piwik no script img

Die Kunst des KunstraubsPicasso al forno

Kunstwerke zu klauen ist was für Dilettanten. Schwerer ist es, die Werke wieder loszuwerden. Der Prozess gegen die Bilderdiebe von Rotterdam geht weiter.

Hier hing mal ein Matisse: Rotterdamer Kunsthalle Bild: ap

BERLIN taz | Eigentlich sollte Edvard Munchs Gemälde „Zwei Freunde“ als eines der Highlights im Moderna Museet Malmö hängen. Tatsächlich fand es sich bei einer Hausdurchsuchung vor drei Jahren im schwedischen Landskrona wieder. Dass es dem Museum abhandengekommen war, hatte dort bis dahin niemand bemerkt. Das Bild ist etwa 1 Million Euro wert.

Auch das berühmte goldene Salzfass des italienischen Renaissancekünstlers Benvenuto Cellini, Schätzwert 50 Millionen Euro, kam 2003 eher zufällig abhanden. Ein Wiener ließ die Saliera morgens um vier Uhr, auf dem Heimweg von der Disko, mitgehen. Als er am eingerüsteten Kunsthistorischen Museum vorbeikam, fand es der angeschickerte Mann eine gute Idee, über das Baugerüst in das Museum einzudringen, um sich an dessen Schätzen zu bedienen. Um halb neun Uhr in der Früh entdeckte dann der Oberaufseher den Diebstahl.

Im Film sieht die Sache mit dem Kunstraub merkwürdigerweise immer ganz anders und sehr viel aufregender aus. Für Hollywood ist die Logik des Kunstraubs vor allem seine Logistik. Und die hat es in sich, schaut man sich „Ocean’s 12“ an oder die Neuauflage der „Thomas Crown Affäre“.

Da müssen Räumlichkeiten unverdächtig ausgekundschaftet und Alarmanlagen erst gecheckt und danach höchst kompliziert entschärft werden. Das blitzschnelle Rein-raus-Spiel am Ende ist dabei immer die dramatische Apotheose einer aufwendigen Dramaturgie der Planung von langer Hand.

Mit dem Schraubenzieher

Verschollenes Diebesgut

Mit „Woman With Eyes Closed“ wurde auch ein Gemälde von Lucian Freud (1922-2011) aus der Rotterdamer Kunsthalle gestohlen. Dem Enkel Sigmund Freuds wurde bereits 1988 in der Neuen Nationalgalerie Berlin ein Porträt gestohlen, das der Künstler 1952 von seinem Freund Francis Bacon gemalt hatte. Wie sehr ihn dieser Verlust schmerzte, lässt sich daran ersehen, dass Freud 2002 anlässlich der Eröffnung seiner bisher umfassendsten Retrospektive in der Tate Britain in einem besonderen Aufruf darum bat, ihm das kleine 17,5 x 12,8 Zentimeter messende Gemälde zurückzugeben. Seine Hoffnung, das Porträt noch in die Ausstellung einfügen zu können, erfüllte sich leider nicht.

Auch zwei andere Bilder, die ein Jahr später in Berlin abhandenkamen, sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Zwei Männer hatten im September 1989 im Schloss Charlottenburg die Wärter überwältigt. Sie ließen zwei Bilder von Carl Spitzweg mitgehen, darunter eine Fassung des berühmten Werks „Der arme Poet“.

Weiter sind bislang auf der Strecke geblieben: zwei 2002 gestohlene van Goghs und Paul Cézannes „Der Knabe mit der roten Weste“ sowie Edgar Degas „Ludovic Lepic und seine Töchter“. Letztere Gemälde wurden am 10. Februar 2008 aus dem Bührle-Museum in Zürich gestohlen, zusammen mit einem Claude Monet und Vincent van Goghs „Blühenden Kastanienzweigen“, die jedoch wenig später wieder auftauchten.

Das blitzschnelle Rein-raus-Spiel in der Rotterdamer Kunsthalle im Oktober 2012, das gestern vor einem Gericht in Bukarest verhandelt werden sollte, bedurfte übrigens nur des Wissens, wie man einen Schraubenzieher benutzt. Innerhalb von 2 Minuten und 48 Sekunden konnten mit ihr sieben Meisterwerke von unschätzbarem Wert von der Wand genommen werden.

Das Museum hatte auf Wachpersonal verzichtet, weil es sich auf die Technik seines Sicherheitssystems glaubte verlassen zu können. Sie funktionierte auch. Doch bis freilich die Sicherheitskräfte eintrafen, waren die Diebe mit den Werken von Picasso, Monet, Matisse, Gauguin, Meyer de Haan und Lucian Freud längst verschwunden.

Sie sollen den Matisse haben: Eugen Darie (Mitte) und Radu Dogaru (r.) beim Prozessauftakt Bild: ap

Die Täter: eine Handvoll Kleinkrimineller und ihr mutmaßlicher Anführer, die sich an diesem Kunstraub verhoben haben. Die sechs Rumänen raubten in Holland und Belgien Wohnungen aus, manipulierten Bankomaten und schickten ihre Freundinnen auf den Strich. Dass sie vor ihrem Raub jemals ins Museum gegangen wären, ist nicht bekannt.

Als sie dann aber irgendwie mitbekamen, dass sich Kunstgegenstände auf dem Schwarzmarkt gut verkaufen lassen, „da haben sie in ihr Navi als Zielort ’Museum‘ eingegeben“, erzählte der rumänische Journalist Attila Biro der ARD. „Auf diese Weise kamen sie zum Museum für Naturgeschichte und dann erst zur Rotterdamer Kunsthalle.“

Gutachten zur Asche

Je länger man sich mit der Geschichte der Kunstdiebstähle befasst, desto mehr erscheint sie als eine Geschichte der individuellen, aber auch der gesellschaftlichen Überforderung durch die Kunst. Und das gilt für die Bestohlenen genauso wie die Diebe selbst. Das belegt gerade die tragische Pointe im jetzt verhandelten Raubfall von Rotterdam. Olga Dogaru, die Mutter des Hauptverdächtigen Radu Dogaru, will die Gemälde verbrannt haben, um die Beweise zu vernichten. Zwar zog sie ihre Aussage wieder zurück, doch ein Gutachten zur Asche aus ihrem Badezimmerofen spricht dagegen. Für den Experten und Direktor des Rumänischen Historischen Museums, Ernest Oberländer-Tarnoveanu, deuten die in der Asche gefundenen gelben, roten und grünen Farbpigmente sowie die Kupfernägel und Eisenhaken darauf hin, dass in dem Ofen Gemälde verbrannt wurden. Ob es sich um die geraubten Kunstwerke handelt, ist bislang aber nicht bestätigt.

Tatsächlich gehen Kunstwerke bei Diebstählen vor allem deshalb verloren oder werden ruiniert, weil die Diebe mit der Beute oder zumindest Teilen davon nichts anzufangen wissen. Die Arbeiten gehen dann im kriminellen Milieu von Hand zu Hand, bis sich ihre Spur ganz verliert. Dass man mit ihrer bewussten Vernichtung rechnen muss, zeigt die Festnahme von Vrejan Tomic und seinen Komplizen, einem Antiquar sowie einem Experten für alte Uhren, im letzten Jahr.

Der Raub im Pariser Palais de Tokyo hatte am 20. Mai 2010 für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Tomic war angeheuert worden, ein Werk des Kubisten Fernand Léger aus dem Musée d’art moderne de la Ville de Paris zu besorgen. Als er dann bei seinem nächtlichen Einbruch bemerkte, wie einfach sich der Diebstahl gestaltete, nahm er gleich noch einen Braque, einen Modigliani, einen Picasso und „La Pastorale“ von Henri Matisse mit. Kunstwerke im Wert von insgesamt rund 100 Millionen Euro, die – obwohl sie offenkundig Paris nie verlassen haben – bis heute nicht gefunden wurden. Auch hier steht die Behauptung im Raum, sie seien in der Müllverbrennungsanlage gelandet.

Noch ein Museum mit Sicherheitslücken: Musée National d'Art Moderne in Paris 2010 Bild: dpa

Während die Überforderung auf Seiten der Eigentümer, etwas ganz und gar Einzigartiges und Unwiederbringliches zu besitzen, oft in Sicherheitsvorkehrungen deutlich wird, die in groteskem Missverhältnis zum Wert der Sammlung stehen, zeigt sich diese Überforderung auch auf Seiten der Diebe im paradoxen Umgang mit den Kostbarkeiten. Der Wunsch, das Diebesgut möglichst profitabel wieder zu veräußern, gerne auch an den ursprünglichen Besitzer, wenn er zu zahlen bereit ist, kulminiert bei schleppendem Fortgang in einer geradezu hysterischen Furcht, das Zeug nicht rechtzeitig loszuwerden.

Die kuriose Tatsache, dass bestimmte Sammlungen oder Kunstwerke immer wieder geraubt werden, hat bislang noch kein Film aufgegriffen. So wurde bis heute schon vier Mal versucht, die Beit Collection in Irland mit Kunstwerken von Goya, Vermeer, Rubens und Gainsborough auszurauben. 1974 überfiel eine Gruppe der irischen Terrorgruppe IRA das Russborough House in Blessington, Irland, und raubte 19 Gemälde. Dabei wurden die Familie Beit und ihre Angestellten mit Pistolen bedroht und gefesselt – so viel zur peniblen Planung eines Kunstraubs. Die Gruppe scheiterte mit dem Plan, zwei IRA-Mitglieder aus der Haft freizupressen. Wenige Wochen später wurden die Gemälde glücklicherweise wieder aufgefunden.

Pfand für Heroin

1986 stattete dann Martin Cahill dem Haus einen Besuch ab. Der Überfall des legendären Dubliner Kriminellen gilt als einer der größten Kunstraube der Geschichte. Er erbeutete mit seiner Bande 18 Gemälde im Wert von 30 Millionen Irischen Pfund. Auch hier wurden die Bilder bis auf zwei Gemälde wiedergefunden. Ein Frauenporträt von Gabriel Metsu fand sich in Istanbul, wo es interessanterweise als Sicherheit für eine Schiffsladung Heroin hinterlegt worden war. 2001 und 2002 wurden in Russborough House, wo sich ein Teil der Beit-Sammlung befand, zwei beziehungsweise fünf weitere Gemälde, darunter zwei Rubens, gestohlen. Inzwischen wurde die Sammlung nach Dublin verlegt, wo sie bislang unbehelligt blieb.

Den größten Kunstraub der US-amerikanischen Geschichte verübten zwei vermeintliche Polizisten 1990, die nach der offiziellen Öffnungszeit Einlass in das Isabella Stewart Gardner Museum in Boston erhielten. Dieses Jahr im März, nach 23 Jahren, konnte das FBI zwei Männer aus dem Umfeld des Bostoner Mafioso David Turner als die Diebe identifizieren. Die dreizehn gestohlenen Gemälde, darunter ein Vermeer, drei Rembrandts, ein Manet und ein Degas, im Gesamtwert von heute 500 Millionen Dollar sind allerdings noch immer verschollen.

Das große Problem der Kunstdiebe ist es, einen Käufer für ihre heiße Ware zu finden. Meist läuft es auf Erpressung hinaus. Statt Menschen werden Kunstwerke gekidnappt, in der Hoffnung, die Eigentümer oder die Versicherung kaufen die Bilder wieder zurück.

Auch in Bukarest wird mit erpresserischen Mitteln gearbeitet. Nach Angaben des Anwalts des Hauptverdächtigen Radu Dogaru will sein Mandant fünf der sieben Gemälde zurückzugeben, wenn ihm der Prozess in den Niederlanden gemacht wird. Der Hintergrund: Dogaru wird in seiner Heimat wegen Mordes und Menschenhandels gesucht.

Das Mitte August in Bukarest begonnene Verfahren gegen die insgesamt sechs Angeklagten wurde kurz nach dem Beginn vertagt und wird nun am 10. September fortgesetzt. Den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung des aktuell verhandelten Falls lieferte eine rumänische Kunstexpertin. Der Kuratorin Mariana Dragu vom Nationalen Kunstmuseum in Bukarest wurden einen Monat nach dem Raub zwei der gestohlenen Bilder zur Begutachtung vorgelegt, worauf sie die Staatsanwaltschaft informierte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • G
    Gästin

    Interessanter Artikel!!!

    • C
      caniloup
      @Gästin:

      Dem Urteil von Gästin möchte ich mich anschließen. Auch stilistisch gefällt mir der Artikel.