■ Jungsozialisten: programmatisch schwach, medial stark: Die Jusos, berechenbar
Es gab Zeiten, da wußten selbst Sozialdemokraten nicht mehr, ob es sie überhaupt noch gab, die Jungsozialisten. Lange Zeit dümpelte der SPD-Nachwuchs vor sich hin, betrieb bis zur Besinnungslosigkeit sektiererische Theoriedebatten und wärmte sich am Lagerfeuer alter Revolutionsromantik. Auf die reale Politik nahmen die Jusos keinen Einfluß mehr, weil sie sich behaglich in ihrer Nische eingerichtet hatten, von der aus sich so ziemlich alles kritisieren ließ. Die Suche nach einer Alternative zum real existierenden Kapitalismus erschöpfte sich in jugendlichen Verbalradikalismen, in Che-Guevara-Shirts und dem Absingen der Internationale.
Ein Gutteil dieser Etiketten, die für viele Jugendliche heute reiner, beliebig zitierbarer Pop geworden sind, waren auch am Wochenende auf dem Juso-Bundeskongreß in Berlin noch zu beobachten. Eigentlich also gäbe es keinen Grund, sich mit den Jusos auseinanderzusetzen. In die gesellschaftliche Debatte haben längst andere wirkungsvoller eingegriffen, so etwa der CDU-Nachwuchs mit seinen Vorstellungen zur Rente, zur Zukunft des Sozialstaats. Um solche Fragen aber drücken sich die Jusos, weil sie in den Kategorien der achtziger Jahre denken: Wo gekürzt wird, zeigt sich für sie sogleich das böse Gesicht des Kapitalismus.
Daß sie überhaupt wahrgenommen werden, verdanken sie eher einem personellen Glücksfall: Andrea Nahles. Ihre Präsenz und Dynamik übertüncht die inhaltlichen Defizite. Die alte und neue Bundesvorsitzende ist modern, weil sie die unabdingbare Kunst der Medieninszenierung beherrscht. Aufmerksamkeit ist ihr schon deshalb gewiß, weil sie im innerparteilichen Kampf die jugendliche Ausreißerin spielt. Stellvertretend formuliert die 26jährige die Ängste eines Teils der Gesamtpartei gegenüber Schröder. Denn der niedersächsische Kanzlerkandidatenkandidat rangiert auf der Ablehnungsskala der Jusos ganz weit oben, direkt hinter Kohl. Doch so wie sich die Auseinandersetzung mit dem Kanzler in dem Spruch „Kohl muß weg“ erschöpft, so plakativ formulieren die Jusos auch ihre Abneigung gegen Schröder. Es ist eine Abneigung, die weniger inhaltlich begründet als gefühlig inspiriert ist. Schröder ist für die Jusos der böse Bube, der die linke Traditionslinie der Sozialdemokraten in Frage stellt. Vor allem aber ist unberechenbar. Und das wollen die Jusos auf keinen Fall sein. Severin Weiland
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