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Die CDU-Parteispendenaffäre und ihre Folgen (9): Die deutsche Demokratie funktioniert. Es gibt keine Kultur des GeheimenIntrigen überfordern die Politiker

Die Strukturen sind nur scheinbar mafios. Es fehlte das Talent zur Verschleierung.

In der CDU-Spendenaffäre fliegen die Metaphern nur so durch die öffentliche Luft: Sümpfe und Labyrinthe, Licht und Aufklärung. Denn eine Sache ist zum Thema geworden, die es vom Begriff her niemals sein düfte: das Geheime. Wesentlicher Bestandteil eines jeden Skandals, zumal eines politischen, ist, dass ans Tageslicht kommt, was verschleiert, was geheim gehalten werden sollte. So einleuchtend diese Annahme auf den ersten Blick scheint, dass alles politisch Skandalöse irgendwie geheim ist, so paradox mutet dies bei genauerem Hinsehen an. Bedeutet politische Praxis nicht immer, dass Dinge im kleinen Kreis und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden? Gehört nicht die Tür, die sich vor Kameras und Mikrofonen schließt, zu den wichtigsten televisionären Requisiten, mit denen die Bedeutung von Fraktions-, Vorstands- und Präsidiumssitzungen verbildlicht wird? Moderne Politik kann sich nicht anders entfalten als im Spannungsfeld von offen und geheim.

Allerspätestens seit Machiavelli den Fürsten riet, ihre Ziele und Pläne für sich zu behalten, ist das Geheime integraler Bestandteil des Politischen, gilt es als unabdingbare Voraussetzung erfolgreicher Machtausübung. So förderte der Staatsbildungsprozess den „Geheimrat“ zu Tage, der auch dann noch so hieß, wenn sich seine Aktivitäten auf bloß Alltägliches beschränkten. Entscheidend war nämlich nicht allein und vielleicht nicht einmal in erster Linie das Geheime selbst, sondern vor allem seine Aura.

Mit dem Sieg der bürgerlichen Demokratie schien sich dieses Politikverständnis überlebt zu haben. Der rationale Interessenabgleich in der Mediendemokratie bedarf der Transparenz, lebt von der offenen Kommunikation – oder zumindest von ihrer Inszenierung. Überzeugen kann den Wähler nur die Lauterkeit der Ziele, die Durchsichtigkeit der Motive, die Sachlichkeit der Motive. So verabschiedete sich die Adenauer-Ära endgültig, als im neuen Bundeshaus gläserne Wände und runde Sitzbänke von Transparenz kündeten.

Der erfolgreichste deutsche Politikertyp dieser modernen Form der Machtausübung aber ist der Biedermann. Ihm traut man wohl Unregelmäßigkeiten zu, etwa dass er ein paar Mal umsonst fliegt. Wirklich schlimme Dinge, Ruchlosigkeiten im großen Stil jedoch kaum. Selbst im Unrecht weiß er Maß zu halten. Er verbirgt nichts, weil er nichts oder nicht allzu viel zu verbergen hat. Mag er mitunter auch autoritär sein, so fehlt seiner Macht doch das Mythische, geht ihm die Affinität zum Geheimen ab. Dies jedenfalls schreibt die Rolle vor. Dennoch ist es anders gekommen: Der einstige Innenminister, immer so aufrecht, beinahe nicht mehr biedermännisch in seiner Prinzipienfestigkeit, hat nicht nur Kanten, er hat auch Konten.

Andernorts hat sich der Biedermann weniger vollkommen durchgesetzt. In Europa kennt die Herrschaftspraxis kulturspezifische Unterschiede. Margaret Thatcher etwa verlängerte die Geheimhaltung wichtiger Akten aus dem Zweiten Weltkrieg kurzerhand um dreißig Jahre und tankte so den Ruhm der längst vergangenen Tage, als Großbritanien ein letztes Mal Weltgeschichte schreiben durfte. Indem sie die alten Akten willkürlich weiterhin geheim hielt, übertrug sie den Mythos jener Jahre auf sich. Was da eigentlich geheim gehalten wurde, trat dabei ganz in den Hintergrund. Wichtig war nur, dass jeder erfuhr, dass es geheim bleiben sollte. Allein aus der Kontinuität des Geheimnisses entsprang die Kontinuität des Prestiges.

