■ Die CDU will die drogenfreie Gesellschaft, die Grünen fordern das Recht auf Rausch. Abhängigen hilft beides nicht: Die heile und die bedröhnte Welt
„Rot + Grün = Heroin“ – dieses Gespenst treibt die CDU um. Mit ihren „Leitlinien für eine Anti- Drogen-Politik der Zukunft“ beschwört sie erneut das Dogma der Drogenabstinenz: „Die CDU hält am Ziel eines suchtfreien Lebens fest.“ Gleichzeitig dämmert ihr, daß in einer freiheitlichen, aber auch auf Leistung und Konsum getrimmten Gesellschaft Drogengebrauch eine Realität darstellt. Deshalb heißt ihr Zauberwort Prävention, die nicht erst im Kindergarten beginnt. Nein, schon in der Schwangerenberatung soll „auf die Gefahren des Suchtmittelmißbrauchs hingewiesen werden“.
Allerdings werden Jugendliche aus Broken-home-Milieus, die am dringendsten Hilfe und Beratung brauchen, durch präventive Maßnahmen kaum erreicht. Sie sprechen allenfalls Jugendliche aus behütetem Hause an, bei denen die Wahrscheinlichkeit, daß ein vorübergehender Spaß- oder Probierkonsum in eine Suchtkarriere mündet, eher gering ist. Wo die Drogenkonsumenten aber nicht im Sinne der CDU-Handlungsmaxime vom „suchtfreien Leben“ verantwortungsbewußt handeln, zeigt sich die Janusköpfigkeit der Präventionsstrategie. Sind die Menschen nicht willig, so greift die CDU zur Gewalt: Selbst eine gerichtlich angeordnete Zwangseinweisung Drogenabhängiger in einen stationären Entzug wird empfohlen. Ein aberwitziger Vorschlag. Denn selbst für eine Vielzahl Therapiewilliger fehlt es an geeigneten Plätzen.
Die CDU hält an einer heilen Welt fest, in der intakte Familien und Verbände das Ideal vom suchtfreien Leben vorleben. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Zwar werden in den Leitlinien auch Alkohol-, Medikamenten- und Nikotinkonsum angesprochen. Doch politischen Handlungsbedarf sieht die CDU nur bei den Drogen der anderen, den harten Drogen der sozial Gestrandeten und den Modedrogen der Jugend. Statt das Fremdartige zu verteufeln, müßte sich die Drogenpolitik der Vielzahl von Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft stellen. Wo wir aufgerufen sind, selbst Gesetzgeber unserer Lebensform zu sein, haben auch Lebensmodelle Bestand, die Drogenerfahrungen einschließen. Dabei gibt es Individualisierungsgewinner und -verlierer. Manche wissen die Chance zu nutzen, einen meist nur zeitweiligen Drogengebrauch subjektiv sinnvoll in das Spiel ihrer Selbstinszenierung einzubauen. Andere scheitern an dieser Aufgabe. Ihr Leben wird durch die Droge bestimmt. Gegen diese Pluralität von Lebensentwürfen die Vision vom suchtfreien Leben durchsetzen zu wollen, läuft, trotz Therapieforderung und Prävention, letztlich doch wieder auf Repression gegen die Drogenkranken hinaus.
Eine solche Politik wäre so grundfalsch, daß auch das von den Bündnisgrünen und von Teilen der SPD propagierte bloße Gegenteil nicht richtig sein kann. Deren Konzepte zielen auf eine akzeptierende Drogenpolitik. Sucht soll als unabänderlicher Bestandteil der Gesellschaft akzeptiert werden. Schadensbegrenzung und Überlebenshilfen für Süchtige heißen für sie die Zauberworte. Doch diese als humane Alternative vorgestellte Politik wird mit unrealistischen Erwartungen überfrachtet. Und sie kann für eine Entsolidarisierung gegenüber Suchtkranken mißbraucht werden.
Begründet werden die Initiativen zur Vergabe harter Drogen oder zur Einrichtung von Fixerstuben mit Hilfen für Betroffene und mit der Reduzierung drogenbedingter Kriminalität. Tatsächlich ist das eine Ziel nur auf Kosten des anderen zu erreichen. Beschränkt man die ärztliche Heroinvergabe auf die kleine Gruppe verelendeter Süchtiger, die weder durch Ausstiegs- noch durch Methadonprogramme erreicht werden, so verringert dies die Beschaffungskriminalität nicht entscheidend. Spricht man sich hingegen wie die Bündnisgrünen für eine weitgehend kriterienlose Heroinvergabe aus, so untergräbt man die Akzeptanz für Methadonprogramme. Diese bieten aber eine weit größere Chance, daß die Suchtkranken wieder therapie- und beziehungsfähig werden. Und mit der erhöhten Verfügbarkeit des Heroins wird zugleich der jetzige Standard des Jugendschutzes vor Drogen verringert. Drogenpolitik dient den Grünen als Mogelpackung, um einer überfälligen Diskussion über den Sinn des Strafrechts auszuweichen.
Eine grüne Drogenpolitik, die sich in der Entkriminalisierung des Drogenkonsums erschöpft, gerät in Widerspruch zum eigenen gesundheitspolitischen Ziel, „die Gefährdung aller Bürgerinnen und Bürger durch Suchtstoffe aller Art zu reduzieren“. Halten die Grünen an ihrer gesundheitspolitischen Zielsetzung fest, so werden sie Konzepte zur Bekämpfung des Rauschgifthandels vorlegen müssen. Noch bedenklicher ist die Tendenz, daß eine akzeptierende Drogenpolitik Gleichgültigkeit und soziale Kälte gegenüber Suchtkranken befördert. Wer setzt sich noch für Hilfen für Süchtige ein, wenn das Ausleben des „Rechts auf Rausch“ als gleichwertige Façon des einzelnen gilt, selig zu werden? Die Hamburger Bundesratsinitiative zum Heroin auf Rezept verzichtet auf begleitende soziale Betreuung für die oftmals wohnungs- und arbeitslosen Süchtigen. Steht hier die Hilfe für Süchtige im Vordergrund? Oder geht es vorrangig darum, das Drogenelend von der Straße zu verbannen?
Die Bündnisgrünen machen sich einseitig zum Anwalt jener Individualisierungsgewinner, für die Drogenkonsum Teil der Selbstverwirklichung ist. Opfer der polarisierten Drogendebatte sind die Drogenkranken. Eine überfällige Reform der Drogenpolitik würde demgegenüber allen Zugeständnisse abverlangen. Der CDU die Einsicht, daß die Realität der Sucht pragmatische Überlebenshilfen erforderlich macht. Hierzu zählt die Heroinvergabe an verelendete Süchtige, die nach langjähriger Suchtkarriere und abgebrochenen Therapien für andere Hilfen nicht mehr ansprechbar sind. Und „Fixerräume“ für diese Klientel. Dies wäre kein Einstieg in eine Legalisierungsspirale. Und keine Alternative zur polizeilichen Bekämpfung des Drogenhandels. Vielmehr Konsequenz der Einsicht, daß Drogensucht eine Zivilisationskrankheit ist. Aber auch Sozialdemokraten und insbesondere die Grünen müssen sich entscheiden: Wollen sie mit ihren Liberalisierungsforderungen die Klientelinteressen jener befriedigen, die auf eine Drogenlegalisierung setzen? Oder geht es ihnen um konkrete Hilfen für Drogenkranke bei Wahrung gesundheitspolitischer Ziele und des bisherigen Standards des Kinder- und Jugendschutzes? Harry Kunz
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