Die Großmütter der Slutwalks: Slits und Sluts
Am Samstag ist der Tag des Slutwalks. Den Unsinn, Frauen provozierten mit ihrem Outfit sexuelle Gewalt, konterten schon die Riot Grrrls lustvoll obszön.
Namedropping ist eine Krankheit des männerdominierten Popjournalismus. Im folgenden Text werden reichlich Namen fallen. Begriffe wie Schlampen, Schlitze, Löcher, Sexmiezen, Huren sind von Bedeutung wenn es um das Phänomen Slutwalk geht. Die ersten Schlampen-Demonstrationen steigen an diesem Wochenende in fünf deutschen Großstädten.
In New York wurde kürzlich das zwanzigjährige Jubiläum des Riot Grrrl-Sommers mit einem Kathleen Hanna-Tribute Konzert gefeiert. Als Mitbegründerin der Band Bikini Kill (!) und später mit Le Tigre (Raubkatze) ist Hanna die bekannteste Stimme der Riot Grrrls. Bei besagtem Konzert gab Coco Gordon-Moore den Signatursong von Bikini Kill zum Besten, "Rebel Girl". Coco Gordon-Moore ist die Tochter von Kim Gordon und Thurston Moore, dem notorisch glamourösen Ehepaar von Sonic Youth.
Die Grrrls aus dem Sommer 91 werden langsam Omas. Die Gründe, weshalb sie damals Riots angezettelt, Bands gegründet und Netzwerke geknüpft haben, sind nicht verschwunden. Einen weiteren Grund lieferte im Frühjahr ein kanadischer Polizist. Bei einem Vortrag zum Thema Sicherheit an der Universität Toronto gab er dem weiblichen Publikum einen gutgemeinten Rat: "Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden." Sein Spruch ging um die Welt, seither gibt es an jedem Wochenende Slutwalks.
Widerspruch macht interessant
In Australien, in den USA und jetzt auch in Deutschland gehen Frauen auf die Straße. Wie Schlampen, leicht bekleidet, aufreizend, sexy. Kerstin Grether präzisiert: "Ich habe den Eindruck, dass Demonstrantinnen auf Transparenten zum Ausdruck bringen, was sie schon immer mal gedacht haben, wenn sie belästigt wurden. Jede trägt die Geschichte ihrer eigenen Belästigung oder Vergewaltigung auf einem Transparent. Die knappe Kleidung ist der Versuch eine Pornofantasie darzustellen, dann aber als Pornofigur einen gegensätzlichen Text zu sprechen. Diese Widersprüchlichkeit macht die Slutwalk-Bewegung so interessant."
Mit ihrer Zwillingsschwester Sandra unterstützt Kerstin Grether die neue Bewegung, beim Slutwalk-Warm Up in Berlin spielten sie gestern mit ihrer Band Doctorella. Als Autorinnen und Musikerinnen kämpfen die Grethers seit vielen Jahren im Minenfeld der Popkultur um Respekt und das Recht auf Selbstbestimmung, auch in sexuellen Fragen. Lange vor den ersten Slutwalks spielen beide mit Enthusiasmus und Hartnäckigkeit die Rolle der bewußt nervenden Bilderbuch-Schlampe.
"Neu am Slutwalk ist, dass er bewußt das Klischee widerlegt, Feministinnen sind humorlos und körperfeindlich." Antifeministische Stereotype wie die ewige lila Latzhose sind so alt wie der Feminismus selbst. Antifeministen achten hierzulande penibel darauf, dass in der öffentlichen Rede über Feminismus immer nur der Name Alice Schwarzer auftaucht, als sei die EMMA-Herausgeberin die einzige Feministin und, schlimmer noch, als sei der Feminismus, den sie repräsentiert, der einzige.
Phänomene wie Girlism, Queer Studies oder Riot Grrrls bekommen wenig mediale Aufmerksamkeit, sie bleiben im subkulturellen Schatten der EMMA-Herausgeberin und BILD-Kolumnistin. Kerstin Grether verknüpft lose Enden zu einem historischen Kontinuum. "Bilder der Slutwalks erinnern an die Riot Grrrl-Bewegung. Anfang 90er Jahre gab es viele wütende junge Frauen, die lautstark protestiert haben, Bands wie Bikini Kill, Hole oder Sleater-Kinney haben sich Worte wie Slut auf die Haut geschrieben um zu zeigen, dass sie diese Abwertung nicht mehr mitmachen."
Umwidmen, aneignen, Spieß umdrehen, nicht erst seit den Slutwalks eine Strategie von diskriminierten Minderheiten. Auch schwul war ja mal ein Schimpfwort. Heute hat sogar die CDU ihre Schwulen- und Lesben-Union. "Als Musikerin reizt mich am Slutwalk besonders der Pop-Aspekt, den wir aus dem HipHop kennen, dass man ein negatives Wort wie Slut oder Nigger so lange schreit, singt, skandiert und feiert bis es ein positives Wort ist und damit die Betroffenen nicht mehr beleidigen kann. Man gibt damit die Beleidigung zurück."
Auch die Slits waren Sluts
Die Kulturtechnik der Retourkutsche kannten schon die Großmütter der heutigen Schlampen. Auch die Slits waren Sluts. Im England der Punkrevolte Ende der 70er kämpfen Frauen offensiv um sexuelle Selbstbestimmung. Sie geben sich Namen wie Girls At Our Best, The Raincoats oder The Au Pairs. Oder gleich The Slits. Wenn ihr uns reduzieren wollt auf hirnlose Sexmaschinen, dann nennen wir uns: die Schlitze. Auf dem Cover ihres Debütalbums tragen The Slits 1979 Lendenschurz und sonst nichts, die nackten Brüste sind mit braunem Schlamm bedeckt. Schlampen, Slits & Sluts. In puncto Selbstinszenierung und Bandname zeigt die meistgehaßte Pop-Schlampe der Neunziger Jahre Sinn für Tradition.
Courtney Love läßt gern die Hüllen fallen, ihre Band nennt sie Hole. Loch. Für die autoerotisch-narzisstische Komponente ihres heiteren Exhibitionismus fand eine Kritikerin ein hübsches Bild: "Courtney Love zeigt ihren Brüsten gerne mal das Publikum." Wir wissen nicht, ob Courtney Love ihren Brüsten auch den Slutwalk zeigt, wenn es nach Sandra Grether geht, wird ihre Band zumindest musikalisch vertreten sein. "Der Song ,Ask for it' von Hole passt gut zum Slutwalk, weil schon im Titel ein wesentlicher Punkt, angesprochen wird, nämlich die Frage, ob man eigentlich danach gefragt hat."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?