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Die Kunst des BilderverschickensExistenzbestätigung

Von der Postkarte zum Social-Media-Auftritt: Das Versenden und Teilen von Fotos ist Thema der Ausstellung „Send me an image“ in der C/O Galerie in Berlin.

Blick in die Ausstellung „Send me an Image“ mit Peter Millers „The Enevope“ Foto: C/O Berlin, David von Becker

Wer verreisenden Freun­d*in­nen hinterruft „Schreib eine Karte“, erntet dieser Tage eher erstaunte Blicke. Stattdessen bekommt, wer bei einem sozialen Netzwerk angemeldet ist, unweigerlich präsentiert, wie sich Bekannte – nicht nur auf Reisen – inszenieren: beim Essen, mit Arschbomben, vor eindrücklicher Kulisse. Wenn das Bild überhaupt Worte braucht, sind die selten an eine Person adressiert; die Beziehung zum Empfänger spielt kaum eine Rolle.

Was sich in der Kommunikation durch Bilder in den letzten 150 Jahren gewandelt hat, zeigt die sehenswerte Ausstellung „Send me an Image. From Postcards to Social Media“ in der Fotogalerie C/O Berlin. Eigentlich wollte man mit der Schau, die ja zugleich so etwas wie ein Metakommentar zur eigenen Arbeit ist, im vergangenen Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiern; pandemiebedingt findet sie erst jetzt statt.

Am Eingang erwartet einen ein chaotischer Haufen ausgedruckter Fotos. Der niederländische Künstler Erik Kessels hat für die Installation aus dem Jahr 2004 alle Bilder ausgedruckt, die an einem Tag auf die Foto­sha­ring-Plattform Flickr hochgeladen wurden: Etwa 350.000 Bilder, so trivial wie beliebig.

Aus heutiger Sicht mutet diese Schnappschusssammlung aus der Prä-Smartphone-Ära fast übersichtlich an. Eine knappe Dekade später, im Jahr 2013, wurden allein bei Facebook täglich 343 Millionen Bilder hochgeladen. Aktuell werden in zwei Minuten mehr Bilder mit einer kleinen oder großen Öffentlichkeit geteilt, als im gesamten 19. Jahrhundert aufgenommen wurden.

Ausstellung und Katalog

„Send me an Image: From Postcards to Social Media“. Bis 2. September, täglich 11–20 Uhr, C/O Berlin, Online-Tickets über co-berlin.org

Katalog im Steidl Verlag, 328 Seiten, 28 Euro

Das erfährt man im Einführungstext „Vom Senden und Teilen“ des gelungenen Ausstellungskatalogs. Felix Hoffmann und Kathrin Schönegg, die Ku­ra­to­r*in­nen der Schau, sehen in der aktuellen, durch die Digitalisierung und technologische Vernetzung befeuerten Kommunikation über Fotos „keine dynamisierte Fortführung von geschichtlichen Parametern, sondern eine Zäsur.“

Die Feldpostkarten

Seit Bilder mit der Entwicklung der Fotografie beliebig reproduzierbar wurden, gingen sie durch verschiedene Medien auf Reisen: als Postkarte, später auf telegrafischem Weg, auch in Zeitschriften. Im Deutsch-Französischen Krieg wurden – die Postkarte war gerade erfunden – innerhalb von fünf Monaten 10 Millionen Feldpostkarten verschickt. In den folgenden Jahrzehnten bildeten die von unterwegs verschickten Bilder oft Unglücke, Katastrophen, aber auch spektakuläre Bauprojekte ab; private Korrespondenz enthielt meist einen Nachrichtenwert.

Doch schon in diesen frühen Tagen stand der Austausch von Fotografien auch für Anhäufung von sozialem Kapital. In den späten 1850er Jahren hatten sich die sogenannten Cartes de Visites durchgesetzt. Fotoporträts wurden so erschwinglich, dass breitere Schichten ihre Familie, aber auch Freunde und Bekannte mit dem eigenen Bild beschenken konnten. Die wurden dann in Alben gesammelt; der Beschenkte stellte so nicht zuletzt seine gesellschaftliche Eingebundenheit unter Beweis. Auch diesen Vorläufer des Fotoversands präsentiert die Ausstellung.

Rahmenbedingungen der Ent­wick­lung dieses Mediums erschießen sich beim Rundgang durch die Galerie durchaus. Im Fokus der Ausstellung stehen allerdings eher die künstlerischen, kurzweiligen, oft verspielten Annäherungen daran, was hinter dem Teilen von Fotos steckt. Wichtiger als das Bild an sich ist schließlich der Umstand, dass man eine Botschaft in die Welt schickt.

Es erstaunt kaum, dass das erste per Handy an Tausende von Menschen verschickte Foto ein Neugeborenes abbildete: die Tochter des IT-Unternehmers Philippe Kahn. Der hatte 1997 einen Computer, ein Handy und eine Kamera so zusammengebastelt, dass er das Foto direkt nach Aufnahme verschicken konnte. Schnell wurde daraus eine Technologie für die Allgemeinheit. In Japan kam die erste Handykamera bereits 1999 auf den Markt, hierzulande drei Jahre später.

Postkarten als Kunstprojekt

Das Bedürfnis nach andauernder Bestätigung der eigenen Existenz, die durch diese Technik möglich und durch die sozialen Netzwerke angefüttert wurde, trieb der japanische Konzeptkünstler On Kawara bereits 1969 auf die Spitze. Für seine Arbeit „I Got Up“, von der hier ein kleiner Ausschnitt zu sehen ist, sollte er über die nächsten zwölf Jahre insgesamt gut 8.000 Postkarten mit klassischen Touristenmotiven verschicken – zwei am Tag, an zwei Bekannte. Den Karten ist nur die Uhrzeit zu entnehmen, zu der On Kawara an dem betreffenden Tag aufgestanden ist, und zudem der Ort, an dem der vielgereiste Künstler gerade war.

Die begleitende Lektüre des Katalogs ist angesichts der eher schlaglichtartigen Annäherungen durchaus ein Gewinn – sind die aufgeworfenen Fragen doch voller Widersprüche. So verdeutlicht „Photo Opportunity“ von Corinne Vionnet, wie eine Erfahrung genau dadurch homogenisiert wird, dass sie mehr und mehr Menschen offensteht. Über die Schlagwortsuche auf Fotosharing-Seiten hat Vionnet für diese Arbeit private Aufnahmen touristischer Attraktionen übereinandergeblendet. Das Ergebnis sind Bilder, denen das Diffuse, Unscharfe schon eingeschrieben ist.

Möglich wurde Vionnets Arbeit nicht zuletzt dadurch, dass das Gros der Fotos, die mit einer großen oder kleinen Öffentlichkeit geteilt werden, Metadaten enthalten. Die wiederum werden von Algorithmen, bisweilen auch von Content-Moderatoren, weiterverarbeitet.

Wem nützt es?

Auch wenn durch die Bündelung von Kamera und Handy in einem Gerät neue Formen der Selbstdarstellung ermöglicht wurden, beim Teilen dieser Bildern geht es nur noch am Rande um uns. „Unsere Bilder sind ein Kapital, von dem in erster Linie die großen Internetkonzerne profitieren“, stellen auch die beiden Kuratoren in ihrem Einführungstext fest – ein Problem, das in einem breiteren Kontext steht und auf politischer Ebene zu lösen ist.

Warum also nicht bis dahin wieder mal eine gute alte Postkarte verschicken? Wer davon Nutzen hat, bleibt jedenfalls übersichtlich: Der Kiosk, die Post, der Empfänger. Der/die Emp­fän­ge­r*in muss Tage, vielleicht Wochen warten, bis die Botschaft ankommt, anders als beim Instant-Digitalen. Die Freude über eine persönlich adressierte Nachricht wird umso größer sein.

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