■ Die Medienstory „Rumänische Kinderbanden“ ist eine Übertreibung: Verzerrte Wahrnehmung
Als der Reiseschriftsteller und Romancier Karl Emil Franzos vor hundert Jahren über Südosteuropa schrieb, nannte er Rumänien „Halb-Asien“. Er fand das Land „halb barbarisch, halb gesittet“. An diesem Bild über Rumänien hat sich einiges geändert: Rumänien, so scheint es, ist nur noch barbarisch.
Daß schwerkriminelle und gut organisierte Securitate-Banden auf deutschem Territorium mit hemmungsloser Gewalt operieren, wie es von deutschen Behörden vor drei Jahren erstmals zu hören war, hat sich im Bewußtsein der Öffentlichkeit verfestigt wie nur wenige andere Szenarien über Rumänien. Die jetzigen Anschuldigungen der Kölner Staatsanwaltschaft kombinieren das Bild der extrem brutalen und perfekt organisierten Kriminellen mit zwei Momenten: dem Elend der rumänischen Waisenkinder und staatlicher rumänischer Beteiligung.
All dies ist schlicht übertrieben. Längst hat sich herausgestellt, daß die angeblichen Securitate-Banden weder so groß noch so gut organisiert waren, wie behauptet wurde. Dafür, daß die derzeitigen rumänischen Geheimdienste, die einen Großteil des ehemaligen Securitate-Personals beherbergen, in kriminelle Aktivitäten im Ausland verwickelt sind, fanden sich keinerlei Anhaltspunkte. Und eine organisierte Struktur der ehemaligen Securitate existiert aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Auch jetzt zeichnet sich Ähnliches ab: An den Dimensionen, welche die Kölner Staatsanwaltschaft den rumänischen Kinderbanden verleiht, ist stark zu zweifeln – ebenso wie am Ausmaß, in dem rumänische Polizisten und Diplomaten beteiligt sein sollen.
Im Hintergrund der Schreckensberichte könnten die Schwierigkeiten stehen, die deutsche Behörden momentan mit der Abschiebung von mehreren hundert rumänischen Kinderflüchtlingen haben. Denn rumänische Behörden waren bei den Abschiebungsverhandlungen zuletzt nicht ohne weiteres bereit, sie zurückzunehmen. Auch hat die rumänische Diplomatie in den vergangenen Monaten verstärkt gefordert, daß Erleichterungen bei der demütigenden, komplizierten Prozedur für den Erhalt von Einreisevisa in westliche Länder geschaffen werden.
Der rumänische Staatspräsident Emil Constantinescu will die Beziehungen zu Deutschland deutlich verbessern. Vielleicht wird der Staatspräsident im Interesse der deutsch-rumänischen Beziehungen demnächst ein Machtwort in der Abschiebungsfrage sprechen. Und auch gegen Erleichterungen in der Visumfrage gibt es nun wieder Argumente. Keno Verseck
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