Die Knigge-Frage: Schwitzende Diplomatie
Wer sauniert, möchte sich in der Regel entspannen. Dabei kann das Gequassel des Nachbarn wahnsinnig machen. Darf man sich in der Sauna unterhalten?
Ja, sage ich! Natürlich darf man sich in der Sauna unterhalten. Man darf sich überall unterhalten. Oder doch nicht?
Okay, vielleicht nicht im Kino. Oder in der Oper. Oder in der Kirche. Jetzt bin ich doch durcheinander. Ein Anruf bei meiner finnischen Cousine soll Klarheit schaffen. Schließlich gelten die Finnen als Weltmeister im Saunieren. „In Finnland gibt es nicht so viele Regeln wie in Deutschland“, sagt meine Cousine. Allerdings sei das Saunieren dort eher Privatangelegenheit. Eine Sauna gehört in Finnland zu fast jeder Wohnung. Samstags ist bei den meisten Familien Saunatag. Dabei ist erlaubt, was gefällt, auch Gespräche.
Selbst das finnische Parlament hat eine eigene Sauna. Staatsgäste schwitzen beim Besuch gemeinsam mit dem finnischen Staatsoberhaupt. Nicht selten werden dabei wichtige politische Entscheidungen gefällt.
Als Tarja Halonen Anfang 2000 als erste Finnin zur Präsidentin gewählt wurde, machte das die Sache komplizierter. Ganz ohne Regeln geht es bei den Finnen auch nicht: Man geht nicht gemischtgeschlechtlich zum Schwitzen – außer in der Familie. Als Russlands Präsident Wladimir Putin zu Besuch in Helsinki war, musste der Ehemann der Präsidentin, Pentti Arajärvi, für den staatstragenden Saunagang einspringen. Die Kunst der schwitzenden Diplomatie ist erlaubt, übertreiben sollte man es mit der Geschäftigkeit aber auch in Finnland nicht. Saunieren bedeutet Entspannung, Ruhe, Gesundheit: „Die Sauna ist auf keinen Fall der Ort für eine Cocktailparty. Man geht da nicht zum Smalltalk mit Fremden hin“, sagt meine Cousine.
Tebartz-van Elst, Brüderle, Guttenberg. Darüber regen wir uns auf. Aber warum? Und was bringt das? Den großen Empörungsvergleich lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. November 2013 . Darin außerdem: Christian Ströbele ist nun weltbekannt als „der Mann, der Edward Snowden traf“. Aber wie hilft das der Sache des Whistleblowers? Und ein Gespräch über den Glanz im Schund, echte Adelige und Sexwestern: Mit Anna Basener, einer der jüngsten Groschenromanautorinnen Deutschlands. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Auch die Russen haben eine tief verwurzelte Saunakultur. Bei ihnen heißt das Dampfbad Banja. Ähnlich wie in Finnland treffen sich dort gern Staatsmänner und Geschäftsleute zu wichtigen Gesprächen. Auf die Frage, ob man sich in russischen Saunen unterhält, antwortet mein russischer Freund mit einer Gegenfrage: „Man hat Wodka, man ist nackt – wo könnte man sich denn besser unterhalten als in der Sauna?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene