Die Parks des Fürsten Pückler Muskau: Dandy und Gärtner
Seine Parkanlagen sind das größte Vermächtnis des reisenden Fürsten Pückler-Muskau. Zu Coronazeiten sind sie allseits beliebte Ausflugsorte.
Der Pastor der Cottbuser Oberkirche war ratlos. Am 4. Februar 1871 war Fürst Pückler-Muskau um 23.05 Uhr auf seinem knapp neun Kilometer von Cottbus entfernt liegenden Schloss Branitz an Altersschwäche gestorben und der Geistliche wollte den Todesfall korrekt im Register der Verstorbenen des Kirchenbuchs verzeichnen.
„Ludwig Heinrich Hermann Pückler, Durchlaucht …“ setzte er willens an, kam auch noch über „Erbherr der Majorats-Herrschaft Branitz“ bis zu „Mitglied des Herrenhauses [Preußischer Landtag]“ und „Ehrenritter des Johanniter-Ordens“, bis er schließlich entnervt einsehen musste, dass die Titelliste des schon zu Lebzeiten berühmten Adligen, der immer irgendwie ein wenig „too much“ war, den Rahmen schlichtweg sprengen würde. Und so setzte er der Einfachheit halber ein leicht aufsässiges „usw.“ dahinter, klappte das schwere Kirchenbuch für diesen Tag zu und legte sich schlafen.
War es in Branitz, Muskau oder Babelsberg gewesen, wo sich der hyperaktive und rastlose Fürst am prägnantesten mit seinen Gartenschöpfungen unsterblich gemacht hatte? Schon zu Lebzeiten war der umtriebige Adlige mit dem hypergrünen Daumen ein äußerst kreativer Mensch gewesen, der sich nach anfänglichen Umwegen über ein Jurastudium und militärisches Ornat der Gartenkunst verschrieben hatte, die er zur Perfektion bringen wollte. Halbe Sachen? Quelle horreur! Doch nicht ein Fürst Pückler!
Trotz der Gnade der Geburt, die den am 30. Oktober 1785 als Sohn des Grafen Ludwig von Pückler und Gräfin Clementine von Callenberg in Bad Muskau geborenen Säugling Hermann auf samtenen Kissen schlummern ließ, war seine Kindheit und Jugend durch die unglückliche Verbindung der Eltern geprägt, die eine sogenannte Konvenienzehe eingegangen waren, durch die Ludwig schlichtweg seinen Besitz vergrößern wollte.
Pückler begann er im Mai 1834 seine sechsjährige „Grand Tour“, die ihn über Karlsbad und Paris, Westfrankreich, die Pyrenäen und Toulon nach Algerien und Tunesien, weiter über Malta und Griechenland nach Ägypten und in den Sudan und schließlich über Palästina, Syrien, Zypern und die Türkei erst im Jahr 1840 wieder nach Hause führte. Drei Bände der „Großen Reise“ sind bisher im Verlag der Pioniere erschienen:
Hermann von Pückler-Muskau: Vorletzter Weltgang. Semilasso in Europa. (Reise von Muskau über Karlsband, Franken, Frankreich und Belgien bis Toulon.) 544 Seiten, Leinen, ISBN 978-3-941924-06-2, 39 Euro
Hermann von Pückler-Muskau: Semilasso in Afrika. Eine Reise durch Nordafrika im Jahre 1835. (Algerien und Tunesien.) 736 Seiten, Leinen, ISBN 978-3-941924-03-1, 49 Euro
Hermann von Pückler-Muskau: Die Rückkehr. Semilasso in der Levante. (Vom Sudan über Ägypten, Palästina, Syrien und Kleinasien bis Konstantinopel.) 800 Seiten, Leinen, ISBN 978-3-941924-08-6, 49 Euro
Die Braut war erst 14 Jahre alt und der 16 Jahre ältere Bräutigam, wie Hermann später schreiben sollte, „eine traurige, gehaltlose Existenz“. Der junge Hermann reagierte auf sein eher liebloses Umfeld mit Aufsässigkeit, entdeckte im zarten Alter von sieben Jahren aber schon die beruhigende Wirkung von Gartenarbeit. Als man das lästige Kind in die Verbannung zu der Herrnhuter Brüdergemeinde nach Uhyst, im heutigen Landkreis Görlitz gelegen, schickte, wo alle Schützlinge auch immer ein kleines Gartenbeet zum Bearbeiten bekamen, wurde das für Hermann „eine Quelle unablässigen Nachsinnens und Vergnügens“.
Doch in diesem zarten Alter wusste er noch nicht so richtig, wohin die Reise gehen sollte. Dem Hang zu weiblicher Gesellschaft war Hermann nicht abgeneigt, dem Hang zum Militär aber auch nicht. Ebenso lag ihm das Schreiben und er verarbeitete darin seine zahlreichen und aufregenden Reisen bis in den fernen Orient.
