Historischer Reisebericht von Damaskus: Mashallah und vorwärts!

Im 19. Jahrhundert schreibt Hermann von Pückler-Muskau seinen Reisebericht zu Damaskus – der „bigottesten Stadt des türkischen Reichs“ – ein Auszug.

Pückler im Orient

Hermann von Pückler-Muskau auf einer zeitgenössischen Zeichnung in „orientalischem“ Gewand Foto: Ruth Schacht

Wir finden uns jetzt an den Thoren von Damaskus, auf einer großen, von einem Fluß und mehreren Bächen durchströmten Wiese wieder, auf der einige hundert Pferde weiden, baden oder lustig umherspringen. Durch alle Straßen der Stadt wird man von diesem Reichthum an Wasser begleitet, welcher der Ebene von Damaskus eine dem übrigen Orient fast unbekannte Frische der Vegetation […] ertheilt, was auch Scham bei den Türken, die das frische Wasser über alles lieben, den Namen des irdischen Paradieses verschafft hat.

Durch die Feuchtigkeit aber, die es allen Wohnungen mit­theilt, wird der hiesige Aufenthalt für Ausländer gefährlich und selbst für die Eingebornen ungesund. Der Palast, in dem ich wohnte, gab Zeugniß davon, denn in allen, zugleich vergoldeten und verstockten, Gemächern des untern Stocks trieften die Wände, wofür der Marmorhof unter meinen Fenstern mit seinen Fontainen und Orangenbäumen auf die Länge doch nicht ganz entschädigte.

Die Stadt selbst ist so von hohen Nußbäumen, Pappelarten, Trauerweiden, großen Aprikosen-, Pistazien- und andern Fruchtbäumen, gemischt mit üppig wucherndem Gebüsch, umschlossen und durchzogen, daß man hereinkommt fast ohne es zu wissen. Die Straßen sind breiter als in Kahira, und lange ritten wir durch reich gefüllte Bazare, durch die bekannten „Schichten von Gestank und Wohlgeruch“, durch jenes Gedränge von Menschen, Pferden und Eseln, das oft einer Emeute gleicht und in seinem buntscheckigen, stets wechselnden Getümmel den Europäer immer von neuem in Staunen versetzt.

Sobald ich mich einigermaßen in der mir angewiesenen Wohnung eingerichtet hatte, erhielt ich den Besuch Bachary Bey’s, Stellvertreter des Pascha Gouverneurs, welcher bei der Armee ist. Dieser Bey, dem eine der wichtigsten Stellen im Lande durch seine hiesige Ernennung anvertraut ward, ist ein Christ. Wie haben sich darin unter Mehemed Ali’s Scepter die Zeiten geändert!

Im Mai 1834 begann Hermann von Pückler-Muskau seine „Große Reise“ rund um das Mittelmeer. In Ägypten hatte er den Vizekönig Muhammad Ali Pascha kennengelernt, der sein Land, weitgehend unbehelligt vom osmanischen Sultan, mithilfe europäischer Fachleute zu modernisieren suchte. Muhammad Ali hatte in einer Auseinandersetzung mit dem Sultan 1831 die Provinzen Palästina und Syrien besetzt. Pücklers Reise ins Heilige Land und nach Syrien fällt in die Regierungszeit von Muham­mads Sohn Ibrahim Pascha, der sich gegen Aufstände der Drusen zu wehren hatte. Zwei Jahre später, 1840, wird eine Allianz aus Briten und Österreichern mit ihren Bomben auf die Hafenstädte der Levante für die Vertreibung der Ägypter sorgen. Homs, Aleppo und Hama, durch die der Fürst kam, sind heute durch den Bürgerkrieg stark betroffen.

Der Pferdehandel

Damaskus, die bigotteste Stadt des türkischen Reichs, wo sich noch vor nicht langer Zeit kein Christ in europäischer Kleidung sehen lassen durfte ohne gesteinigt zu werden, beugt sich ruhig unter die officielle Amtsgewalt eines Giaur. […] Ich hatte Empfehlungsbriefe an den französischen Vice-Consul, Herrn Baudin, mit mir. […] Herr Baudin befand sich bei der Expedition des Grafen Deportes, den Ludwig XVIII. zum Einkauf arabischer Pferde nach dem Orient sandte […]

Herr Baudin [erzählte] als Augenzeuge eine andere drollige Anekdote, den noch schönern Massud betreffend, welchen ich in Tarbes am Fuß der Pyrenäen gesehen hatte. Der Eigenthümer dieses Pferdes war wohl zehnmal, nach schon halb geschlossenem Handel, wieder davon gejagt und zuweilen Tage lang ausgeblieben, ohne Herrn Deportes Geduld ermüden zu können, der einmal um jeden Preis sich dieses herrlichen Pferdes bemächtigen wollte. Endlich gelang es dem Grafen vollständig Handels eins zu werden, und der Araber ritt diesmal nur wieder fort, um seine Stute zu holen, die er sich bedungen hatte zum Abschied durch Massud decken zu lassen. Als er aber zurückkam, schien der Handel ihn dennoch von neuem zu gereuen, und Baudin konnte den Unbeständigen nur durch das Versprechen eines bedeutenden Extrageschenkes über die Kaufsumme beschwichtigen.

Wohlan denn, rief Massud’s Besitzer: Ihr mögt das Pferd haben, ich nehme das Geld und das Geschenk dafür an, aber – ich will außerdem noch die rothen Hosen des Effendi, und das ist mein letztes Wort! Der Graf Deportes, obgleich seine Garderobe sehr schlecht in der Wüste bestellt war, nur beeifert, so schnell als möglich den eigensinnigen Schech zu befriedigen, zog augenblicklich die begehrten Inexpressibles aus, blieb im Hemde stehen, und athmete erst wieder auf, als er den Araber mit der rothen Hose in der Hand triumphirend auf seiner Stute dahin fliegen sah. […]

Syrien im Aufstand

Schon in Beirut hatte ich fortwährend blessirte Offiziere aus dem Hōran zurückkommen sehen, unter andern selbst den, eine Zeit lang die Armee en chef commandirenden, Kriegsminister mit zerschmetterter Hand, und nebenher so viel von den außerordentlichen Verlusten der Ägypter, besonders an Offizieren (welche die in den Felsen versteckten Drusen sich hauptsächlich als Zielscheibe erwählen) gehört, daß ich sehr neugierig war, diesen Krieg von nahem zu betrachten, um so mehr, da jetzt Ibrahim Pascha das Commando in eigner Person und mit Zuziehung Soliman Pascha’s übernommen hatte. […]

Pückler war Weltenbummler und auch auf dem Nil unterwegs Foto: Verlag der Pioniere

Nach den europäischen Zeitungsnachrichten müßte man zu dem Glauben verführt werden, daß ein großer Theil Syriens, namentlich des Gebürges, im Aufstand begriffen sey, und eine bedeutende Macht den Truppen des Vicekönigs entgegenstehe. Dies ist ganz irrig. Alle Drusen, welche unter dem Einfluß des Emir Beschir stehen, der ganze Libanon mit Einem Wort, so wie das Littoral und Palästina, haben nie einen Antheil an dem Aufstande genommen […]. Nur ein abgesonderter Theil der Drusen, der im Hōran und namentlich im Gebürge Ledschiāh haust, stets Räubereien verübte und von dem früheren schwachen Gouvernement der türkischen Pascha’s nie anders als auf kurze Zeit in Gehorsam erhalten werden konnte – ein Stamm, der höchstens an 3000 streitbare Männer zählt und beim Beginn seiner Insurrection durch mißvergnügte Überläufer und raubsüchtige Beduinen der Wüste vielleicht um das Doppelte sich vermehrt hatte, ist der einzige Feind, den Mehemed Ali zu bekämpfen genöthigt wurde.

Wenn dessen ungeachtet diese verhältnißmäßig geringe Zahl nicht nur seit mehreren Monaten einer sechsfach überlegenen Armee Widerstand zu leisten vermochte, sondern, wegen begangener Fehler der früheren ägyptischen Chefs und ihrer zu großen Verachtung des falsch beurtheilten Feindes, den Truppen Mehemed Ali’s sogar einige nicht unbedeutende Schlappen beibrachte, so liegt doch der Hauptgrund davon nur in der höchst sonderbaren und fast unangreifbaren Localität, welche jene Drusen, denen man übrigens die größte Tapferkeit, ja Tollkühnheit nicht absprechen kann, inne hatten.

Es ward hier im Kleinen wiederholt, was wir im Großen theils in Spanien gegen Napoleon’s Armee gesehen, theils in dem fast unbegreiflich langen Widerstande der Völker des Caucasus gegen die colossale Macht Rußlands noch heute gewahr werden. Ein vulcanisches Gebürgsterrain von 8 Stunden Länge und 4 bis 5 Stunden Breite, das einem Labyrinthe gleicht, in dem kaum zu Fuß mühsam kletternd und zu Pferde gar nicht fortzukommen ist, wo man meistens den Feind gar nicht zu sehen bekommt, und dennoch von einem Kugelregen aus der Hand der geübtesten Schützen getroffen wird, bietet weder für Strategie noch Taktik einen hinreichenden Spielraum dar, und ist selbst mit der größten Menschenaufopferung mit Gewalt nicht schnell zu nehmen.

Ein solcher Krieg mußte gerade die regulären Truppen am leichtesten demoralisiren. Dies um so mehr, da die Drusen durchaus keinen Pardon gaben, was bei den Ägyptern, statt Erbitterung hervorzubringen, nur den panischen Schrecken vergrößerte, den ihnen diese ungewohnte Art des Krieges nach und nach eingeflößt hatte.