Die französische Politik bietet ähnlich Bizarres. Spielte sie sich ohnehin meist in Palästen ab – unlängst residierte der französische Finanzminister noch im Louvre –, so verkraftete sie es durchaus, wenn einmal ein hochrangiger Mitarbeiter des Élysée-Palastes Selbstmord beging. Mitterrand, der seinen von Machiavelli abgeleiteten Spitznamen „der Florentiner“ wie eine Auszeichnung trug, erfreute die Franzosen kurz vor seinem Tod mit der Aufdeckung einer ganzen Reihe von Geheimnissen – bis hin zur klischeegerechten Nebenfamilie. Über den spannendsten dunklen Punkt, seine Vichy-Vergangenheit, raunte man mit vergnügtem Entsetzen. Der Präsident selbst ließ bei Gelegenheit genüsslich durchblicken, dass er sich keineswegs biedermännisch vorkam. Nach der Aussprache seines Namens gefragt, antwortete er „wie Talleyrand“ und verglich sich so mit Napoleons hochadligem Außenminister, dem Meister geheimer Affären. Das Charisma des Staatsoberhauptes erforderte geradezu das Zelebrieren eines geheimnisumwitterten Politikstils, einer Ästhetik der Verschwörungen.

Dem Biedermann steht solches nicht zur Verfügung. Noch seine menschliche Fehlbarkeit erhöht den Eindruck seiner grundsätzlichen Lauterkeit. So helfen paradoxerweise selbst die kleinen Affären, die großen für unwahrscheinlich gelten zu lassen. Nun aber sieht sich die Öffentlichkeit mit Koffern voller Geld konfrontiert, mit geheimen Konten im Ausland, geht das Wort um vom „schlechten Krimi“. Und genau das fällt auf, die eigentümliche Peinlichkeit und Stümperhaftigkeit der Vorgänge, die grotesken Versatzstücke aus Le Carré oder vielleicht doch nur aus dem „Tatort“. Welch peinliche Ausreden waren zu hören: anonyme Vermächtnisse! Die Akteure auf der politischen Bühne hielten ihr Publikum offenbar für so naiv, wie sie es selbst waren. Dies zeigt, dass die Strukturen nur scheinbar mafios sind. Die Vorgänge mit den Bargeldkoffern sind zu amateurhaft, die Zahl der Mitwisser ist viel zu groß, und die Spitze ist viel zu direkt involviert. Alle Grundregeln der konspirativen Tätigkeit wurden verletzt. Den Handelnden fehlte nicht nur der äußere Schein des Geheimen, sondern auch das Talent zur groß angelegten Verschleierung. Erstaunlich nur, dass die Sache nicht schon weit früher aufflog.

Moderne Politik kann sich nur entfalten im Spannungsfeld von offen und geheim

Der Zustand der bürgerlichen Demokratie ist also so schlecht gar nicht, wie die Affäre glauben macht. Es mangelt den deutschen Staatsmännern nicht nur an einem anerkannten Politikstil, der den Reiz des Geheimen legitimiert, sondern sie scheitern auch daran, sich die geheimen Spielräume zu erschließen, für die ihnen die ästhetische Legitimation fehlt. Kohl ist eins mit seiner Rolle: Er bleibt der geheimnislose Biedermann und versteht es nicht, sich imagewidrig zu verhalten. Die große Affäre läuft nach dem Drehbuch einer kleinen, weil die Autoren von der CDU das Genre des Spionagethrillers nicht beherrschen. Dies ist ein Sieg der bürgerlichen Demokratie: Sie hat sich – gottlob – einen Politikertyp erschaffen, der über die Grenzen seiner Biederkeit selbst dann nicht hinauswächst, wenn er einen Aristokraten, den Prinzen Sayn-Wittgenstein etwa, zum Geldwäscher ernennt.

Andrew Johnston

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