piwik no script img

Die Grünen nach der Hamburg-WahlMit einem blauen Auge davon gekommen

Nicht allzu große Verluste mussten die Grünen hinnehmen. Die Koalitionsverhandlungen mit der SPD dürften harmonischer als befürchtet werden.

Wird wohl weiter grüner Verkehrssenator bleiben können: Anjes Tjarks Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Die Erleichterung, mit der die Grüne Hamburger Spitzenkandidatin Katharina Fegebank am Sonntagabend die erste Prognose zur Hamburg-Wahl aufnahm, war ihr anzusehen. „Mir ist so eine Zentnerlast von den Schultern gefallen, das war so brutal die letzten Woche“, sagte die 48-Jährige später. Denn obwohl die Grünen dem vorläufigen amtlichen Endergebnis nach 5,7 Prozentpunkte an Stimmen einbüßen mussten und bei 18,5 Prozent landeten, können sie halbwegs gelassen in die anstehenden Sondierungsgespräche mit der SPD gehen: Allzu große Abstriche werden sie bei einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition nicht machen müssen.

Dabei ließe ein Verlust von beinahe einem Viertel der einstigen Wäh­le­r:in­nen­schaft anderes erwarten. So sieht es auch am Tag nach der Wahl die Grüne Jugend: „Das Ergebnis der Grünen ist nicht nur auf die Entwicklungen in der Bundespolitik zu schieben“, sagte Lan­des­spre­che­r*in Lian Belgardt am Montag. Vielmehr hätten die Hamburger Grünen die Quittung dafür bekommen, dass sie in der Koalition mit der SPD die falschen Entscheidungen mitgetragen haben – etwa die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete. „Wir haben uns in der Koalition mit der SPD zu häufig auf Kompromisse eingelassen, die mit grünen Grundwerten nicht vereinbar sind.“

Doch Ko-Fraktionschef Dominik Lorenzen zeigt sich angesichts des Wahlergebnisses halbwegs gelassen, denn die letzten Umfragen wenige Tage vor der Wahl deuteten ein noch schlimmeres Abrutschen ab. Und da die SPD ebenso 5,7 Prozentpunkte verloren hat, relativieren sich die grünen Verluste. Beide zusammen werden weiter eine verkleinerte, aber stabile Mehrheit in der Bürgerschaft haben. „Rot-Grün wurde von den Wäh­le­r*in­nen bestätigt“, sagt Lorenzen.

Peter Tschentscher deutet Bedingung an

Für die Fortsetzung der Koalition hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor der Wahl als Bedingung angedeutet, dass dann aber bitte ein Ressort von den Grünen zurück zur SPD wechseln müsse. Da hatte er schon um seine gute Verhandlungsposition gewusst: Die SPD kann schließlich im Zweifel auch eine Koalition mit der CDU bilden. Und Tschentscher hatte auch schon ein Ressort im Auge, dessen Abgabe die Grünen am meisten geschmerzt hätte: Die Verkehrsbehörde, die unter Anjes Tjarks das grüne Kernthema Verkehrswende vorantreibt.

Das schloss Lorenzen am Montag aus: „Es wird keine grüne Regierung ohne Mobilitätswende geben – und die Arithmetik in dieser Regierung hat sich auch nicht geändert.“ Betrachtet man das neue Kräfteverhältnis mit dem alten rein mathematisch, spricht tatsächlich wenig für eine Veränderung der Senatskonstellation: 2020 lag sie bei 62 (SPD) zu 38 Prozent (Grüne); nun nur wenig besser für die SPD bei 64 zu 36 Prozent. Um den Senat entsprechend des Wahlergebnisses zu besetzen, ohne die Zahl der Se­na­to­r:in­nen zu vergrößern oder -kleinern, stünden den Grünen vier Posten zu.

Es gibt jetzt keine Kampfansage der SPD an die Grünen um das Verkehrsressort

Dirk Kienscherf, SPD-Fraktionsvorsitzender

Diese Erkenntnis scheint sich auch bei der SPD nun durchgesetzt zu haben. Zwar wollen die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen die bestehende Verkehrspolitik nachjustieren, um mehr Akzeptanz in der Bevölkerung an der Verkehrswende zu erhalten, sagte Fraktionschef Dirk Kienscherf am Montag der taz. Darüber sollen SPD und Grüne aber in Ruhe in den Sondierungs- und darauffolgenden Koalitionsgesprächen sprechen. „Es gibt jetzt keine Kampfansage der SPD an die Grünen um das Verkehrsressort“, stellte Kienscherf auf Nachfrage klar.

Die beiden grünen Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen Fegebank und Tjarks sind als Se­na­to­r:in­nen naturgemäß gesetzt, auch Justizsenatorin Anna Gallina könnte weitermachen. Der vierten Posten würde aber in jeden Fall ein Neuling übernehmen: Der langjährige Umweltsenator Jens Kerstan hatte seinen Rückzug aus der aktiven Politik bereits vor Monaten angekündigt. Denkbar ist, dass Fraktionschef Lorenzen nun dessen Nachfolger wird. „Über Personal wird zum Schluss entschieden“, sagt Lorenzen.

Nicht allzu geschmeidig, bitte

Allzu geschmeidig sollen die Grünen aber aus Sicht ihres Jugendverbandes nicht in die Verhandlungen gehen: „Wenn es wieder eine rot-grüne Koalition geben soll, dann muss sie mehr gegen die Wohnraumkrise, gegen Obdachlosigkeit und gegen Asylrechtsverschärfungen unternehmen wollen“, fordert Belgardt.

Am Mittwoch kommen die Grünen zu einer Mitgliederversammlung zusammen, um in großer Runde das Ergebnis der Bürgerschaftswahl zu diskutieren – und die Personen zu bestimmen, die die Koalitionsverhandlungen mit der SPD führen sollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!