Bei Nacht und Nebel

Aus diesem letztern Grunde riethen mir denn auch die Herren persönlich sehr von einem solchen Unternehmen ab, da, wie bekannt, die Drusen Jedem, der in ihre Hände fiele, von welchem Range er auch sey, ohne Umstände den Hals abschnitten. Dies war allerdings gegründet und manchen vornehmen Krieger hatte solches Loos bereits getroffen.

Das Project war mir indeß zu interessant, um es aus einer banalen Delicatesse oder albernen Furcht aufzugeben, und ich beschloß zu dem Ende, im Einverständnisse mit dem mir von Boghos Bey in Alexandrien mitgegebenen Cavaß, der ohnehin sich sehr schlecht mit dem Vice-Gouverneur vertrug, mich einer kleinen List zu bedienen. Nachdem ich im Stillen alle meine Vorbereitungen gemacht, bat ich nur um eine Escorte von sechs Mann, um eine Excursion rund um die vegetationsreiche Ebene von Damaskus zu machen – gewiß daß, einmal aus der Stadt, ich nachher jeden beliebigen Weg ungehindert einschlagen könne.

Um noch sicherer zu gehen, brach ich, die Tageshitze vorschützend, erst mit Einbruch der Nacht auf. Der Mond schien hell und der Weg in diesem Gartenwalde blieb meist von alten Bäumen alleeartig überwölbt, durch deren Laubdach das goldene Licht in tausend Funken flimmerte, die ganze Atmosphäre duftete balsamisch und nur ein milder Luftzug säuselte kühlend in den Blättern – es war lieblich wie im Paradiese.

Ich blieb nach kurzem Marsch im Dorfe Nedscha, das kaum vier Stunden von Scham entfernt ist, um dort den Morgen zu erwarten. Denn ich hatte einen Oberoffizier mit 100 Pferden irregulärer Cavallerie daselbst angetroffen, der einen Transport Munition und Lebensmittel nach Ibrahim’s Lager bringen sollte, aber auf die Nachricht eines bedeutenden dort vorgefallenen Gefechts, und aus Besorgniß, in Folge dessen auf die Hauptmacht der Drusen zu stoßen, gestern wieder zurückgekehrt war, um hier fernere Befehle zu erwarten. Bei diesem hatte ich die beste Gelegenheit, Erkundigungen einzuziehen. Er wollte mir mit orientalischer Höflichkeit sein eigenes Zimmer abtreten und prä­parirte sich schon mit seinen Leuten auf der Terrasse zu schlafen. Natürlich gab ich dies nicht zu, sondern bat ihn nur um zwei Plätze neben ihm für mich und den Grafen, wo wir in unsere Mäntel gehüllt uns einige Stunden auf Teppiche niederlegten.

Pückler in lokalem Gewand Foto: akg images

Doch gestatteten uns die Flöhe durchaus keinen Schlaf, während die Türken wie Blasebälge schnarchten. Nie habe ich einen Orientalen gefunden, der sich über die Plage der Insekten beklagt, oder überhaupt davon zu leiden geschienen hätte. Entweder sind sie gefühllos dagegen, oder die Lehre der Prädestination tröstet sie auch darüber. Glücklicherweise hatte ich den mir von Herrn Kilbin geborgten, ergötzlichen Roman Pickwick bei mir, dessen unterhaltender Inhalt mich einigermaßen zerstreute, und hier wahrscheinlich zum ersten Mal als Hülfsmittel gegen Wanzen und Flöhe angewendet wurde.

Als am Morgen der Offizier erwacht war und mich einigemal laut lachen hörte, kam er neugierig herbei, um nach der Ursach zu fragen. Ich zeigte ihm die humoristischen Kupfer, mit denen die Ausgabe illustrirt war. Er betrachtete sie nicht nur mit großer Aufmerksamkeit, sondern verfehlte auch nie, den Finger mit ausdrucksvoller Pantomime auf die Gegenstände zu legen, welche ihn am meisten interessirten. Diese waren jedoch immer nur dreierlei Natur, nämlich: hübsche Mädchen, Weintrinkende oder sich Prügelnde.

Es war allerdings etwas tollkühn, trotz der beunruhigenden Gerüchte, mit meinen paar Leuten, die indeß durch meinen Freund, den Offizier, um vier Mann vermehrt worden waren, den Weg nach dem Lager einzuschlagen; aber benutzte ich den Augenblick nicht, so kam ich wahrscheinlich nie hin. Überdies war es ja nur um einen Tag zu thun, und den Prädestinationsglauben habe ich mir, seiner praktischen Nützlichkeit halber, auch schon so ziemlich angeschafft. Also dachte ich türkisch und preußisch zugleich: Mashallah und vorwärts!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.