Die Marvel-Verfilmung „Eternals“: Die Unsterblichen sind divers
Oscar-Gewinnerin Chloé Zhao führte Regie in der neuesten Marvel-Verfilmung. „Eternals“ orientiert sich an zweidimensionalen Comicbildern.
Wenn man unsterblich ist, hat man satt Zeit, sich auseinanderzuleben. So geschehen mit dem ehemals glücklichen Pärchen Ikaris (Richard Madden) und Sersi (Gemma Chan). Jahrhundertelang hat die zu den außerirdischen, humanoiden „Eternals“ gehörende Frau den männlichen Eternal geliebt, und vice versa. In letzter Zeit, wir sprechen von Monaten, knutscht Sersi allerdings mit dem eindeutig sterblichen Dane (Kit Harington), und der hat keine Ahnung von der im wahrsten Wortsinn ewigen Vorgeschichte seiner Freundin.
Bei seinem Vorschlag einer möglichen gemeinsamen Wohnung zögert sie – der unsterbliche Exfreund lässt sich eben nicht so schnell vergessen. Vor allem nicht, wenn eine Zusammenarbeit ansteht: Bevor Sersi ihrem menschlichen Verehrer seine dringliche Frage beantworten kann, muss sie gemeinsam mit anderen Unvergänglichen ein weiteres Mal die Welt retten.
Denn die „Deviants“, Kreaturen, denen die Gemeinheit ins Monstergesicht (und in den Namen) geschrieben steht und wegen denen die Eternals einst als schnelle Eingreiftruppe auf die Erde entsandt wurden, bedrohen nach Tausenden von Jahren mal wieder den Planeten.
Biblische Dimensionen
Seinen titelgebenden Held:innen entsprechend sind es fantastische Zeiträume, in denen „Eternals“ spielt. Der dem Film zugrunde liegende, erstmals 1976 bei Marvel erschienene Comic erstreckt sich über biblische Dimensionen: Zwischen 50.000 vor der Zeitenwende in Mesopotamien über die Antike, Hiroshima 1945 bis in die Jetztzeit retten die Ewigen, deren Wirkungskreis auf den Kampf gegen die Deviants begrenzt ist (sonst würden sie schließlich gar nicht mehr rauskommen aus dem Kriegsmodus), die Welt.
„Eternals“. Regie: Chloé Zhao. Mit Richard Madden, Salma Hayek u. a. USA 2021, 157 Min.
Vielleicht nimmt sich die Regisseurin Chloé Zhao, deren dokumentarisch anmutendes Sozialporträt „Nomadland“ sie in diesem Jahr zur ersten Regie-Oscar-Gewinnerin „of Asian descent“ machte, darum auch alle Zeit der Welt, um ihre formal klassisch-simple Marvel-Geschichte – Superheld:innen schützen Menschen vor Bösewichten – zu etablieren.
Verwurzelt in den Weltmythen
Denn der 26. Film des stark expandierenden Marvel Cinematic Universe hält sich lange mit dem alten Blues-Brothers-We’re-getting-the-band-back-together-Thema auf: Kapitelweise blättert Zhao, die das Drehbuch mit dem jungen Autor Patrick Burleigh sowie den Langspielfilm-Erstlingsautoren Ryan und Kaz Firpo schrieb, das An- und Umwerben eines Eternals-Mitglieds nach dem anderen auf. Die Erzählung springt dabei immer wieder in Flashbacks zu zentralen Punkten in der Story ihrer Held:innen zurück.
Und wichtig sind die Punkte in ihren Biografien allemal, das muss man den mächtigen Wesen lassen, deren Namen nach Verwurzelung in sämtlichen Gründungs- und sonstigen Weltmythen duften: Ikaris ist laut Comicvorlage der Vater von Ikarus. Thena (Angelina Jolie) hat nur das „A“ vor ihrem Namen geixt: Sie ist unschwer als Göttin des Kampfs zu erkennen. Der Name Ajaks (Salma Hayek), der Anführerin der Eternals, erinnert an den sagenhaften trojanischen Kriegshelden Ajax.
Sogar der „vergöttlichte“ König Gilgamesch findet sich als „Gilgamesh“, gespielt vom koreanischen Schauspieler Don Lee, in Zhaos Kaleidoskop der neuen Retter:innen wieder. Wer auch immer die Eternals sein sollen, ob, wie Erich von Däniken fabulierte, die Götter Astronauten waren, oder umgekehrt: Kulturell, geschlechtlich, altersmäßig divers sind sie in jedem Fall.
Ein bleiernes Gewicht
Doch die Unendlichkeit, die den Film auf der Symbolebene trägt, hängt sich als bleiernes Gewicht an seine erzählerische Dramaturgie – denn eine „gefühlte Ewigkeit“ ist nie gut für ein Narrativ, schon gar nicht, wenn Action erwartet wird.
Die „Aktionen“, die Zhao ihren „Eternals“ zugesteht, orientieren sich eins zu eins an den echten, zweidimensionalen Comicbildern: In den meisten Szenen stehen die Eternals unbeweglich im Greenscreen herum und reden. Das ist bei aller Schauspielpräsenz – Richard Maddens Sensibilität bahnt sich sogar ihren Weg durch den mit esoterischen Fantasy-Symbolen bedruckten Gummi-Suit und der Comedian Kumail Nanjiani als Bollywood-Eternal Kingo trägt bravourös den gesamten Comic Relief auf seinen Schultern – als Film ziemlich langweilig.
Die Gefechte sind zu artifiziell
Die zwischen die hölzernen Dialoge gesetzten Kampfsequenzen mit tentakeltragenden Gegenspielern wimmeln dagegen von schnellen, märchenhaften Bildern. Doch ihre Künstlichkeit erzeugt ebenfalls kaum Spannung: Der virtuelle Effektraum, in dem sie stattfinden, ist zu weit entfernt, das Setting zu fantastisch, die Gefechte sind zu artifiziell, um Empathie hervorzurufen. Auch und erst recht nicht, wenn die von Ramin Djawadi in jeder einzelnen Filmsekunde aufdringliche Musik es einem so angestrengt nahelegt.
Dabei geht unsterbliches Geballere durchaus mit Gefühlen zusammen: In der 2020 für Netflix entstandenen Comicadaption „The Old Guard“ von Regisseurin Gina Prynce-Bythewood und Drehbuchautor Greg Rucka musste sich Charlize Theron mit ähnlichen Problemen wie die Eternals herumschlagen. Sie spielte Andy, die eigentlich „Andromache“ hieß und ihre zweischneidige Amazonenaxt bereits im antiken Griechenland schwang.
Der Glaube an göttliche Macht
Als Anführerin einer Söldnertruppe von „immortal warriors“, die sich teilweise noch aus den Kreuzzügen kennen, kämpfte Andy zwar – zugegeben – nicht gegen außerirdische Biester, sondern gegen böse Normalsterbliche. Doch im Subtext beschäftigte sich der Actionfilm auf elegante Weise mit Nebeneffekten der Unsterblichkeit, die man wiederum als Echos gesellschaftlicher Diskurse deuten konnte.
Wenn man ohnehin nicht sterben kann – wie achtsam geht man dann mit dem eigenen Körper um? Kann man angesichts der Ewigkeit von emotionalen Verletzungen dem Gegenüber besser verzeihen – oder schlechter? Und wenn jemand (wie Andy) einst selbst als Göttin verehrt wurde – wie stark kann der Glaube an eine göttliche Macht dann überhaupt noch werden?
Die frühen Werke waren substanziell
Der in den Medien bereits als „Blockbuster“ (als ob „Blockbuster“ eine inhaltliche Beschreibung wäre) antizipierte Marvel-Film Zhaos, der bislang auf ein geteiltes Echo stieß, krankt dagegen an seinem festen, pompösen Rahmen. Dabei hat die Regisseurin bewiesen, wie vielschichtig sie inszenieren kann, wenn der Rahmen flexibel ist: Ihr Erstling „Songs My Brothers Taught Me“ von 2015 erzählte anrührend von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens zweier Lakota-Sioux-Geschwister aus Pine Ridge und webte Fragen von Identität und Verlust ein.
Der im gleichen Reservat spielende Post-Western „The Rider“ behandelte zwei Jahre später die Probleme eines jungen, angeschlagenen Rodeoreiters und gewann einen Teil seiner Authentizität und Intensität wie sein Vorgänger durch die Besetzung von Laiendarsteller:innen. Und auch Zhaos dritter Film, „Nomadland“, knackte das Fiktiongenre vorsichtig auf, indem er sich an einer echten Reportage über „Vandweller“, Wohnmobilbewohner:innen, in den USA entlanghangelte und mit der Story um die beiden einzigen von Profi-Schauspieler:innen gespielten Charaktere Fern (Frances McDormand) und Dave (David Strathairn) zusätzlich zur „Großen Rezession“ der nuller Jahre auch noch Beziehungsmodelle und Bindungsangst behandelte.
Doch so substanziell wie Zhoes vorherigen Filme waren, so sehr erstickt „Eternals“ in seinen massiven Schauwerten. Immerhin gibt es einen hübschen Plot Twist, über den sich nicht nur Genrefreund:innen freuen werden, und der darum hier nur angedeutet werden darf. Vielleicht so viel: Von Thena kann man noch etwas lernen.
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