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Die Innovationsachse Berlin–LausitzDie Achse des Bauens

Von Berlin über den Spreewald nach Cottbus: Was der Strukturwandel der Braunkohleregion mit dem Wissenschaftsstandort Berlin zu tun hat.

Und dann den Blick auf den Großräschener See genießen, der aus dem Tagebau Meuro entstand Foto: Lorenz Kienzle

Berlin/Lübben taz | Roland Sillmann muss ein glücklicher Mensch sein. Seit sechs Jahren ist der 50-Jährige Geschäftsführer der Wissenschaftsstadt (Wista) in Berlin-Adlershof. Sillmann leitet dort den größten und erfolgreichsten Technologiepark in Deutschland. 22.000 Menschen arbeiten im High-Tech-Stadtteil im Südosten Berlins, dazu kommen 7.000 Studierende. Die Humboldt-Universität ist mit sechs Instituten vertreten. Die mehr als 1.000 Firmen auf dem Gelände sind mit durchschnittlich 20 Beschäftigten nicht groß, aber viele produzieren für den Weltmarkt. Adlershof ist eine Erfolgsgeschichte im wirtschaftlich lange gebeutelten Berlin.

Ganz glücklich ist Sillmann dennoch nicht. Denn Adlershof gerät spätestens 2027 an seine Grenzen. Dann werden in der Wissenschaftsstadt 30.000 Beschäftigte arbeiten. Mehr geht nicht.

Sein Problem hat Sillmann auf einem Themengespräch des Zukunftsforums Berlin Brandenburg Anfang Juni dargestellt. „Wir haben 2018 eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wo und wie wir wachsen können“, erklärte er. „Das Ergebnis war überraschend. Entgegen der Annahme, dass das Wachstum von Adlershof durch die Fläche begrenzt wäre, hat die Studie ergeben, dass unser Wachstum durch die Mobilität begrenzt ist.“ Im Klartext heißt das, dass noch genügend Flächen da sind, auf denen sich neue Firmen ansiedeln können. Deren Beschäftigte schaffen es aber wegen der überfüllten Bahnen und Straßen nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit.

Roland Sillmann hat auf den Befund reagiert. Beim Themengespräch war er einer der Antreiber einer Idee, die zuvor die Stiftung Zukunft Berlin skizziert hatte: Eine Innovationsachse, die von Berlin bis in die Lausitz führen soll. Inzwischen ist die Planung so konkret, dass die Wista von Roland Sillmann in Lübben im Spreewald einen Co-Working-Space für bis zu 300 Beschäftigte errichten möchte.

Milliarden für die Lausitz

Die Lausitz ist auch die Sache von Klaus Freytag. Der 61-Jährige kennt sich aus mit der Kohle. Er war schon Fachbereichsleiter im Braunkohlenbergamt in Köln und Abteilungsleiter im Oberbergamt des Landes Brandenburg. Seit 2018 ist Freytag der Beauftragte der Brandenburger Landesregierung für die Lausitz. Und auch da hat er wieder mit Kohle zu tun. Nicht mit der schmutzigen, die für den Ausstoß von Kohlendioxid verantwortlich ist, sondern mit jener Kohle, die den Ausstieg aus der schmutzigen schmackhaft machen soll.

Von den 40 Milliarden Euro, die der Bund den deutschen Kohleregionen für den Braunkohleausstieg zur Verfügung stellt, sollen zehn Milliarden in Brandenburg investiert werden. 6,4 Milliarden davon kommen direkt vom Bund, 3,6 Milliarden werden über das Land ausgereicht. Das hat dafür ein Strukturstärkungsgesetz verabschiedet. Mit den Milliarden soll der Wegfall von 8.000 Arbeitsplätzen in der Braunkohle kompensiert werden.

Große Summen an Kohle sind es also, mit denen es Klaus Freytag zu tun hat. Nicht umsonst sagt er: „Weil die Strukturmittel in die Region kommen, haben wir eine einmalige Chance.“ Doch Freytag will nicht nur Cottbus zu einem neuen Zentrum für Forschung und Wissenschaft machen. Er sieht auch die Entwicklungsachse Berlin–Lausitz als Chance. „Die Region dockt mit dem Landkreis Dahme-Spreewald unmittelbar an die Bundeshauptstadt an.“ Freytag, der Brandenburger Lausitzbeauftragte, will also von Berlin und der Erfolgsgeschichte der Wissenschaftsstadt Adlershof profitieren.

