: Die Geigerin und der Dieb
Sie ist Journalistin, reist gerne nach Italien, spielt Geige. Er ist Elektroinstallateur, sitzt wegen Diebstahls seit frühester Jugend immer wieder hinter Gittern. Seit knapp vier Jahren sind Heike und Peter L. verheiratet. Ihre Ehe leben sie in Briefen, Telefonaten und Besuchen im Gefängnis von Bruchsal. Nun droht Peter L. eine Sicherungsverwahrung – unbefristet. Eine Liebe, protokolliert von Marianne Mösle
Vor zehn Jahren, bei der Einweihung der Anstaltskapelle in Bruchsal, Festakt, mit Gottesdienst und Stehempfang. Der Peter kam direkt auf mich zu. Er hat wohl gedacht, dass ich vielleicht über seinen Fall schreiben könnt. Er hat mir erzählt, dass er einen Prozess haben wird, dass er wegen schweren Einbrüchen verurteilt wird, ja, und ob er mir was über sein Leben schicken könnt.“
„Bevor ich mit meinem Bericht beginnen möchte, Heike, sollst du ruhig wissen, dass die hier angeführten Zeilen mit einem stillen und tiefen Schmerz niedergeschrieben sind ... Ich habe mich kaum nach Hause getraut, da ich so oft vom Stiefvater, der nicht selten den Hund auf mich hetzte, misshandelt und geschlagen wurde ... Die Nachbarschaft brachte mich mit dreizehn Jahren in Misskredit: Ich hätte versucht, eine leer stehende Wohnung in Brand zu stecken und würde mit Handgranaten rumspielen ... Ein Richter ließ mich in das Nervenkrankenhaus einweisen. Abgespritzt und ans Bett gefesselt, da wurde mein Leben zerstört.“
„Ich war ziemlich betroffen. Im März 1990 hab ich ihn zum ersten Mal besucht. Ich hab zu ihm gesagt, er solle mich als Schwester betrachten, weil ich net wollt, dass er sich Hoffnungen auf mich macht. Ich dacht, ich schenk dem jetzt a bissl von meiner Zeit, eine Stunde oder zwei, dann tu ich was Sinnvolles in meiner Freizeit. Ich hab mich für jemanden verantwortlich gfühlt, des hat mein Selbstwertgefühl gestärkt. Einmal hat der Peter mich gefragt, ob ich nicht Besseres zu tun hätt. Da hab ich geantwortet: ‚Du bist mir das wert.‘ Das war wie Weihnachten für ihn.
Manche von meinen Bekannten haben vielleicht gedacht, der Peter würd mir was verheimlichen, wegen seiner langen Strafe. Aber es steht ja alles im Urteil, die Vorstrafen, der ganze Lebenslauf. Nee, ich hatt keine Angst, ich hab dacht, so schlimm, wie er im Gutachten geschildert wird, kann doch kein Mensch sein.
Meine Mutter hat Verständnis ghabt. Sie hat früher als Erzieherin mit Schwererziehbaren gearbeitet . Skeptisch waren nur meine zwei älteren Schwestern. Eine hat in der ersten Zeit immer gesagt: Warum bist du nicht Sozialarbeiterin geworden? Und eine Journalistin hat mich nach meinem Helfersyndrom gfragt. Die muss bekloppt sein, hat sie wohl gedacht.“
„Liebe Heike, kurz: an Gott glaube ich nicht groß. Aber ich wünsche mir von Herzen, dass es einen geben möge und so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit ... ‚Verurteilt wegen Diebstahls u. a.‘ – hier steht’s, 1989, des ist wirklich alles. Sieben Jahre, dazu kommen noch zwei Jahre von ner alten Haftstrafe und zwei, weil ich damals bei der Sozialtherapie auf dem Hohenasperg nen Ausflug gmacht hab. Und die Sicherungsverwahrung, angeblich wegen meinem ‚Hangt‘ – wie sie sagen – zu Straftaten, weil ich gefährlich sei. Das sind dann 21 Jahr (wenn ich zehn Jahre Sicherungsverwahrung rechne, aber seit zwei Jahren ist sie ja unbegrenzt, also kann’s noch länger dauern) für vier Einbrüche. 120.000 Mark Schaden sind da entstanden, 80.000 wurden wieder gutgemacht, fehlen noch 40.000. Dafür muss ich länger als jeder Lebenslängliche ... nur wegen Materiellem.“
„Weil Peter immer wieder straffällig geworden war, sei die Strafe so hoch. Und wahrscheinlich, weil er Waffen und Munition gestohlen hat. Die Verhandlung wegen dem Ausbruch auf dem Hohenasperg, da wurde ein älteres Gutachten vorgelesen, über Peter, als ob er ein Monster wär. Er ist zusammengebrochen, hat geheult, es war wie eine Auspeitschung mit Worten. Dann hab ich gfragt, ob ich was dazu sagen könnt. Ich hab so arg das Bedürfnis gehabt. Ich hatte ja so viel Positives an ihm kennengelernt.
Danach ist dann viel mehr Vertrauen dagewesen, die Gespräche wurden intensiver. Ein paar Monate später haben wir festgestellt, dass da mehr ist, dass sich die Beziehung verändert hat, dass wir uns verliebt haben. Wahrscheinlich war schon vorher was da: Seine Stimme, eine tiefe Stimme, die hat mir gut gefallen, seine ruhige Ausstrahlung, seine schönen Hände. Ja, und dass er so herzlich sein kann und seine Gefühle zeigen. Er hat mir immer ein kleins Blumensträußle mitgebracht – das hat er getauscht gegen Kaffee oder Zigaretten –, da hab ich mich sehr gfreut. Außerdem hat mir Peter einen ganz anderen Zugang zur Kunst vermittelt. Hab ich des schon gesagt?, dass er Collagen macht, sehr schöne ...
Trotzdem ließ ich mir viel Zeit, alles zu überdenken. Ich hab mit Leuten geredet, ich hab mir überlegt, dass es schwer werden wird, auch weil Peter vielleicht nicht so stabil ist ... Aber ich musst einfach denken, den hat mir Gott jetzt übern Weg gschickt, das ist der Mann, den ich gern mag, das ist der Mann, der zu mir passt.
Den Betreuerstatus hab ich dann abgegeben, die Besuche waren von da an überwacht, die Kontrollen schärfer. Weil da eben doch viel eingschleust wird, Drogen und so. Das war hart, küssen kann man sich trotzdem. Als ich meinen Eltern gesagt hab, dass wir heiraten wollen, da war das erst mal ein Schock. Die haben sich dann jedoch ganz toll verhalten und sind auch dabei gewesen bei der Hochzeit, 1996, im März standesamtlich und im September kirchlich. Ja, ich denk, dass sie ihn mögen. Und der Peter ist stolz, dass er jetzt Schwiegereltern hat.
Im Moment haben wir drei mal dreieinhalb Stunden im Monat, Langzeitbesuch, unbeaufsichtigt im Container auf dem Hof. Der ist nicht groß, vielleicht vier auf fünf Meter, eine Eckbank steht drin, ein Tisch, ein Sofa zum Ausziehen. Da kann man sogar kuscheln, das Allerschönste daran ist, dass man total ungestört ist. Man glaubt gar nicht, was man in eine Stunde alles reinpacken kann. Wir haben auch schon mal zwei Besuche auf einen Tag gelegt, des ist dann schon was Besonderes. Da kriegt man die Mittagszeit dazu, kocht sich Spaghetti, mit dem Tauchsieder und einem Eimer, aus dem mein Mann ein Sieb macht, indem er Löcher reinbohrt. Er kann toll improvisieren. ... Ich kenn’s ja net, wie’s wär, wenn er da wär. Ich glaub, ich kann ganz gut alleine sein, ich hab auch einen großen Freundeskreis. Doch manchmal hab ich schon gedacht, wenn wir jetzt zusammen frühstücken könnten.“
„Liebe Heike, ... Die Jahre im Gefängnis? Ich wollte nicht resignieren, hab mich mit meinem Leben auseinandergsetzt. Aber jetzt wehr ich mich, ich will kämpfen. Ich hab bisher keine einzige Straflockerung gekriegt, nicht einmal die Ausführung, die wir zwischen Weihnachten und Neujahr beantragt haben, ist genehmigt worden. Das heißt, dass ich in die Sicherungsverwahrung komm. Guck sie dir doch an, in der SV, acht, zehn Jahre oder länger, der Blick ist leer.“
„Grade jetzt, wo die Haft zu Ende geht und Peter nicht weiß, ob er demnächst die angeordnete Sicherungsverwahrung antreten muss, geht’s ihm gar nicht gut, er ist verzweifelt, hat Panik. Er sagt, der Knast hätt ihm noch nie so weh getan wie jetzt, wo er mich hat. Mit Gedanken ist er draußen, bei mir, und er sagt, dass es fast leichter wär, wenn er allein wär. Das macht den Menschen doch kaputt. Ich hab Angst, dass mein Mann den Realitätssinn verliert – wie man das bei Langzeithäftlingen kennt –, manchmal wenn er sich so depressiv verschließt und in Dinge verrennt. Ich weiß doch, dass sich Peter gut weiterentwickelt hat, warum wird das nur nicht gesehen? Zum Beispiel, dass er seine Arbeit durchhält. Oder dass er zärtlich sein kann, das empfind ich als was so Schönes. Das ist für ihn keine Selbstverständlichkeit, nach dem, was er erlebt hat.
Wenn er rauskommt, wie’s dann wird? Eigentlich denk ich nicht dran. Ob er wieder straffällig wird? Garantieren kann man für niemanden, natürlich net. Peter weiß, dass er für sich selbst verantwortlich ist, er fühlt sich auch verantwortlich für mich, das hat er oft gesagt. Ein Grund für seine Einbrüche war, dass er keine funktionierende Beziehung zu jemandem hatte. Die hat er jetzt, Gefühle sind aufgebrochen, die er früher nicht kannte.
„Es wäre schön, Heike, wenn du, als meine Frau, mich jetzt unterstützen würdest. Die haben für mich wieder den gleichen Gutachter bestellt wie vor zwei Jahren. Weil wir damals über Gewaltfantasien gesprochen haben, in der Fantasie, im Fernsehen, da hat er geschrieben, dass ich gewalttätig gegen Frauen werden könnte. Aber ich hab doch noch nie ner Frau was getan. Und jetzt soll ich da wieder hingehen? Versteh mich, das kann ich wirklich nicht. Der ist doch befangen, der schreibt doch wieder das Gleiche. Wie soll ich da je rauskommen?“
„Ohne positive Prognose muss Peter im Mai die Sicherungsverwahrung antreten, und zwar zeitlich unbegrenzt, lebenslänglich ... Nicht in Bruchsal, sondern in Freiburg, das ist so weit. Als Ehefrau hab ich da keine besonderen Besuchsrechte, Langzeitbesuche gibt’s eh nicht. Da redet man so schön von Resozialisierung, aber wie soll man sich auf eine Entlassung vorbereiten, wenn man überhaupt nicht weiß, wann?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen