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Die Kunst der Woche in BerlinWo die Natur zum Kriegsgebiet wird

Explodierende Palmen von Erik Schmidt, politische Zeugnisse der 90er mit dem Künstlerinnenkollektiv fierce pussy und textile Bildräume von Anna Virnich.

Erik Schmidt, „No Crisis“, Series of drawings on Newspaper 2022 Foto: Courtesy the artist and Kunstraum Potsdam – Waschhaus

E ine Explosion folgt auf die andere und am Boden liegen die Geschosse, die nicht hoch gegangen sind. Freilich, bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als mit Farbe überzogene Kokosnüsse. Ich bin in der großen lichten Ausstellungshalle des Kunstraums Potsdam – Waschhaus am Boden, wo zur Zeit die Einzelausstellung „Retreat“ von Erik Schmidt läuft. Was der Maler explodieren zu sehen meint, sind entsprechend die Kronen der Palmen, in die ich als Besucherin von unten den Stamm entlang hoch blicke.

Die großformatigen Gemälde haben ihren Ursprung in Sri Lanka, wohin Erik Schmidt auf Einladung der one world foundation im Frühjahr 2022 reiste. Zurück in Berlin druckte er die Fotos der Palmen, die er dort aufgenommen hatte, auf die Leinwand, wo er sie anschließend in seinem Atelier übermalte. Und zwar in Impasto-Technik, wie man es von ihm kennt. Indem er also die Farben teils extrem dick aufträgt, erzielt Schmidt mit diesen, mit aggressivem Pinselstrich über die Leinwand versprengten Farbbrocken, direkt den Eindruck der Explosion.

Dass der Künstler in der Natur das Kriegsgebiet sieht und in ihren Früchten „Palm Bombs“, hat seinen Grund in den uns bekannten Zeitläuften. Nicht nur erfolgte am 24. Februar der russische Einmarsch in die Ukraine, im März begannen auch in Sri Lanka die Massenproteste aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, die sich über das ganze Land ausbreiteten. Für die Serie der „No Crisis“-Zeichnungen löst Erik Schmidt einzelne Personen aus der Menschenmenge heraus, die er in den Straßen begleitet und aufgenommen hat, und porträtiert sie auf den Seiten der Zeitungen, die er täglich liest.

Die Ausstellungen

Erik Schmidt: Retreat, Kunstraum Potsdam – Waschhaus, Mi.–So. 13–18 Uhr, bis 30. Oktober, Schiffbauergasse 4d

fierce pussy, im Rahmen der Reihe: Theses on Hope, Between Bridges, Mi.–Sa. 12–18 Uhr, bis 22. Oktober, Adalbertstr. 43

Anna Virnich: Stills, Robert Grunenberg, Mi.–Sa. 12–18 Uhr, bis 5. November, Marburger Str. 3

Er entreißt die Menschen also nicht dem politischen Kontext, in dem sie auftreten, sondern stellt sie direkt inmitten des aktuellen Nachrichtenflusses. Diese politische Geistesgegenwärtigkeit ist ebenso Charakteristikum von Erik Schmidts Werk wie seine Impasto-Signatur. Von Retreat, also Rückzug und Ruhe, keine Spur. Auch nicht in Italien, im Garten der Villa Massimo und im Bergdorf Olevano Romano, wo Schmidt in zwei Videos, „Fine“ und „Inizio“, die Suche nach dem Paradies und dem Scheitern thematisiert.

Politik des Benennens und Benannt-Werdens

So sehr der Kunstraum Potsdam durch die wuchtige Pracht der Farben definiert ist – der Versuchung, die Palmen in verfremdenden Farbtönen wie Lila oder Pink zu malen widerstand Erik Schmidt, weil dann, wie er sagt, vor allem Fragen der Malerei im Vordergrund gestanden hätten, der Verweis auf die Pop art etwa – so karg, aber gleichermaßen durchschlagend ist die Installation von fierce pussy bei Between Bridges. Das Künstlerinnen- und Aktivistinnenkollektivs hat sich 1991 in New York gegründet, zu Hoch-Zeiten der AIDS-Krise, inmitten eines Klimas der Homophobie, um der Nichtsichtbarkeit lesbischen Begehrens und Lebens entgegen zu treten.

Mit Low-Tech-Mitteln wie Fotokopieren und Kleistern wandten sie sich nicht nur an ihr eigenen lesbischen und queeren Communities, sondern an die breite Öffentlichkeit und adressierten mit ihren Aktionen auch direkt frauenfeindliche und homophobe Regierungs-/Politiker und Personen des öffentlichen Lebens. Vier Gründungsmitglieder, Nancy Brook Brody, Joy Episalla, Zoe Leonard und Carrie Yamaoka, arbeiten weiterhin zusammen und sie haben für die Ausstellung zwei frühe Kampagnen, „List Posters“ und „Family Pictures and Found Photos“, wieder aufgegriffen, beides Auseinandersetzungen mit der Politik des Benennens und Benannt-Werdens.

fierce pussy, „Lover of women“, no date Foto: Courtesy the artists

Und so hängt nun ein großer „Lover of women“ überschriebener Schwarzweißdruck an der Wand, der das Foto eines Kindes in gestreiften Hosen und karierter Jacke zeigt, das einen Fotoapparat in Händen hält. Ansonsten dominiert der grün glänzende Boden den Raum, in dem normierte Transportkisten aus Plastik aufeinander gestapelt und verstreut sind. Sie dienen als Sockel der 15 Multiples aus den letzten drei Jahrzehnten, mit Schrift und/oder Fotos bedruckten Postern im Format Din A 3. „I am a lezzie butch pervert girlfriend bulldagger sister dyke and proud!“ ist zu lesen oder „I am a mannish muffdiver amazon feminist queer lesbian femme and proud!“ oder „I am a stone butch androgyne femme tomboy girlfriend sapphic deviant and proud!“

Für die Fensterfront konzipierte fierce pussy eine ortsspezifische Installation, indem sie die Fenster mit einer deutschen Version der „List Posters“ zusammen mit der englischen verkleisterten. Dass die Poster mitgenommen, vervielfältigt und verbreitet werden können und sollen, ist wesentlicher Zug dieser unangestrengten, dabei äußerst eindrücklichen Wiederbegegnung mit dem Kunstaktivismus der 1990er Jahre.

Und nicht zuletzt der Erkenntnis, dass der Kampf längst nicht ausgefochten ist, was es verständlich macht, dass die Ausstellung im größeren Rahmen der von Viktor Neumann kuratierten fortlaufenden Serie „Theses On Hope“ steht. Basierend auf der Auseinandersetzung des Performance-Künstlers José Esteban Muñoz mit Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“, wird Hoffnung in der Reihe als kritischer Affekt gesehen, gleichermaßen wie als Methode die Stimmung eines politischen Pessimismus’ zu überwinden.

Erweiterte Bildfindung

Vielleicht liegt es daran, dass ich zuletzt viel über Secondhandkleider und Fast Fashion nachgedacht habe, plötzlich stoße ich im Kunstraum immer wieder auf Textilien, und zwar gebrauchte, wobei deren Herkunft durchaus ein wesentliches Moment des Werkes und seiner Narration ist. Jetzt ist es also Anna Virnich bei Robert Grunenberg. Die neuen großformatigen Arbeiten, die sie zeigt, argumentieren freilich ganz aus dem Material und seiner Beschaffenheit heraus. Es interessiert nicht die Vorgeschichte, sondern allein das so entstehende Bild.

Anna Virnich, „Still 1“, 2022 Foto: Courtesy the artist

Die Art der Textilien lädt den Bildraum emotional auf, wenn glänzende Seide auf verblichenem Baumwollstoff und vergilbte Stockflecken trifft, oder glattes monochromes Leder mit floralen Ornamenten kontrastiert während sich gerüschter Taft über das Raster eines Karostoffes bauscht. Virnich montiert, das heißt konkret näht die Stoffe ähnlich den Bildausschnitten in einer Fotomontage zusammen, wobei ihr die Beschaffenheit der Stoffe ganz andere Überlagerungen ermöglicht. Sie weisen ins Skulpturale und Dreidimensionale, wenn unter Transparentstoff opakes Trikot Palimpsest artig durchscheint.

Bislang waren diese Kompositionen abstrakter Natur. Doch ähnlich wie Erik Schmidt, der lange nach Fotografien malte, bis er dann entschied auf Fotografien zu malen, malt nun auch Anna Virnich mit Ölpastell auf den Stoff, der ihr bislang ja die Malerfarbe und – im Fall der per Hand geschaffenen Naht – den Zeichenstift ersetzte. Und so winden sich jetzt auch mal Blütenranken über den Stoff. Die Figuration hält in den abstrakten Bildraum Einzug und erweitert sehr reizvoll, materiell wie visuell, die Möglichkeiten der Bildfindung.

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
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