Die Kanzlerin ist alternativlos: Merkels System endet, sie aber bleibt

Die Kanzlerin der nächsten Jahre heißt wohl wieder Merkel. Dennoch zeichnet sich das Ende einer Ära ab. Für Abgesänge ist es aber zu früh.

Die Kanzlerin im Porträt

Und wie heißt die Alternative zu ihr? Foto: dpa

Angela Merkel ist geschwächt und stark zugleich. Das Ende ihrer Ära zeichnet sich immer deutlicher am Horizont ab, die Auflösungserscheinungen in der Union mehren sich. Aber die Abgesänge, die sie durch ihre ganze Amtszeit begleiteten, kommen auch diesmal ein bisschen früh. Die Kanzlerin der kommenden Jahre wird wohl wieder Merkel heißen. Auch deshalb, weil keine Alternative in Sicht ist. Was für eine hübsche Ironie bei einer Politikerin, die ihre Entscheidungen immer mal wieder als alternativlos darstellte.

Das politische Scheitern namens Jamaika brachte für Merkel Gutes und Schlechtes. CDU und CSU rückten wieder näher aneinander, vereint im fassungslosen Staunen über die Verantwortungsflucht der FDP. Merkel war in dem oft chaotischen Prozess die professionelle Moderatorin, die sich wirklich um eine Regierungsbildung bemühte.

Wenn Freidemokraten im Nachhinein öffentlich jammern, die Kanzlerin habe zu sehr um die Grünen geworben, sie aber links liegen lassen, erscheint das im Vergleich regressiv. Außerdem hat Merkel die Grünen endgültig aus dem linken Lager gelöst und als Bündnispartner gewonnen. Wofür das in Zukunft nützlich sein kann, wird sich weisen.

Das Gemurre über den mittigen Kurs der Kanzlerin hat keine Substanz, solange in der Union ein echter Herausforderer fehlt

Aber dass Merkels Lieblingsoption tot ist, bleibt auch an ihr kleben. Denn dem, was jetzt kommt, wohnt kein Zauber inne. Merkel hat 2016 ja lange überlegt, ob sie noch einmal antreten soll. Sie tat es dann wohl aus Pflichtbewusstsein und auch aus dem Gefühl heraus, dass es niemand besser könne.

Noch immer fehlt ein Herausforderer

Esprit, Elan und Aufbruchsgeist verströmte die Entscheidung damals nicht, und nun kommt auch noch hinzu, dass Merkel die SPD wieder in eine Große Koalition locken muss. Egal wie die Partner das verkaufen würden, die Langeweile wäre von Beginn an implantiert. Merkel organisiert gezwungenermaßen ein Bündnis, das eigentlich keiner will – lediglich ein Fünftel der Deutschen fände eine neue Groko gut. Motto: Irgendeiner muss es ja machen.

Dass Merkel in dieser Situation niemand gefährlich wird, hat einen einfachen Grund: Alle wissen in der Union, dass es keiner besser machen würde. Das Gemurre über ihren mittigen Kurs hat keine Substanz, solange ein Herausforderer fehlt. Jens Spahn, Anführer einer merkelkritischen Boygroup, hat Schlag in den Medien, aber fürs Kanzleramt qualifiziert das noch lange nicht.

Auch die SPD wird Merkel wohl nicht sitzen lassen. Der Druck auf die Genossen, wieder zu regieren, ist immens. Die Gewerkschaften drängeln. Der Bundespräsident, der am Donnerstag Merkel, Seehofer und Schulz traf, zieht die Daumenschrauben staatspolitischer Verantwortung an. Und der innere Protestant der staatstragenden SPD flüstert immer eindringlicher: Ihr müsst.

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Gleichzeitig ist offensichtlich, dass Merkels Politikstil an seine Grenzen stößt. Sie gründete ihren Erfolg im Wesentlichen auf eine Suggestion: Liebe Deutsche, ihr braucht euch um komplexe Politik nicht zu kümmern. Ich regle das – cool, nüchtern und vernünftig. Diese Erzählung funktioniert nicht mehr. Zu viele Menschen glauben, dass Merkel Chaos stiftet, statt die Dinge zu regeln. Ihre hilfsbereite Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 hat den Gefühlshaushalt der Republik so stark verändert wie keine andere Entscheidung ihrer Ära.

Surfen auf der Anti-Merkel-Welle ist gerade in

Seitdem nährt sich die rechtspopulistische AfD von Ablehnung, Angst und Hass, seitdem fährt die CSU einen wirren Egotrip, siehe Glyphosat. Auch Christian Lindners FDP stellt sich in der Flüchtlings- oder Europapolitik als demokratische Kraft rechts von Merkel auf, ein Experiment mit Wachstumspotenzial. Das Surfen auf der Anti-Merkel-Welle ist derzeit das beliebteste Geschäftsmodell.

Wenn aber Merkel eins nicht beherrscht, dann die Klaviatur der Gefühle. Sie steht dem Phänomen, zur Hassfigur geworden zu sein, hilflos gegenüber. Und ihr kühler mechanistischer Ansatz, der auch auf Entpolitisierung setzte, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Merkel bleibt also. Aber das System Merkel endet.

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