Die Kandidatin: „Es gab so viel Zuspruch“
Erschöpft sei sie gewesen, erklärt Europa-Abgeordnete Helga Trüpel (Grüne) ihre Rückzugsankündigung. Jetzt tritt sie doch an – um die Euroskepsis zu besiegen.
taz: Frau Trüpel, warum kandidieren Sie wieder fürs Europaparlament?
Helga Trüpel: Ich kandidiere wieder, weil die Arbeit attraktiv und spannend ist, weil in der nächsten Wahlperiode große Fragen anstehen, wie man den europäischen Haushalt ökologischer und grüner gestalten kann: Also wie man zu neuen Schwerpunkten kommt, wie man dazu kommt, mehr für nachhaltige Entwicklung, für CO2-arme Wirtschaft, für die entsprechende Forschung und für Bildung bereitzustellen...
… sprich: Um das zu machen, woran Sie ohnehin schon jetzt arbeiten?
Ja, an diesen Themen habe ich in den letzten Jahren gearbeitet – und die sind nicht erledigt.
Aber offenbar Sie selbst – wenigstens klang Ihre Erklärung so, in der Sie vergangene Woche den Bremer Grünen mitteilten, nicht mehr anzutreten...
Ja, die Aufgaben in Brüssel und Straßburg waren sehr kräftezehrend. Ich war erschöpft, und es gab persönliche Schicksalsschläge. Gleichzeitig steht dagegen die Attraktivität der Arbeit – und es gab so viel Zuspruch, so viel Ermutigung und Unterstützung …
… aus Bremen oder mehr aus der Fraktion?
Sowohl als auch, fast gleichermaßen.
55, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und seit 2004 Abgeordnete des Europaparlaments. Die Grünen-Politikerin war von 1991-1995 Kultursenatorin in der "Ampelkoalition".
War der Zuspruch so wichtig, weil sonst der Eindruck vorherrscht, dass sich für diese ganze aufreibende Arbeit kein Schwein oder gar Mensch interessiert?
Nein, das glaube ich nicht. Ich mache ja viele Veranstaltungen in Bremen, um in der Stadt so etwas wie einen Raum für Europa herzustellen. Und die haben eine große Resonanz: Die Leute finden gut, dass es das gibt. Von daher fühle ich mich nicht so distanziert.
Im politischen Raum erkennen das die meisten an – trotzdem bleibt die Beteiligung an den Europawahlen in Bremen sogar unter des Bundesdurchschnitts: Wie kommt man da zu einer breiteren Basis?
Das ist ein Problem, und daran arbeiten wir: Jetzt gibt es ja das neue Bündnis Bremen wählt Europa, an dem sich sehr viele gesellschaftliche Kräfte engagieren wollen. Die Ansage muss sein: Wir überlassen Europa nicht den Euro-Skeptikern – und ich baue darauf, dass das mobilisiert. Die Errungenschaften der Europäischen Union, die sollten nicht gering geschätzt werden.
Welche waren denn das gleich noch mal?
Es ist doch klar, dass viele politische Ziele national höchstens unzureichend umgesetzt werden können, ob das nun die Finanzmarktregulierung ist oder die Energiepolitik – das können die Einzelstaaten gar nicht leisten. Die relevanten Fragen überschreiten die Grenzen.
An 48 Tagen tagt das Plenum 2013, die Fraktionen an 38, 29 Sitzungen sind für den Haushalts-, 19 für den Kulturausschuss sowie 26 Tage für Wahlkreisarbeit reserviert, an 4 Tagen trifft sich die Delegation für die Beziehungen zu China.
In der Wahlperiode hat Trüpel 6 Berichte verfasst, bei 9 hat sie assistiert. Sie hat 6 Stellungnahmen im Umfang zwischen 5 und 75 Seiten abgegeben, bei 15 weiteren mitgewirkt.
Hinzu kommen 53 Redebeiträge, 25 Entschließungsanträge, 13 Parlamentarische Anfragen sowie 2 schriftliche Erklärungen.
Dann hätten die Euroskeptiker ja doch was Gutes – wenn man sich dadurch der Bedeutung der EU bewusster wird?
Wenigstens, wenn deren Infragestellung der Erfolge und Einigungen, die es gibt, zu so etwas wie einer Selbstreflexion führt, und man sich darüber klar wird, was die Rückabwicklung des Erreichten für einen Schaden bedeuten würde. Und wie die Zukunft des Projekts Europa aussehen soll. Auf diesen Effekt der Auseinandersetzung setze ich für den kommenden Wahlkampf.
Dass Sie in den ziehen – wie wichtig war denn für diese Entscheidung, dass Bremen sonst als einziges Bundesland möglicherweise gar keinen Sitz mehr im EP gehabt hätte?
Das hat eine große Rolle gespielt: Es ist ja davon auszugehen, dass die Bedeutung der Beschlüsse des EP zunimmt. Da nicht vertreten zu sein, wäre bitter fürs Bundesland – weil wir aus Erfahrung wissen, dass es beispielsweise bei den Beschlüssen zur Eurorettung darauf ankommt, eine richtige Mischung aus Solidarität und Solidität zu finden. Da ist es einfach gut, wenn auch Bremen mindestens eine Stimme hat – und mindestens eine Abgeordnete, um diese Themen in Bremen und Bremerhaven zu spiegeln, als konkrete Ansprechpartnerin.
Lassen sich in europäischer Perspektive überhaupt bremische Interessen einbringen?
Ich bin nicht in erster Linie Bremen-Lobbyistin, sondern Grünen-Abgeordnete: Das heißt, ich habe mich dafür eingesetzt, dass der EU-Haushalt nachhaltiger und ökologischer wird, dass weniger Geld für agro-industrielle Landwirtschaft, weniger für Betonpolitik und mehr für nachhaltige Klimapolitik, nachhaltige Energie und für Bildung ausgegeben wird.
Also eher global …
Das sind Fragen, die alle Auswirkungen auf Bremen haben und Entscheidungen im Bremer Interesse. Für das habe ich mich eingesetzt – natürlich auch dort, wo es noch unmittelbarer um Bremen geht, wie etwa die Meerespolitik bis hin zur Reform der Fischereipolitik und natürlich Bremens Status als ein Exzellenz-Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Da kollidieren aber mitunter Interessen der Grünen mit denen der Bremer Unternehmen des Sektors – etwa OHB, deren Weltraumlupen Frontex helfen, Flüchtlingsboote im Mittelmeer aufzubringen und zurück zu treiben – was die Grünen-Fraktion scharf kritisiert.
Diese Technologien werden auch dafür eingesetzt, das Klima zu überwachen. Das war uns wichtig – und das macht sie für uns förderungswürdig. Dass sie auch anders gebraucht werden, entspricht nicht unseren Vorstellungen, da bin ich auch vehement dagegen: Wir als Grüne rufen ja nicht nach Frontex. Wir setzen uns für eine humane Flüchtlingspolitik ein …
… und helfen doch per Technologie-Förderung, die inhumane aufzurüsten: Muss man den Widerspruch aushalten?
Gewisse Widersprüche muss man im Leben immer aushalten. Politisch setzen wir uns dafür ein, dass diese Technologie für Zwecke des Klimaschutzes verwendet wird, wir engagieren uns für eine menschliche Flüchtlingspolitik – und für eine Reform von Frontex.
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