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Die Mär vom guten DeutschlandSommermärchen? Von wegen!

Die WM 2006 war ein veritabler Albtraum. Ohne den Jubel über dieses tolle Deutschland würde heute nicht so unverkrampft gedeutschtümelt.

WM 2006: Fanmeile in Berlin Foto: dpa

Es stimmt etwas nicht mit diesem Sommermärchen. Das ist uns in den vergangenen Wochen beigebracht worden. Nicht wenige geben sich überrascht, halten das sogar für eine Nachricht. Dabei stimmen Märchen nie. Im Unterschied zur Sage und Legende sind Märchen frei erfunden. Das weiß sogar Wikipedia.

Märchen transportieren mit ihrem Personal aus Fabelwesen, Hexen oder Ungeheuern einfache Botschaften von Gut und Böse. Beim Sommermärchen ist das nicht anders. Die Mär vom guten Deutschland, die da immer wieder erzählt wird, ist tief eingebrannt in das nationale Gedächtnis. Mit dem, was rund um die Fußball-WM 2006 in Deutschland wirklich geschehen ist, hat diese Volkserzählung jedoch nichts, aber auch gar nicht zu tun.

Glückliche Deutsche, eingehüllt in schwarz-rot-gelbe Stoffbahnen, schwelgen selig in ihrem neuen unverkrampften Patriotismus und begrüßen die Welt mit einer nie gesehenen Gastfreundschaft. Das ist die verlogene Botschaft des Sommermärchens.

„Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold?“, heißt Studie der Psychologin Dagmar Schediwy. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass seinerzeit eben doch nicht alles so unverkrampft war. Sie hat junge Fanmeilenbesucher befragt, und nicht wenige haben gesagt, dass es ihnen um mehr als Fußball geht, wenn sie sich die deutschen Farben auf die Backen malen: „Wir leben in Deutschland. Da ist man stolz auf sein Land.“

In der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ ist das Team um den Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer zu dem Ergebnis gekommen, dass es rund um die WM zu einer Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ gekommen ist. Dass heute sorgenvolle Pegidisten ganz unverkrampft neben Nazi-Kadern stehen und „Wir sind das Volk!“ in den Abendhimmel grölen, hat eine Vorgeschichte.

Man darf wieder Flagge zeigen

Ohne die Jubelberichte über das tolle Deutschland und seine tollen Deutschen mit diesen tollen deutschen Fahnen, die das Land während der WM 2006 überschwemmten, würde heute vielleicht nicht ganz so ungeniert gedeutschtümelt. Man wird ja wohl noch Flagge zeigen dürfen.

Es ist dieser Urtrotz der neuen Nationalisten, der sich bei der WM im eigenen Land Bahn gebrochen hat. Am 9. Juli 2006 um 18 Uhr wurde das Turnier mit dem Spiel Deutschland gegen Costa Rica eröffnet. War dies der Zeugungsakt für den völkischen Wahn, der in diesen Tagen die nach Deutschland Geflohenen in Angst und Schrecken versetzt? Gut möglich.

Was die Sommermärchenerzähler auch gern unter den Tisch fallen lassen, wenn sie über die WM 2006 reden, ist die schlichte Tatsache, dass es sich bei dem Turnier um ein Fifa-Event gehandelt hat. Auch in jenen Jahren, als sich Deutschland um das Turnier bewarb, war schon bekannt, dass es sich beim Internationalen Fußballverband nicht gerade um eine Wohltätigkeitsorganisation handelt.

Fifa-Bahnhof Hannover

Zum Zwecke steuerbefreiten Geschäftemachens wurde der Fifa beinahe das ganze Land übertragen. Mit „Willkommen im Fifa-WM-Bahnhof Hannover!“ wurde begrüßt, wer zur WM-Zeit in der niedersächsischen Hauptstadt angekommen ist. Bäcker, die „WM-Brötchen“ anbieten wollten, wurden von ihrer Innung vor den Fifa-Anwälten gewarnt, die als gnadenlos gelten, wenn es um die Durchsetzung von Markenrechten geht. Die Städte, in denen Spiele stattfanden, wurden in Fifa-Farben uniformiert, so dass die Sponsoren des Verbandes omnipräsent waren.

Die Mär vom guten Deutschland ist tief eingebrannt ins nationale Gedächtnis. Mit dem, was rund um die WM 2006 in Deutsch- land wirklich geschehen ist, hat diese Volkserzählung nichts zu tun

Und wenn von den freundlichen Polizeibeamten geschwärmt wird, die in den WM-Tagen um die Wette gestrahlt haben, wird oft unterschlagen, dass die Bundeswehr allen Verfassungsbedenken zum Trotz zu einem Sicherheitseinsatz im Innern in Marsch gesetzt wurde.

Nicht mal der Fußball, der 2006 vorgetragen wurde, war der Rede wert. Es war eine Beton-WM, die da auf durchweg miserablen Rasenflächen gespielt wurde. Sportlich war das Turnier ein Defensivdebakel. Zum Weltfußballer wurde der Verteidiger gekürt, der bei der WM am besten gemauert hat. Der Kopfstoß eines alternden Fußballgenies im Finale ist die einzige Spielszene dieser WM, die bis heute in Erinnerung ist.

Nein, das Sommermärchen war in Wahrheit ein veritabler Albtraum. Dass auch noch Geld geflossen sein soll, um sie ins Land zu holen, passt da nur allzu gut.

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15 Kommentare

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  • Andreas Rüttenauer kann ich nur uneingeschränkt zustimmen. Mit der WM 2006 wurde das Zur Schau Stellen von Nationalgefühl in Deutschland entttabuisiert und ein Patriotismus heraufbeschworen, der angeblich ganz harmlos, unverkrampft und entspannt sein sollte. Von da bis zu Pegidas Parole "Patriotismus ist kein Verbrechen" , inzwischen zu "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" radikalisiert, führt ein gerader Weg. Und so ist der eigentliche Skandal der "Sommermärchen"-WM nicht die Bestechung, sondern die Tatsache, dass mit tatkräftiger Unterstützung der Medien der Nationalismus wieder gesellschaftsfähig gemacht wurde.

  • WM 2006: Kultureller Tiefpunkt. Gesellschaftlicher Absturz. Intellektueller SuperGAU.

  • Mit Bestechung eine solche Veranstaltung zu kaufen ist genauso schlimm wie durch Doping eine Medaille zu ergaunern. Alle die jetzt sagen dass ersteres ja notwendig (und deshalb nicht so schlimm) war weil Deutschland sonst nicht zum Zug gekommen wäre, all denjenigen ist es auch egal wie die Medaillen zustande kommen. Hauptsache die anderen Nationen ziehen den Kürzeren.

  • Natürlich kann man stolz sein auf Deutschland und Fahnen schwenken. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was das Problem sein sollte.

    Welche abstrusen Werte verbindet denn der Herr Rüttenauer mit Deutschland? Den gleichen Müll wie die Nazis vermutlich.

    Dann tuts mir leid für Rüttenauer&Co.

    • @sowieso:

      Stolz sein auf Schland? Warum? Genau so gut könnten Sie stolz auf des Nachbarn neue Schuhe sein.

      Geschwenkt wurden vor allem Bierfahnen, oder welche meinen Sie?

  • Sehr guter Artikel Herr Rüttenauer, lassen Sie sich nicht irritieren von dem Contra a´la "Spaßbremse". Mag sein, dass es hier und da Spaß gebracht hat, und hier und da ein neues, unproblematisch-bierseeliges Zusammengehörigkeitsgefühl entstand, aber dass überzogener und teils hässlicher Patriotismus/ Nationalismus im Zuge der WM salonfähiger wurde und erhöhte politisch-kulturelle Legitimität erhalten hat ist nicht von der Hand zu weisen.

    • @Parateckxs:

      So sehr ich Ihnen ansonsten beipflichte, daß bei der WM ein "unproblematisch-bierseeliges Zusammengehörigkeitsgefühl" entstanden ist, bezweifle ich. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit basierte nämlich auf einer vorgestellten gemeinsamen Nationalität und hatte damit die gleiche emotionale Grundlage, auf der auch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus basieren.

  • war ganz ok, mit genug Bier gings halbwegs ;-)

     

    Aber mal Spaß beiseite...

     

    Das Schmuddel-Image der deutschen Flagge hat nach und nach dazu geführt, dass die rechtsextreme Ecke die Deutungshoheit darüber zugeschanzt bekommen hat.

     

    Dabei stehen (oder standen zumidnest mal) die Farben schwarz-rot-gold für den Kampf für Freiheit und Demokratie. Eigentlich sollte es hier auch einen Aufstand der Anständigen geben, damit unsere Flagge nicht länger als Synonym für die ewig Gestrigen im Land steht.

     

    Und es ist einer der Kardinalfehler linker Organisationen und der Presse das Zeigen der Deutschland-Fagge zu tabuisieren.

     

    Das führte nämlich zu der Situation, dass von Höckes Auftritt bei Jauch in den Boulevard-Medien hängenbleibt: "Der von der AfD hat die Deutschland-Flagge im Studio dabeigehabt und deswegen wird der jetzt gedisst."

     

    Dass er mit den gefährlichsten Dünnschiss verzapft hat, der seit 1945 im TV gelaufen ist, das ist eigentlich kaum wem aufgefallen...

  • > Der Wahn von Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit wurde durch die WM 2006 ausgelöst.

     

    Gewagte These, der noch einiges an wissenschaftlicher Untermauerung fehlt, aber ich kann den Artikel unterstützen!

     

    Ich finde es mutig, wichtig und richtig endlich zu wagen diese Verbindung zu ziehen! "Fußball hat etwas mit Nationalismus zu tun"? Das wird man ja noch mal sagen dürfen.

     

    Danke für diesen Artikel, endlich!

  • ihr könnt noch 400 solcher artikel verfassen... das sommermärchen könnt ihr nicht beschmutzen.

    bester Sommer.

    • @peter shaw:

      Bester Sommer? Dann möchte ich Ihre anderen Sommer nicht erlebt haben.

  • Die Medien - d.h. die Damen und Herren Journalisten - haben leider zu der damaligen Fahnenschwenkerei und Fahnenhängerei ihren Teil beigetragen. Entspannter Nationalismus, gell, und nichts ist wichtiger als Fußball.

  • Aber das Wetter war ganz prima!

    Oder war das auch ganz schlecht, so bei genauem Hingucken!

    Und in den Stadien wurde gewässert wegen der Fußballer. Ungerecht!

    So jetzt muss ich aber weg, mein Prozac holen.

  • Das das Sommermärchen eine Erfindung der Politik und Medien war, hat der Autor wohl nicht mitbekommen. So ist das eben, wenn man immer das abschreibt, was die anderen grad sagen. Ich erinnere mich an außergewöhnlich gutes Wetter, das zufällig mit der WM zusammenfiel. Oder, um es anders auszudrücken, das richtige Wetter, um sich die Hucke im Park vollzusaufen, halbnackt die neusten Tatoos spazieren zu führen und der Welt zu zeigen, dass man genauso gut wie Malle ist. Was das mit Deutschtümelei zu tun haben soll ist mir rätselhaft. Ganz im Gegenteil: 2006 hat uns die endgültige Aufnahme in die Internationale der Saufbratzen beschert, die größte Fanmeile der Welt war der entscheidene Faktor. Und darauf kann man doch mal stolz sein, oder?

    • @produster:

      Sehr gut ausgedrückt, 100 Prozent Zustimmung. Für mich als Nicht-Fussballfan war es ohnehin ein einziger Alptraum. Von saufenden Horden verstopfte Innenstädte, kein Restaurant ohne Fußballübertragung mit Mega-Bildschirm und Stadionbeschallung, kein Durchkommen auf den Straßen. Sicher hingen aus jedem Fenster und an jedem Auto Fähnchen. Und manche aus dem Partyvolk waren schwarz-rot-gelb bemalt oder behängt. Aber das war eher so eine Mode wie das Dirndl beim Oktoberfest oder die Pappnase zu Fasching.