Kunstraub und Kunsthandel: Wandlungen eines Kunstsinnigen
Hildebrand Gurlitt kämpfte in der sächsischen Provinz für die Moderne. Später verscherbelte er sie für die Nationalsozialisten.
ZWICKAU/ DRESDEN taz | Die Kaitzer Straße in Dresden zieht sich schnurgerade durch die Südvorstadt, die Fassaden der Altneubauten leuchten gelb, die Dächer rot, der Rasen ist saftig. Bis 1945 säumten Villen die Straße. Standesgemäße Lage für Beamte, Unternehmer, Professoren. Auf dem Grundstück Nummer 26 stand die Villa der Familie Gurlitt. Hier ist der spätere Kunsthändler Hildebrand Gurlitt aufgewachsen.
Die Villa sei im Februar 1945 wie fast alle Villen in der Straße durch Bomben und Feuersturm zerstört worden, mit allem, was sich darin befand, Möbel, Wertgegenstände, Kunstwerke. So behauptete es nach dem Krieg Hildebrand Gurlitt. Die Südvorstadt gehörte zu den am schwersten getroffenen Gebieten der Stadt. Wer dort seine Haut retten konnte, musste kaum Nachfragen nach Hab und Gut befürchten. Eine perfekte Legende, um Spuren verwischen.
„Es ist verbürgt, dass Marie Gurlitt nach dem Angriff im Kellergeschoss gelebt hat“, sagt Matthias Lienert. Zumindest das Kellergeschoss blieb also unversehrt. Lienert leitet das Archiv der Technischen Universität Dresden und hat zur Familie Gurlitt geforscht.
Der Vater Cornelius Gurlitt, ein angesehener Dresdner Gelehrter, war der Patriarch, mit Orden und Meriten versehen, ein Universalgelehrter, Organisator, Kommunikationstalent, dazu ein cleverer Charakter, der ohne Abitur und Studienabschluss eine außergewöhnliche Karriere hinlegte. Und ein unermüdlicher Arbeiter. Lienert kommt bei Cornelius Gurlitt schnell ins Schwärmen.
Vaters Beziehungen
Der Fund: Bereits im Februar 2012 stießen Fahnder bei einer Durchsuchung der Wohnung von Cornelius Gurlitt (der wie sein Großvater heißt) auf rund 1.400 Gemälde, Aquarelle, Lithografien, Drucke und Zeichnungen von Künstlern der klassischen Moderne. Viele der Werke galten unter den Nazis als "entartet" und später als verschollen. Gurlitt, Jahrgang 1933, gab an, dass es sich bei dem Fund um den Nachlass seines Vaters Hildebrand Gurlitt handele.
Der Nazihändler: Hildebrand Gurlitt (1895-1956) hatte als vom Naziregime beauftragter Kunsthändler mehr als 4.000 Werke "entarteter Kunst" von den Nazis erworben, um diese ins Ausland zu verkaufen. Bei vielen Werken verliert sich die Spur - bis zum 3. November. An diesem Tag berichtete erstmals der Focus über den Fund. Seitdem beschäftigt Experten die Frage, wem die Arbeiten gehören. Museen und Privatpersonen melden Ansprüche an. Eine erste Liste mit 25 Werken hat die Staatsanwaltschaft am Montag veröffentlicht. (thg)
Sohn Hildebrand dürfte einige Talente geerbt haben? Lienert nickt. Dessen Studium an der Sächsischen Technischen Hochschule zu Dresden war allerdings weniger strebsam. Lienert öffnet die vergilbte Mappe mit den Studienunterlagen. Hildebrand schrieb sich in der allgemeinen Abteilung ein, einer Art Studium generale, belegte Vorlesungen über Impressionismus, Logik, Richard Wagner, europäische Geschichte, Johann Sebastian Bach. Formenlehre, Städtebau und Geschichte der Baukunst hörte er bei seinem Vater.
Gurlitt, Jahrgang 1895, ist ab Herbst 1914 allerdings mehr im Fronteinsatz als im Hörsaal, wird nach eigenen Angaben dreimal verwundet. Die Leitung der Hochschule gratuliert ihm 1915 zum Eisernen Kreuz. Der Studienabschluss ist weniger glorreich. Lienert zückt ein Papier. „Die Ausstellung eines Abgangszeugnisses wird nicht beantragt.“ Dresden, den 7. 1. 1920.
Gurlitt schreibt sich danach in Berlin und Frankfurt ein, promoviert. 1923 heiratet er und wird Assistent der Sammlung für Baukunst an der Technischen Hochschule Dresden. Mithilfe seines Vaters, wie Matthias Lienert vermutet. Und zumindest indirekt hat Cornelius Gurlitt einen Anteil daran, dass Hildebrand seine erste standesgemäße Anstellung erhält.
Die alten Ölschinken rausgeschmissen
Das Gebäude der heutigen Kunstsammlungen in Zwickau mit seiner grünspanbedeckten Rotunde und den beiden langgestreckten Flügeln strahlt auch nach fast einhundert Jahren den Anspruch der Zwickauer Bürger aus, es den kunstsinnigen Nachbarn in Dresden, Leipzig und Chemnitz gleichzutun. Am 1. Juni 1925 tritt Hildebrand Gurlitt hier seine Stelle als Direktor des damaligen König-Albert-Museums an. Der Neubau war 1914 eröffnet worden, das vier Abteilungen umfassende Museum, eher der Heimatkunde verpflichtet als den großen Kunstströmungen seiner Zeit, wurde zuvor ehrenamtlich geleitet. Oberbürgermeister Holz spürte, dass auch inhaltlich ein Neuanfang nötig wäre.
Unter den zwanzig Bewerbern setzt sich Gurlitt durch. Seine breit gefächerte Ausbildung, seine guten Beziehungen und nicht zuletzt seine untadelige Herkunft überzeugen den Stadtrat. Gurlitt verspricht die Vermehrung des Bestandes, er will Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Museumspädagogik, das Mäzenatentum intensivieren.
Zunächst lädt Gurlitt Hans Posse, den Direktor der Dresdner Gemäldegalerie ein, die Zwickauer Bestände zu begutachten. Posse stellt ein „vernichtendes Urteil“ aus, wie Gurlitt befriedigt vermerkt. Umgehend entfernt er alte Landschaftsbilder und lässt sie in Zwickauer Amtsstuben und Rathausgängen aufhängen. „Ich wünsche Ihnen Erfolg, auf dass auch in dieser Wüste eine Oase entstehen möge“, schreibt ihm erfreut der gebürtige Zwickauer Max Pechstein. Gurlitt will möglichst bald eine Pechstein-Ausstellung organisieren.
Kandinsky trägt vor
Gurlitt lässt die Museumsräume vom Bauhaus gestalten, er korrespondiert mit Georg Grosz, Karl Schmidt-Rottluff. Wassily Kandinsky schreibt Gurlitt, dass er ihm zehn Arbeiten schicken werde. „Was aber den Vortrag anlangt, so weiß ich nicht, ob meine Bedingungen für Sie annehmbar sind“, gibt Kandinsky zu bedenken. Bahnreise, zwei Tage Aufenthalt für sich und seine Frau, sowie 150 Mark Honorar dürfte für die klamme Museumskasse eine große Belastung sein. Bald lädt ein Plakat zum Vortrag des bekannten Professors vom Dessauer Bauhaus ein, Thema: Die abstrakte Kunst.
In der Kuppelhalle veranstaltet Gurlitt Konzerte, Uraufführungen. Er ist nicht nur Manager, auch Pädagoge, meist führt er selbst durch die Ausstellungen, neben die Bilder heftet er Zettel mit kleinen kunstgeschichtlichen Abhandlungen. Gurlitt erwirbt Aquarelle, Grafiken, Drucke – Kirchner, Kokoschka, Nolde, Lissitzky, Kandinsky, Barlach, Schmidt-Rottluff und immer wieder Pechstein. Das Gemälde „Die Frau auf dem Sofa“ von Pechstein kauft er für 700 Mark.
NSDAP macht Gegenwind
Mit dem Amtsantritt von Gurlitt verdoppeln sich die Besucherzahlen auf 20.000. Gurlitt scheint wie entfesselt und bekräftigt im Januar 1928 noch einmal, dass er in Zwickau eine Sammlung aufbauen will, „die ihresgleichen in Deutschland nicht hat“. Da wiegen die Zwickauer Ratsherren schon bedenklich die Köpfe. Nicht nur dass der Stadt in der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise das Geld knapp wird.
Gurlitt hat Gegner. Alte, die den Landschaftsbildern nachweinen und Gurlitts Einkäufe als „Dutzenddingerchen“ schmähen. Und neue – die Zwickauer NSDAP und die Ortsgruppe des „Kampfbundes für die deutsche Kultur“. 1929 ist klar, dass dem Stadtrat der Neubau des Bahnhofs wichtiger ist als moderne Kunst. Gurlitts Tage sind gezählt. Die Leitung des Museums soll ab April 1930 erneut ehrenamtlich erfolgen.
„Soll das alles wirklich wieder verwaisen?“, fragt das Zwickauer Volksblatt entsetzt. „Soll hier unten wieder eine Abladestatt für genagelte Hindenburgen, bestückt mit Vorderladern und bewehrt mit Spießen, sich wieder auftun?“ Tage später giftet die Zwickauer NSDAP gegen die „kulturelle Zersetzung“. Die Abberufung Gurlitts sei zu begrüßen.
Die gute Kunst von morgen
Doch zuvor eröffnet Gurlitt eine Ausstellung mit seinen Neuerwerbungen und hält ein flammendes Plädoyer für moderne Kunst. „Wir leben in einer Zeit der schlimmsten Kämpfe, um alle entscheidenden geistigen Fragen“, ruft er in den Kuppelsaal. Alles befinde sich im Umbruch. Die Kunst müsse helfen bei der Gestaltung einer neuen Welt. „Gute Kunst war immer von morgen und übermorgen.“ Die Sammlung enthalte nur Werke der wirklich bedeutenden Künstler der Gegenwart.
Jedes neue Kunstwerk sei voller Problematik, unruhig und beängstigend. „Wenn deshalb den Besucher das eine oder andere Werk in dieser Sammlung erregen oder ärgern sollte, so beweist dies eigentlich erst den Sinn der Sammlung.“Gurlitt hat Unterstützer. Im Januar 1930 trifft sich der neugegründete „Kreis der Museumsfreunde Zwickau“, 450 Mitglieder, darunter Max Pechstein, protestieren gegen die Abberufung. Vergeblich. Am 1. April endet die Ära Gurlitt. Das Museum wird für drei Jahre geschlossen, danach präsentiert es Mineralien, Landschaftsbilder und Klöppelkunst.
Hildebrand Gurlitt übernimmt nun in Hamburg die Leitung des Kunstvereins, wo er 1933 nach Hitlers Machtantritt entlassen wird. Zwickau ist überall. Umso mehr, da Gurlitts Großmutter Elisabeth Lewald aus einer jüdischen Familie stammte. Als im März 1938 Gurlitts Vater Cornelius stirbt, versagen die Stadt Dresden und der Freistaat Sachsen dem „Halbjuden“ jegliche Totenehrung.
Einkäufe für das „Führermuseum“
Gurlitt ist zu dieser Zeit bereits Kunsthändler, von den Nazis betraut mit der Veräußerung „entarteter Kunst“. Die „Gestaltung einer neuen Welt“ haben andere übernommen, und die „wahrhaft bedeutenden Künstler der Gegenwart“ verwertet Gurlitt wie ein Abdecker. Einkäufe für das geplante „Führermuseum“ in Linz kommen ab 1943 hinzu. Dieses Projekt leitete bis 1942 der Dresdner Hans Posse, jener Posse, der den jungen Gurlitt 1925 mit seiner Expertise unterstützte.
Nach Kriegsende, nach erfolgreicher Entnazifizierung rechtfertigt er im November 1946 in einem Brief gegenüber Ernst Holzinger, Direktor des Frankfurter Städel-Museum, seinen Seitenwechsel – und sein Schweigen: „Wer zwangsweise seinen Beruf wechseln musste, und es dann noch in einer Art Trotz zu schwer erarbeiteten Erfolg brachte, […] wer all die Jahre in Angst und Sorge vor Denunziation, Zwangsarbeit und Mischlingsbataillone lebte – wirklich, der hat jetzt kaum noch die Kraft den Mund aufzumachen.“ Was seinen eigenen zweifelhaften Besitz anlangt, tut er den Mund wirklich nicht mehr auf. Dem Stolz auf den „schwer erarbeiteten Erfolg“ folgt eine dritte Karriere als Leiter des Kunstvereins in Düsseldorf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“