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Die Deutsche Seewarte in HamburgDer Schatz der Seeleute

Die Deutsche Seewarte wertete ab 1875 die Logbücher von Seeleuten aus, um Wissen über das Meer und das Wetter zu gewinnen. 1945 wurde sie zerbombt.

Die Deutsche Seewarte am Hamburger Hafen steht nicht mehr, ihre Forschung wird anderswo fortgeführt Foto: Unbekannter Fotograf/Photochrom Print Collection, Public domain, via Wikimedia Commons

Bremen taz | Es war ein Schatz, den die Deutsche Seewarte geborgen hat. Ein riesiger Datenschatz, der über Ewigkeiten wenig Beachtung gefunden hatte. Strömungen, Windstärken, Luftdruck – all das war jahrhundertelang von Seeleuten in Logbüchern gesammelt und dann liegengelassen worden. Die Deutsche Seewarte trug ab 1875 diese Daten zusammen, um Wissen zu gewinnen über die Wege, die Wasser und Luft im Meer und in der Atmosphäre nehmen, über Hydrographie und Meteorologie.

Na gut, die erste war die Seewarte damit nicht; die Erkenntnis, dass die Daten zusammengenommen ein Stück weit die Welt erklären können, war einem amerikanischen Marineoffizier schon 30 Jahre zuvor gekommen, als er nach einer Knieverletzung viel Zeit mit Logbüchern verbracht hatte.

International hatte man sich daher schon 1853 auf einheitliche Formulare geeinigt, um Logbuchdaten austauschen zu können. Die Deutschen Staaten waren noch mehr mit sich selbst beschäftigt und erstmal nicht dabei. Langsam setzte sich aber auch hier die Idee durch. Einige Reeder und die Handelskammern von Bremen und Hamburg gründeten privat ein Institut. In den 1870ern dann wurde die Norddeutsche zur Deutschen Seewarte und fortan staatlich vom Kaiserreich finanziert.

Kapitäne, die ihr Logbuch bei den Wissenschaftlern der Deutschen Seewarte abgaben, bekamen im Gegenzug exklusiv sogenannte „Segelanweisungen“ für die nächste Überfahrt. Ein guter Tausch: reine Daten gegen echtes Wissen.

Schiffe konnten ein Fünftel ihrer Reisezeit einsparen

Bald wurden die besten Routen auch als Bücher herausgebracht, ein Fünftel ihrer Reisezeit konnten Schiffe so sparen. Genauso anwendungsbewusst zeigte sich die Forschung zur Meteorologie: Die vielen Datenpunkte – man profitierte von 1.500 Wetterstationen im Reich und in den Kolonien – wurden in Hamburg nicht nur analysiert sondern auch grafisch aufbereitet: Als Wetterkarte.

Nein, wer seine Forschungsergebnisse so unmittelbar verwertbar ans Volk bringt, der muss keine Kürzungsdiskussionen fürchten. Grundlagenforschung betrieb man trotzdem. Beteiligt war die Deutsche Seewarte schließlich an nahezu allen deutschen Expeditionen jener Zeit – und hat so ihren Anteil an der Einteilung der Welt in Klimazonen, an der Kartierung des Mittelatlantischen Rückens, an der Entdeckung des Kontinentaldrifts. Alfred Wegener war einige Jahre lang Vorstand der Deutschen Seewarte.

Die, die all das enthusiastisch erzählt, ist Katrin Kleemann. Seit dem Sommer erforscht die Umwelthistorikerin am Deutschen Schifffahrtsmuseum die Geschichte der Seewarte. 70 Jahre hat das Institut existiert, 77 Jahre ist das jetzt her. Das Gebäude am Hügel über den Landungsbrücken wurde 1945 zerbombt, und ja, das war nur folgerichtig: Natürlich arbeitete das Institut auch im Krieg anwendungsorientiert. Von hier wurde der U-Boot-Krieg unterstützt. Im ersten wie im zweiten Weltkrieg vervielfachten sich die Mitarbeiterzahlen.

Heute übernehmen der Deutsche Wetterdienst und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die Aufgaben der Seewarte. Manchmal meldet sich sie sich auch selbst noch in der Gegenwart. So wie 2018, als eine Australierin eine Flaschenpost fand: 1886 war sie ins Meer geworfen worden, mit der Bitte an die Finder, sie an die Seewarte zurück zu schicken. Man wollte so mehr über Meeresströmungen erfahren. Immerhin 600 der 5.000 Karten aus den Flaschen haben ihren Weg zurück nach Hamburg geschafft: Gelungene Citizen Science.

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