Lübben wächst wieder

Wer in Lübben aus dem Bahnhof steigt, sieht noch nichts vom Strukturwandel in der Lausitz. Das Areal am Bahnhof ist vorstädtisch, in die Stadt geht man eine halbe Stunde zu Fuß durch einen Wald. Anders als das weiter Richtung Cottbus gelegene Lübbenau, fehlt Lübben das Pittoreske, das Touristen anzieht. Aber Lübben hat einen Vorteil: Es ist Kreisstadt des boomenden Kreises Dahme-Spreewald. Und es hat noch Platz.

Lübben fehlt das Pittoreske, das Touristen anzieht. Aber Lübben hat einen Vorteil: Es ist Kreis­stadt des boomenden Kreises Dahme-Spreewald. Und es hat noch Platz

Auch deshalb ist Bürgermeister Lars Kolan von der Idee der Innovationsachse Berlin–Lausitz angetan. „Damit werden auch wir als Stadt in der zweiten Reihe sichtbar“, sagt der SPD-Politiker. „Wichtig ist beim Strukturwandel, dass es kein Wolkenkuckucksheim ist, sondern dass etwas Greifbares entsteht.“

Die Idee für einen Co-Working-Space gehört für Kolan dazu. „Wir denken aktuell beim Grundstück am Bahnhof an eine drei- bis viergeschossige Bebauung mit 100 bis 300 Arbeitsplätzen“, erklärt er. „Das müssen nicht nur Co-Working-Spaces sein, es können auch normale Büros dazu kommen. Da werden wir im Lauf der Antragsstellung auch noch Bedarfe abfragen.“

Mit der Wirtschaftsregion Lausitz (WRL), die für die Vergabe der Strukturstärkungsmittel in Brandenburg zuständig ist, hat Kolan schon erste Gespräche geführt. „Wir haben da positive Signale bekommen“, freut er sich. Allerdings ist noch eine Reihe von Fragen ungeklärt. Zum Beispiel muss der Flächennutzungsplan (FNP) überarbeitet werden. „Beim alten FNP sind wir noch von einem Rückgang der Bevölkerung ausgegangen“, erinnert sich Kolan. „Jetzt aber wächst Lübben, und wir haben Schwierigkeiten, Flächen für den Wohnungsbau zu finden.“ Deshalb kann sich Kolan rund um den Bahnhof auch eine Mischung aus Arbeiten und Wohnen vorstellen. Vorausgesetzt, er findet endlich genügend Stadtplaner, um die nötigen Bebauungspläne aufzustellen.

In der Stadtverordnetenversammlung hat Kolan bereits Unterstützung für das „große Ding“ bekommen, wie er das Vorhaben der Wista nennt. Und auch sonst sieht es ganz gut aus für seine Stadt. Eben erst hat die WRL einen Förderantrag für 23 Millionen bewilligt, mit dem Lübben unter der Überschrift „Wasserreich Spree“ ein neues Besucherzentrum für den Spreewald realisieren will.

Der Kampf um die Talente

Lübben also, auf halbem Weg zwischen Berlin und Cottbus, wo die Achse einmal enden soll. Cottbus gilt schon jetzt als die große Gewinnerin des Strukturwandels. Die Vorbereitungen für das ICE-Werk am Bahnhof mit 1.200 neuen Arbeitsplätzen laufen schon. Eine Milliarde wird hier investiert. Auch der Aufbau eines Universitätsklinikums ist beschlossene Sache.

Cottbuser Ostsee: vom Braunkohletagebau zum größten künstlich angelegten See Deutschlands Foto: Lorenz Kienzle

Und nun soll auf dem Campus der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg auch noch ein Lausitz-Science-Park entstehen. Mit im Boot könnte dabei auch die Wista sein, bestätigt Roland Sillmann. „Wenn unser Gesellschafter, also das Land Berlin, den Wunsch hat, beteiligen wir uns natürlich am Aufbau eines Science-Parks. Das hätte Charme, wenn es da einen Schwester- oder Bruderpark zu Adlershof gäbe.“

Ganz so groß wird das Projekt in Lübben zwar nicht. Für Roland Sillmann ist es aber ein wichtiger Schritt, um die „Wachstumsbremse durch Mobilität“ zu lösen. Der Gedanke dahinter ist so einfach wie bestechend. „Corona hat gezeigt, dass die Mitarbeitenden nicht immer in der Firma sein müssen“, sagt Sillmann. „Wir wollen, dass sie nur noch zwei oder drei Mal die Woche mit dem Zug zu uns kommen. Wenn das dann eine Stunde dauert, ist das nicht kritisch.“

