■ Die Berliner Sozialdemokraten wollen alles auf eine Karte setzen: Die Sehnsucht nach dem Schröder-Effekt
Die Arme weit nach oben gerissen, der ganze Mann in Siegerpose. Das hat man lange vermißt in der Berliner SPD. Mit der überraschend deutlichen Entscheidung für Walter Momper als Herausforderer des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) haben sich die Genossen an der Basis vom Stallgeruch der Großen Koalition reingewaschen. Statt für den blassen, aber verläßlichen Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger haben sie sich für den charismatischen „Mann mit dem roten Schal“ entschieden. Mit Walter Momper, so lautet ihre Hoffnung, wird einer ins Rennen gehen, der nicht nur den Schröder-Effekt in die Hauptstadt bringen, sondern den Wählern den Willen zu einem rot-grünen Wechsel als einziger glaubhaft vermitteln kann.
So verständlich der Wille zur politischen Katharsis an der Basis ist, so merkwürdig mutet es an, wenn nun auch die Böger-treue Führungsriege so tut, als wäre die Große Koalition in den vergangenen Jahren nichts anderes gewesen als ein wohl vorbereiteter langer Marsch in Richtung rot-grüner Wechsel. Zwar waren die Rücktritte des bisherigen Landesvorsitzenden und Böger-Unterstützers Detlef Dzembritzki sowie des Landesgeschäftsführers Norbert Meisner zwingend. Die beinahe schon flehenden Bitten, Momper möge nun auch noch das Amt des Parteichefs übernehmen, waren es nicht. Im Gegenteil: Die Strategie, nun alles auf die Momper-Karte zu setzen, zeugt nicht gerade vom Selbstbewußtsein, den Wechsel auch als Partei zu schaffen.
Doch nicht nur das unterscheidet die Berliner SPD von der Bundespartei und damit vom so sehr herbeigesehnten Schröder-Effekt. Auch der Umstand, daß Walter Momper eher ein Kandidat der Polarisierung als der „neuen Mitte“ ist, macht deutlich, daß der Wunsch nach dem Wechsel das eine, die tatsächliche Chance dafür aber das andere ist.
Nicht umsonst haben Bundespolitiker wie Wolfgang Thierse gestern die Berliner SPD zur Geschlossenheit gemahnt. Ob dieser Appell bei der notorisch zerstrittenen Hauptstadt-SPD, die ein führender Genosse einmal als „Selbsterfahrungsgruppe“ tituliert hatte, ankommt, ist allerdings fraglich. Schon einmal – nach der Urwahl 1995, Ingrid Stahmer besiegte Walter Momper – haben die Genossen an der Spree bewiesen, daß persönliche Ressentiments im Zweifel vor dem gemeinsamen Willen zum Wechsel stehen. