Die Linke vor den Landtagswahlen: Austaktiert
In den ostdeutschen Ländern ist die Linke auf dem absteigenden Ast. Daran ist auch ihre unentschlossene Politik der vergangenen Jahrzehnte schuld.
Um 11.59 Uhr rollt „Schwester Agnes“ auf dem Roßplatz vor. 1975 fuhr sie in einem populären Defa-Spielfilm als Gemeindeschwester über die Dörfer der Oberlausitz. Nun hat Die Linke die Erinnerung an sie für den Wahlkampf reaktiviert. Aus zwei Transportern laden Linke-Mitarbeiter eine weiße Schwalbe aus, den DDR-Motorroller, den Schwester Agnes fuhr. Dann stehen sie etwas verloren neben dem Brunnen auf dem Roßplatz herum. Der Standort ist nicht gut gewählt. Der Platz liegt etwas abseits der Einkaufsstraße, es gibt keine Fußgänger, denen man Handzettel und ein Gespräch aufdrängen kann.
„Wie läuft’s?“ Luise „Ise“ Neuhaus-Wartenberg, Platz 9 der sächsischen Landesliste, irgendwie punkige Frisur, überlegt: „Na ja. Mal so, mal so.“ Die Linke setzt in diesem Wahlkampf auf das Thema Landflucht. Neben Schwester Agnes rollt auch ein „Tante Emma“-Laden über die Dörfer. Aber ob es hilft? In Sachsen steht die Linke laut der letzten Umfrage derzeit bei 16 Prozent, fast drei Prozentpunkte weniger als 2014. In Brandenburg sieht es ähnlich aus. In Thüringen, wo erst Ende Oktober gewählt wird, liegt die Linke mit Ministerpräsident Bodo Ramelow immerhin noch bei 25 Prozent. Aber auch das wären drei Prozentpunkte weniger als 2014. Bei diesen Landtagswahlen könnte zu Ende gehen, was lange ein unaufhörliches Erfolgsduo zu sein schien: die Linke und der Osten.
„Viele Menschen hier sind richtig böse“, sagt Neuhaus-Wartenberg. „Nach der Wende haben sie geglaubt, dass richtig was losgeht. Sie haben sich selbständig gemacht, nicht um eine Altersversorgung gekümmert, sind irgendwann krank geworden.“ Heute wüssten sie oft nicht mehr, wie sie den Strom für den nächsten Monat bezahlen können. Sie glaubten der Linken oder der CDU nichts mehr, nur noch der AfD. Dabei galt die Linke doch als die Kümmererpartei des Ostens.
Linke Koalitionsräson
Einhundert Kilometer weiter nördlich, in Brandenburg. Während Die Linke in Sachsen nie regiert hat, ist sie in Potsdam seit 2009 in einer Koalition mit der SPD. Parteiintern gelten die Brandenburger Linken als bieder. Diverse Minister mussten zurücktreten, viel Innovatives hörte man von ihr nicht. Das wichtigste Projekt der noch amtierenden Landesregierung: eine Kreisreform, die die ohnehin weit geschnittenen Kreise noch einmal vergrößert hätte.
Kathrin Dannenberg, 53, hat die Kreisreform mitgetragen. Heute ist sie eine der beiden Spitzenkandidaten der Brandenburger Linken. Anfang August steht sie am Wahlkampfstand in Luckenwalde – und kann sich noch immer über den Moment empören, als die Kreisreform beerdigt wurde: „Ministerpräsident Woidke hat sie gegenüber Journalisten auf einem Parkplatz abgesagt.“ Ohne die Linke vorab zu informieren.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Vielleicht charakterisiert die brandenburgische Linke nichts so sehr wie der Umgang mit der Kreisreform: Sie war ein Projekt der SPD, das die Linke nach internen Debatten durchwinkte. Als der Widerstand in der Bevölkerung wuchs, war es auch die SPD, die das Projekt beendete. Die Linke stand aus Koalitionsräson dazu.
Und vielleicht ist das mit der Linken und den Ostdeutschen ohnehin ein Missverständnis. Der Soziologe Wolfgang Engler hat 1999 den Essayband „Die Ostdeutschen“ geschrieben. Darüber, wie in der DDR die Geschichte im Zweifelsfall Regierung und linke Intellektuelle gegen die Bevölkerung zusammenbrachte, weil das Land nicht durch eine Revolution entstanden war, sondern durch das Ende der Nazidiktatur. Wie sich in den achtziger Jahren die linke Opposition spaltete, in SED-Reformer und Systemgegner.
„Ursprünglich in Funktionärsfamilien herangewachsen und geistig geprägt, entwickelten die Reformisten von früh an einen politisch-pragmatischen Blick auf die Wirklichkeit“, schreibt Engler. „Wirkliche Systemveränderungen konnten [für sie] nur von oben und innen eingeleitet werden; aus den Organisationen, Institutionen heraus; durch taktische Mitgliedschaften; durch kluge Umfunktionierung der Apparate für eigene Zwecke.“
Aber 1989 siegten Opposition und Bevölkerung gegen den Apparat. Erst die anschließende Politik schweißte SED-Reformer und Bevölkerung zusammen: Über die einen verhängte die SPD ein Aufnahmeverbot, die anderen traf der wirtschaftliche Kahlschlag. Sodass sich die PDS in den neunziger Jahren als Repräsentant des Ostens fühlen konnte. Erstmals repräsentierte die Partei tatsächlich nennenswerte Teile der Bevölkerung.
Erfolglos wie die SED-Reformer
Als die PDS in die Landesregierungen kam, setzte sie den Politikstil der SED-Reformer fort. Vorsichtig, taktisch, große Konzessionen machend, unideologisch. So verscherbelten Berlin und Dresden ihre kommunalen Wohnungen. Und überall hieß die Antwort auf die Landflucht, die dem wirtschaftlichen Niedergang folgte: die öffentliche Infrastruktur zurückbauen.
Die PDS und die Linke waren in den Landesregierungen ähnlich erfolglos wie zuvor die SED-Reformer in der SED. Auch deshalb ist heute im Osten die Frontstellung der frühen DDR zurückgekehrt: Partei und linke Intellektuelle gegen den Rechtsradikalismus in der Bevölkerung.
„Ich hätte mir mehr Mut gewünscht, dem Zeitgeist zu widerstehen“, sagt Sebastian Walter, Ko-Spitzenkandidat der brandenburgischen Linken, wenn er über die Phase der Linken spricht, in der sie den öffentlichen Dienst schrumpfte und öffentliches Eigentum verkauften. „Wir waren zu lange still.“ Walter, 29, steht für einen Neuaufbruch der Linken in Brandenburg: Mit Antifa-Demonstrationen sozialisiert, DGB-Regionalgeschäftsführer. Walter will mehr Staat. Sogar der Rettungsdienst soll wieder in öffentliche Hand.
„Die Treuhanderfahrung wirkt bis heute im Osten nach“, sagt Walter am Rande des Infostands auf dem Luckenwalder Markt. „Es gibt kaum jemand über 50, der nicht eine Insolvenz oder Kündigung erlebt hat.“ Walter ist eloquent und engagiert – das Gegenteil jener grauen Funktionärskultur, die die Linke im Osten oft kennzeichnet.
Für diese Wahl mag er noch zu neu und unbekannt sein, um die Linke entscheidend nach oben zu ziehen. Langfristig könnte er für einen Neuaufbruch der Linken in Brandenburg stehen: eine, die härter das eigene Programm gegenüber den Koalitionspartnern vertritt und sich um die Bevölkerung kümmert.
Der nächste Umbruch
Wenn nicht der nächste industrielle Umbruch in Brandenburg anstünde. Im Süden des Landes, der Lausitz, werden die Braunkohletagebaue bis 2038 abgewickelt. Die Linke hat lange die Pro-Kohle-Politik der SPD mitgetragen, will nun aber noch schneller aussteigen. Dank des Kohlekompromisses wird eine Menge Geld für den Strukturwandel in die Lausitz fließen.
Aber Brandenburg hat keine guten Erfahrungen mit dem Neuaufbau nach einem industriellen Kahlschlag. Die Leuchtturmprojekte der neunziger und nuller Jahre wie die Cargolifter-Fabrik scheiterten, auch den Umstieg auf erneuerbare Energien kann man nicht mehr als Erfolgsrezept verkaufen. Die Solarfabriken in Frankfurt (Oder) haben längst wieder dichtgemacht.
„Wir werden nicht jeden Industriearbeitsplatz durch einen neuen Industriearbeitsplatz ersetzen können“, sagt Walter. „Wir können Infrastruktur schaffen: Bahnanbindungen, Busse, Internet. Brandenburg hat wirtschaftliches Potenzial.“
In diesem Wahljahr hat Die Linke noch einmal die Treuhand als großes Thema entdeckt. Vielleicht auch, weil damals die Fronten eindeutig waren: Es waren der Westen und die CDU, die den Osten nach der Wende abbauten. Jetzt übernimmt die Linke den Abbau Ost selbst. Aus Gründen. Aber mit ungewissem Ausgang.
Und ist dies nun Zeitgeist oder der Mut, ihm zu widerstehen? In Berlin verkündet Parteichef Bernd Riexinger in diesem Sommer im Wochentakt neue Ideen, was Die Linke verstaatlichen könnte: Mal sind es Energiekonzerne, mal Luftverkehrsgesellschaften. Es sieht nach einer neuen Parteilinie aus: Die Linke, das ist grüne Politik plus Verstaatlichungen. Haken: Klimaschutz ist populär, Verstaatlichungen sind es nicht. Mit dem Klimathema gewinnt man die Jugend, verliert aber Ältere im Osten. Opfert die Linke nun den Osten, um endlich im Westen anzukommen?
Auch in Sachsen hat Die Linke neue Ideen für Vergesellschaftungen. Läden im ländlichen Raum könnten künftig von einer öffentlichen Gesellschaft betrieben werden. Oder von Genossenschaften: „In Südtirol gibt es Dorfläden auf 2.500 Meter Höhe“, sagt Luise Neuhaus-Wartenberg. „Wenn sie nicht genug Umsatz erwirtschaften, zahlt der Staat Beihilfen.“ Statt für den Rückbau staatlicher Strukturen wie bei der Brandenburger Kreisreform wirbt Die Linke nun für ihren Ausbau.
Die Delitzscher lassen den Linken-Stand trotzdem am Rand liegen. Einer der Wahlhelfer setzt sich auf die Schwalbe, dreht zwei Runden um den Brunnen. „Jetzt hast du den Stickoxidanteil erhöht“, witzelt ein Genosse. „Ise, hast du auch was zu Umwelt im Programm stehen?“ Hat sie nicht. Der neue linke Umwelt-Zeitgeist – in Delitzsch ist er noch nicht angekommen.
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