Voraussetzung sei aber, dass die Beschäftigten die anderen Wochentage in Wohnortnähe arbeiten können. Und das ist die Chance von Lübben. „Das Thema Talente wird immer wichtiger“, erklärt Sillmann. „Wenn die Besten gehen, ist es schwer, neue Talente zu finden, deshalb wollen wir die Menschen halten.“ Für Sillmann heißt das, dass in den High-Tech-Betrieben der Wissenschaftsstadt sowohl die 25-Jährigen arbeiten, die in Kreuzberg leben, als auch die 40-Jährigen, die sich mit der Familie im Spreewald niederlassen wollen. „Du musst also nicht den Arbeitgeber wechseln, wenn sich deine Lebensphase geändert hat“, sagt Sillman.

Und noch einen Vorteil hat Lübben, ergänzt er. „Hier gibt es auch die Flächen für eine industrielle Produktion, die wir in Adlershof nicht haben.“

Ganz unumstritten ist die neue Achse Berlin–Lübben–Cottbus nicht. Vor allem in den abgelegenen Regionen der Lausitz geht die Sorge um, dass sich die Strukturfördermittel auf einige wenige Leuchttürme konzentrieren werden.

Ganz unberechtigt ist die Sorge nicht. So wird der Neubau einer Außenstelle des Robert-Koch-Instituts in Wildau mit 70 Millionen Euro aus den Lausitzmitteln gefördert. Der Bund plant sogar, den Betrieb der RKI-Außenstelle bis 2038 mit 420 Millionen Euro zu fördern. „Diese Investitionen im Berliner Speckgürtel helfen dem Ziel eines Strukturwandels in der Lausitz überhaupt nicht“, kritisieren die Freien Wähler. „Sie stellen damit einen zweckwidrigen Missbrauch der Mittel dar, was wir nicht akzeptieren werden.“

Zur Entwicklungsachse Berlin–Lausitz passt die RKI-Außenstelle allerdings ganz prima, auch wenn Wildau nicht in der Lausitz liegt. Denn anders als der Landkreis Oder-Spree (LOS) mit Eisenhüttenstadt gehört der Landkreis Dahme-Spreewald (LDS) zur Förderkulisse der Wirtschaftsregion Lausitz. Und das, obwohl Teile von LDS, anders als der Süden von LOS, gar nicht zur Lausitz gehören. Eine Unwucht, wie nicht nur die Freien Wähler finden.

Speckgürtel und Lausitz first?

Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) tritt deshalb etwas auf die Euphoriebremse, wenn es um die Achse Berlin–Lübben–Cottbus geht. „Jeder, der sich da einbringen will, ist herzlich willkommen“, sagt Steinbach, der vor seiner Zeit als Minister Präsident der BTU war. „Wir fangen aber nicht bei Null an. Die großen Infrastrukturentscheidungen sind gefallen.“

Seine Botschaft richtet Steinbach nicht nur an die Lausitz, sondern an das ganze Land, wenn er sagt: „Der Speckgürtel entwickelt sich von alleine.“ Und auch die Lausitz sei mit den Milliarden vom Bund und vom Land privilegiert. „Es gibt keine Region in Brandenburg, die mit diesem Ausmaß an finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Wenn wir über eine Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg reden, darf man die anderen Regionen nicht vergessen.“

Auch deshalb versichert Roland Sillman, dass für die Finanzierung der Innovationsachse Berlin–Lausitz keine Strukturfördermittel beantragt werden. „Das muss ein gemeinsames Projekt von Berlin und Brandenburg sein.“ Mit dabei sollen auch die beteiligten Berliner Bezirke und der Landkreis Dahme-Spreewald sein. „Das Projekt ist für uns aus strategischer Sicht sehr wertvoll“, betont die stellvertretende Landrätin von Dahme-Spreewald, Heike Zettwitz. Für sie ist es die Chance, das Wachstum im Landkreis über die Boomtowns Wildau und Schönefeld in Richtung des ärmeren Südens zu lenken.

Und Roland Sillmann ist noch glücklicher, wenn Adlershof einen neuen Satelliten bekommt.

Dieser Text ist Bestandteil eines dreiteiligen Schwerpunktes aus der Printausgabe der taz am wochenende vom 7./8. August 2021.

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