dafür aber Chefin der Frauen-Union der CSU. Und 13 Jahre lang Landtagsabgeordnete. Jetzt leitet sie die Hanns-Seidel-Stiftung, und das ist der Grund, weshalb sie hier zwischen den Gebirgsschützen steht, deren Ehrenleutnant Franz Josef Strauß war, und jeden ihrer rund 400 Gäste mit Handschlag begrüßt.
Im reinsten Geburtstagstaumel
Die CSU und die bayerische Staatsregierung befanden sich in den letzten Tagen im reinsten Geburtstagstaumel. Die „CSU-nahe“ Stiftung trieb es am tollsten, sie hatte den runden Geburtstag bereits seit dem Frühjahr mit einem opulenten Veranstaltungsreigen gefeiert, der jetzt seinen Höhepunkt fand: „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts“ hieß das Motto des großen Abschlussfestakts der Stiftung am Freitag, dem sich dann unmittelbar noch ein Staatsempfang anschloss – gleich nebenan im prachtvollen Antiquarium der Residenz.
Und dann war da noch die Feier in Pasing, auf der die JU den „König von Bayern“ geehrt und die „DNA der CSU“ untersucht hat. Die Plakate, die schon Wochen zuvor für lokale Aufregung gesorgt hatten (“Strauß spricht“), versprachen etwas mehr, als die Veranstaltung halten konnte, da weder der vermeintlich von den Toten Auferstandene zugegen war noch die angekündigten Diskutanten Peter Gauweiler und Wilfried Scharnagl, aber immerhin fand sich Marianne Strauß ein. Bei ihr handelte es sich zwar auch nicht um die wiederauferstandene Gattin des früheren Landesfürsten, aber immerhin um beider Enkelin. Die Großeltern hat die Tochter von Max Strauß, die gerade erst Abitur gemacht hat, zwar nie kennengelernt, aber immerhin DNA-technisch brachte sie die Jungkonservativen einen großen Schritt weiter.
Zu den Feierlichkeiten in der Residenz kam Wilfried Scharnagl dann doch. Vielleicht wegen der Gebirgsschützen. Oder wegen des kurzen, aber dafür umso pathetischeren Imagefilmchens, das dort gezeigt wurde – einer Hommage, zu deren Anfertigung sich der bekannte Heimatfilmer Joseph Vilsmaier („Herbstmilch“, „Schlafes Bruder“) herabgelassen hat. Scharnagl, der auch in dem Film vorkommt, muss man heute nicht mehr kennen.
Die ganze Opposition, niemand Wichtiges also
Er ist der Mann, von dem Strauß gesagt hat, dass er, also Scharnagl, schreibe, was er, Strauß, denke. Und dass er, Strauß, denke, was er, Scharnagl, schreibe. Damals war Scharnagl Chefredakteur des Bayernkuriers und unentwegt an der Seite des bayerischen Quasimonarchen. Seinen Kummer über den Tod des Mentors (“Ich vermisse ihn noch heute“) schien der fleißige Autor zuletzt in separatistischen Anwandlungen und Abhandlungen (Bayern kann es auch allein: Plädoyer für den eigenen Staat) zu ertränken.
Überhaupt waren sie in der Residenz fast alle da: Gerold Tandler, Michael Glos, Erwin Huber, die Strauß-Kinder, so ziemlich das gesamte bayerische Kabinett, die Bundes-CSUler Gerda Hasselfeldt, Christian Schmidt und Alexander Dobrindt. Selbst der Herzog Franz von Bayern kam, was zu einem kurzen Moment der Verwirrung führte, als Edmund Stoiber von der „königlichen Hoheit“ sprach – und gar nicht FJS meinte.
Nur wenige bayerische Politiker fehlten. Margarete Bause zum Beispiel. Oder Markus Rinderspacher. Oder Hubert Aiwanger. Genau genommen die ganze Opposition. Niemand Wichtiges also. Komisch daher, dass die Redner Edmund Stoiber und Horst Seehofer keine Gelegenheit ausließen, auf den Boykotthanseln herumzuhacken.
Ja, Strauß wird heiliggesprochen
Im Mittelpunkt des Feier-Tags stand das ausführliche Loblied, das Stoiber auf Strauß singen durfte, ergänzt durch die deutlich kürzere Ansprache des amtierenden Landesvaters Seehofer. Stoiber sprach nicht nur von Strauß, sondern auch viel von sich und vor allem von den Strauß-Gegnern und deren „ungebrochenem Fanatismus“; dabei war jedoch nicht ganz klar, ob er nun das Männlein mit dem Pappschild draußen vor der Tür meinte oder den mehrfach erwähnten Spiegel, der zwei Wochen zuvor über die Schmiergeldvorwürfe des Strauß-Biografen Peter Siebenmorgen berichtet hatte.
Und weil ja, wie sich Stoiber beklagte, heutzutage niemand mehr Anstand hat und sich an die simple Regel hält, wonach man über Tote nur gut sprechen soll, suchten er und Seehofer das verzerrte Bild etwas zurechtzurücken, das die Opposition von Strauß zeichnet. Nüchtern und faktenorientiert beschrieben sie Strauß als den „größten politischen Sohn Bayerns im 20. Jahrhundert“ (Stoiber), „Staatsmann von weltpolitischer Dimension“ (Seehofer), „großen Lehrmeister und väterlichen Freund“ (Stoiber), „politisches Vorbild“ (Seehofer), „Vater der modernen Volkspartei“ (Stoiber), „Wegbereiter des modernen Bayerns“ (Seehofer), „Vater des modernen Bayerns“ (Stoiber) und „Schöpfer des modernen Bayerns“ (Seehofer). Vater unser im Himmel!
In diesem Moment hätte man erwartet, dass Friedrich Kardinal Wetter, der schon damals als Erzbischof das Pontifikalrequiem für Strauß zelebriert hatte, von seinem Platz ganz rechts in der ersten Reihe aufgestanden und zum Rednerpult geschritten wäre und der jubelnden Menge die Nachricht aus Rom verkündet hätte: Ja, Franz Josef Strauß wird heiliggesprochen. Aber nein, Seine Eminenz blieb sitzen und lächelte.
Wo sich die Familiengruft befindet
Stattdessen zankten sich Stoiber und Seehofer ausführlich darum, wer nun in seinem Büro den innigeren Kontakt zur Büste des verehrten Strauß pflege. Stoiber jedenfalls bekannte, regelmäßig Zwiegespräche mit dem Idol zu halten. Was an Strauß’ einst so gerühmter Rhetorik nicht spurlos vorübergegangen zu sein scheint (“Edmund, sagte er zu mir, grab nicht das blonde Fallbeil aus!“). Das Protokoll wollte es, dass Noch-nicht-Ministerpräsident Markus Söder nicht zu Wort kam – sonst hätte er wohl noch einmal mit der Anekdote aufgetrumpft, dass er schon als Jugendlicher ein Strauß-Poster über seinem Bett hängen gehabt habe.
Am Sonntag schließlich, dem eigentlichen Geburtstag, lud die CSU nach Rott am Inn, wo sich die Familiengruft befindet, in der Franz Josef Strauß liegt. Die an diesem Tag erschienene Veröffentlichung über eine mögliche Agententätigkeit von Strauß für den amerikanischen Militärgeheimdienst im Zweiten Weltkrieg spielt bei der Feier keine Rolle. Darin wird behauptet, Strauß habe geheime Unterlagen zur Luftverteidigung süddeutscher Städte an US-Agenten übergeben.
Wer nach dem Staatsempfang am Freitag in den lauen Abend hinaustrat und die Residenz in Richtung Marienplatz verließ, kam am Eingang des Residenztheaters vorbei. Über diesem hängt zurzeit ein Transparent, das auf die neue Spielzeit aufmerksam macht. Darauf steht „Wer keinen Feind mehr hat, trifft ihn im Spiegel.“ Es ist aber nur ein Heiner-Müller-Zitat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau