: Die Lust am Kämmen
Detlev Meyer – einst Geheimtip der Schwulenszene – entzieht sich konsequent allen Schubladisierungen und fragt: „Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?“ ■ Von Detlef Grumbach
„Wir nehmen unseren Tee in einer Confiserie. Alles ist grazil und pastellig: die Gäste und ihre Gespräche.“ Während der Erzähler mit Bertram Tee und Gebäck zu sich nimmt, verwandelt sich das Café in einen Speerschen Lichtdom, changieren die Figuren zwischen „grazil“ und „monströs- bombastisch“: Kraftstrotzend wie Arnold-Breker-Figuren und zu schwach, den Zuckerguß des Gebäcks zu durchstoßen. Das Licht wird ausgeknipst. Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?, fragt ein altersloser Bote, nachdem jemand den Stecker herausgezogen hat und das Licht erloschen ist: „Jemand knipst den Lichtdom an. Da weiß ich, wer ich bin: Ich bin die Flamme. Da weiß ich, wer Betram ist: Bertram ist die Fackel. Aber wer, bittschön, ist das Fräulein Riefenstahl?“
„Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?“ – unter diesem rätselhaft- geheimnisvoll klingenden Titel hat Detlev Meyer in der Düsseldorfer Eremiten-Presse ein bibliophil gestaltetes Bändchen mit kurzer Prosa, sehr dichten und poetischen Texten vorgelegt. Vor achtzehn Jahren erschien die erste Gedichtsammlung des Autors: „Eine Nacht im Dschungel“. Schnell machte er sich einen Namen, wurde zum Geheimtip der Schwulenszene und dann – mit den drei Bänden seiner „Biographie der Bestürzung“ auch einem größeren Publikum bekannt. Die Zeit nannte ihn einen „Virtuosen des Leichtsinns“ und seine Prosa eine „Heiterkeitsdroge“.
Dabei bewegt sich der Autor, der die Geschichte seines Alter ego Dorn erzählt, hart am Rand der Katastrophe. Ein Großstadtmensch der achtziger Jahre genießt die Erfolge der sexuellen Liberalisierung, läßt sich durch das nächtliche Berlin und auch durch Paris treiben, begibt sich mit guten Freunden auf eine Fahrradtour durch Norddeutschland – und wird schließlich abrupt von der Aids- Krise eingeholt.
Vorsichtig nähern sich Dorn und sein Freund Viktor dem bedrohlichen Thema. Bevor es sie beherrscht, machen sie rasch einen Rückzieher, einen Witz, fällt eine erlösende Pointe. Man darf noch einmal lachen, ohne daß die Heiterkeit in Albernheit abgleitet. Langsam suchen sie den richtigen Tonfall, der all den Ängsten, den Verdrängungen und der Not Ausdruck verleiht, der ein Reden über Aids ermöglicht: „Der Leidensdruck soll die Leser nicht erdrücken, er soll die Schönheit der Sprache nicht erdrücken. Das Buch soll ja den Autor und die Leser nicht in Depressionen stürzen, sondern Balance halten zwischen Betroffenheit, Distanz und Nähe.“
Das Feuilleton fragte Jahre nach Erscheinen des letzten Bandes der „Biographie der Bestürzung“ noch immer nach dem deutschen „Aids-Roman“. Meyer ist es gelungen, das Thema zu behandeln, ohne in die Schublade zu geraten. Flieht der Erzähler der neuen, kaum greifbaren Texte aus der Banalität eines prosaischen Alltags und der Bedrohung jetzt in eine Traumwelt? „Nein, er hat eher einen ganz klaren, kalten Blick auf die Realität und sieht, daß er in dieser Realität alleine nicht existieren kann“, antwortet der Autor, „deshalb denkt er sich anderes aus, Surreales, Irreales, um die Welt, in die das Ich geworfen ist, erträglich und bewohnbar zu machen.“
Mal erhebt sich das Ich über die Niederungen des Alltags auf die allerhöchsten Gipfel, mal fällt es viertausend Jahre zurück in das alte Ägypten, mal bekommt es die Gelegenheit, morgens um Dreiuhrfünfundvierzig auf dem Reichssportfeld vor 3,7 Millionen Menschen zu lesen – und verschläft. Obwohl sie auf den ersten Blick als Bruch mit seinem bisherigen Schreiben erscheinen könnten, setzt Meyer seinen eingeschlagenen literarischen Weg mit ihnen fort. „Es ist halt jemand, dieses erzählende Ich und damit auch der Autor, der vielleicht gelangweilt ist durch die Tatsache, immer nur einer zu sein“, erklärt Meyer: „Das dürfte uns eigentlich nicht verwundern, denn auch Dorn hat sich ja entworfen, war Harry Graf Einsiedel, war Lucy Lehmann, der lichtscheue Lyriker, Tasso Tarzan, der troubleshooter, und jetzt ist da dieses Ich – vielleicht ist es Dorn, der spricht – der sagt, ich bin der junge König, ich wäre gerne die Zigarettenspitze einer Dame von Welt, ich bin ein public enemy, gesucht vom FBI, also durchaus auch in der Tradition von Else Lasker-Schüler, die sagt, ich bin nicht nur Else Lasker- Schüler, ich bin auch der Prinz von Theben. Die geht sogar soweit zu sagen, ich bin der brennende Wüstenwind.“
Das Ich dieser merkwürdigen Texte flieht nicht aus einer bedrohlichen Welt, es changiert wie Dorn in der „Biographie der Bestürzung“ zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen dem Nichts und dem Greifbaren. Die Geschichten verweigern sich jedoch einer eindeutigen Lesart oder Interpretation. Um so greller richten sie aber den Lichtstrahl auf die maßlosen Sehnsüchte und Wünsche des Menschen. Als Glatzkopf verschrien, steht der Erzähler da und muß ohnmächtig erkennen, daß er tatsächlich plötzlich kein Haar auf dem Kopf hat und zum Gespött der Leute wird. Bis ihm der Herrgott güldene Locken wachsen läßt. Der letzte Satz der Geschichte lautet: „Alle wollen mich kämmen.“ Ein Wunschtraum, auf den ersten Blick überzeugend und irreal zugleich. Eine Flaschenpost aus der einen Welt, die ihm seinen Platz verweigert, in eine andere, in der er so selbstverständlich erscheint wie der tägliche Sonnenaufgang. So wie die Hoffnung, niemals verloren zu gehen oder die generöse Erklärung: „Ich habe Zeit, ich kann warten.“
„Man könnte sagen, daß diese Sätze magisch sind oder sein wollen, daß sie Zaubersprüche sind, Beschwörungsformeln. Dieses Ich schafft sich eine neue Zeit und einen neuen Raum. Es gibt eine Zeit vor, die uns vielleicht nie beschieden sein wird, die Zeit des verlorenen Paradieses oder die Zeit der schönen Utopie.“ An der Schnittstelle zwischen Wunsch und Wirklichkeit entführt Detlev Meyer seine Leser mit diesen wunderbaren Texten in eine Sphäre, in der beide keinen Widerspruch bilden, in der sie durch seine poetische Kraft versöhnt auf tröstliche Weise zusammengehören.
Detlev Meyer: „Sind Sie das Fräulein Riefenstahl?“ Kurze Prosa. Verlag Eremiten-Presse, Düsseldorf 1997, 60 Seiten, 36 DM
Die „Biographie der Bestürzung“ ist als Taschenbuch erhältlich: Männerschwarm Skript Verlag, Hamburg 1997, 288 S., 29,80 DM
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