Die Grünen nach den Landtagswahlen: Zuhören und dazulernen
Die Nachlese zur Wahl fällt bei den Grünen vorsichtig aus: Man müsse von Kretschmanns Stil lernen, dürfe ihn aber nicht kopieren, so der Tenor.
Am Ende zitiert Winfried Kretschmann dann noch den katholischen Theologen Karl Rahner, um sein Erfolgsrezept Politik zu erklären. Dogmen sind wie Straßenlaternen, habe Rahner mal gesagt. „Sie beleuchten in der Nacht den Weg. Aber nur der Betrunkene hält sich daran fest.“ Kretschmann, der alte – und vielleicht – neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg, lächelt in der Berliner Geschäftsstelle vor sich hin. Rechts neben ihm zieht Cem Özdemir die Augenbrauen hoch, links neben ihm sieht Simone Peter beeindruckt aus.
Mit dem Bild hat Kretschmann umrissen, was seiner Partei nun bevorsteht: Was müssen die Grünen aus seinem spektakulären Sieg lernen? Halten sie sich zu sehr an ihren Dogmen fest? Müssen sie endlich die Straßenlaternen loslassen, um die bürgerliche Mitte für sich zu gewinnen, die Kretschmann liebt?
Den Grünen stehen intellektuell aufregende Wochen bevor. Denn die Wahlergebnisse sind zwiespältig und schwer zu lesen. Kretschmanns 30-Prozent-Erfolg stehen mit Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zwei Länder gegenüber, in denen die Ökopartei abrutschte. Interessant ist, dass der große Deutungskampf am Montag vorerst ausfiel. Natürlich geben alle unterschiedliche Antworten, je nachdem, ob man realpolitische Kretschmann-Fans oder linke Grüne fragt. Aber erstaunlich oft ähneln sich die Analysen, alle vermeiden Pauschalurteile.
Da wäre zum Beispiel Grünen-Chefin Simone Peter, die sichtlich vorschnelle Interpretationen vermied. Diesen „fulminanten Sieg“ werde man sich genau anschauen, um die Mechanismen dahinter zu verstehen, sagte sie. Kretschmann sei ein glaubwürdiger Ministerpräsident, er habe eine hohe Kompetenz und er habe grüne Kernthemen wie Klimaschutz, Energie und Bildungspolitik nach vorn gestellt. Aber Peter betonte auch: „Die Ausgangssituation der Grünen in anderen Ländern ist eine andere.“ Einfach kopieren, heißt das, funktioniert nicht. Aber ignorieren verbietet sich.
Auf diese Linie hatten sich zuvor die grünen Gremien verständigt, die sich am Montag den Wahlen widmeten. Im Parteirat, so Mitglieder, seien sich alle einig gewesen, dass schlichte Erzählungen zu vermeiden seien. Weder „Von Kretschmann lernen, heißt siegen lernen“, werde der Lage gerecht, noch ein „Baden-Württemberg ist eine Sondersituation“. Der Parteilinke Erik Marquardt, früher Sprecher der Grünen Jugend, heute im Parteirat, drückt es so aus: „Die Grünen sind gegen Gentechnik. Wir werden deshalb nichts klonen.“ Aber die Lücke zu definieren, die die Grünen im Bund und anderswo füllen müssten, sei schwierig.
„Politiker müssen Lernende sein“
Auch andere Grüne ziehen vorsichtige Schlussfolgerungen. Da wäre Reinhard Bütikofer, Chef der europäischen Grünen, der mit einem Tweet den grünen Claim des Montags prägte. Die Parole müsse lauten: „Kretschmann kapieren, nicht kopieren“, twitterte Bütikofer noch am Wahlabend in Stuttgart. Auch Baden-Württembergs Grüne seien nicht nur wertkonservativ.
Reinhard Bütikofer, Die Grünen
Bütikofer, inzwischen in Brüssel und ganz Europa unterwegs, ist immer noch einer der erfahrensten Realo-Strategen, den die Grünen haben. „Die Vorstellung, man könne den Erfolg 1:1 auf den Bund oder andere Länder übertragen, wäre absurd“, sagt Bütikofer. Die Grünen hätten im Bund keinen Kretschmann, außerdem unterschieden sich die Wählermilieus.
Gleichzeitig aber ist Bütikofer sicher, dass die Grünen viel von Kretschmann lernen könnten. Es gehe um „Haltungs- und Stilfragen“, sagt er. Kretschmann pflege eine Kultur der Offenheit, des Dialogs und des Zuhörens. „Das ist sehr modern. Politiker können heute nicht mehr einfach wie Propheten auftreten, sie müssen Lernende sein.“ Auch Robert Habeck, Energiewendeminister in Schleswig-Holstein, empfiehlt seiner Partei, genau hinzuschauen. „Sein Sieg zeigt, was möglich für die Grünen ist.“ Grüne Themen seien in vielen Bereichen mehrheitsfähig.“
Viele Grüne finden, dass die Bundespartei ihr Profil nun schärfen müsse. Während des Wahlkampfs im Südwesten hatten die Grünen auf Scharfkantigkeit im Bund verzichtet, um Kretschmanns Erfolg nicht zu behindern. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner betont: „Im Unterschied zu Baden-Württemberg können wir uns im Bund nicht in den Windschatten von Merkel stellen, weil sie zur Wahl steht.“
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