Der Reisende
So suchte er von 1806 bis 1810 zunächst einmal das Weite, begab sich unter anderem nach Frankreich und Italien und veröffentlichte das Erlebte 25 Jahre später unter dem Titel „Jugendwanderungen“. 1810 weilte er in Weimar, wo ihm Goethe dazu riet, die Landschaftsgärtnerei weiterzuverfolgen. Und der sonst eher rebellische Pückler fügte sich, weil er ahnte, der Mann hat recht. Als Pückler schließlich im Jahr 1814 seine erste Englandreise unternahm und er sich mit den dortigen, in ihrer Perfektion unermesslich schönen Gärten näher befasste, brach seine Gartenleidenschaft vollends aus.
Auch die zweite Englandreise in den Jahren 1826 bis 1829 – da war er 1822 längst in den Fürstenstand erhoben worden – ließ für ihn keinen Zweifel daran, dass die Engländer die unbestrittenen Meister der Gartenkunst waren. Besonders Warwick in der heutigen Grafschaft Warwickshire hatte den Fürsten zutiefst beeindruckt: „Beim Himmel! diesmal erst bin ich von wahrem und ungemessenem Enthusiasmus erfüllt.“
In der Atmosphäre solcher uralter Gärten, den „Zauberorten“, die in das „reizendste Gewand der Poesie“ gehüllt waren, wie Pückler schrieb, wurde er in seinem tiefen Inneren auch an die eigene, angeblich legendäre Familiengeschichte erinnerte, die man – so behauptete er jedenfalls – bis in die Nibelungenzeit zurückverfolgen könne. Er sah in England altehrwürdige Bäume, scheinbar nonchalant arrangiert: Zedern, Kastanien, Eichen und Linden, eingebunden in die Landschaft und Geschichte des Ortes mit Menschen, die auch zur eigenen Familiengeschichte hätten gehören können. „Neun Jahrhunderte stolzer Gewalt, kühner Siege und vernichtender Niederlagen, blutiger Taten und wilder Größe, vielleicht auch sanfter Liebe und edler Großmut.“
Think big. Kein Wunder, dass Hermann stets alle Möglichkeiten ausschöpfen wollte. Adel verpflichtet, da legt man kein kleines bescheidenes Gärtlein an, sondern will gleich ein Paradies schaffen. Oder eben mehrere. Die Arbeiten an den Gärten Branitz (zwischen 1845 und 1871) und Babelsberg, an denen er von 1843 bis 1857 werkelte, waren Teil seines grandiosen Gärtnerlebens, das mit der Umgestaltung von Muskau ab 1815 so richtig Fahrt aufgenommen hatte.
Das Pücklersche Weltkulturerbe
Über 830 Hektar umfasst die Parklandschaft von Schloss Muskau. Sie liegt beiderseits der Neiße und wird von deutschen und polnischen Denkmalpflegern betreut. Pückler hatte für das riesige Areal über die Jahre viele Grundstücke akquiriert und den Eigentümern großzügige Entschädigungen gezahlt. Mächtige Eichen recken sich gen Himmel im Park. Mythische Namen verleihen ihnen bei bestimmten Lichtverhältnissen eine noch größere geheimnisvolle Aura.
Wie ein leicht lädierter, aber dennoch unerschütterlicher Fels in der Brandung steht die Baumruine der uralten Hermannseiche inmitten der nicht enden wollenden und grenzenlos wirkenden Landschaft, dessen von Pückler genau geplanter Mittelpunkt das Schloss war. Im Jahr 1987 brannte die Eiche aus und zurück blieb nur der traurige Baumstumpf, in den aber wieder neues Leben einzog, als man in ihm eine neue Hermannseiche pflanzte, die man nach dem Großvater Pücklers, Reichsgraf Hermann von Callenberg, benannt hatte.
Mit Sicherheit wäre der Fürst unendlich stolz, wenn er wüsste, dass man seinen geliebten Muskauer Park 2004 in die Weltkulturerbeliste der Unesco aufnahm: „… wer Muskau gesehen, hat mir ins Herz gesehen.“ Eine Gartenlandschaft als Spiegel der Seele, als Psychogramm eines Menschen. Eine derartige Symbiose gelang nur den wenigsten Gartenkünstlern.
Doch 1845 hatte der Fürst Muskau sehr schweren Herzens verkaufen müssen. Ein solcher Ausbund an Fantasie, der in die Realität umgesetzt werden will, kostet seinen stolzen Preis, und der Fürst hatte sich finanziell völlig übernommen und zum Beispiel ganze Wagenladungen von seltenen Bäumen aus dem Ausland herankarren lassen. Die zweite Englandreise sollte vor allem dazu dienen, eine reiche Gattin zu finden, die die Gartenträume des Fürsten möglichst finanzieren sollte.
Zu diesem Zwecke hatte er sich sogar von seiner Ehefrau Lucie, die er 1817 geheiratet hatte, pro forma scheiden lassen, um in England auf Freiersfüße gehen zu können. Aus den Füßen wurden Beine: Hermann schwang in London das Tanzbein, so oft er nur konnte. Er reiste nach Brighton, dem Seebad der Upperclass, um sich die Damenwelt bei Sonnenschein am Strand besser anschauen zu können. Doch vergeblich: Keine Lady biss an. Spektakulär ist bis heute des Fürsten letzte Ruhestätte: eine begrünte ägyptische Pyramide im Branitzer Park. Wenn schon, denn schon. Das scheint des Fürsten Lebensmotto gewesen zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs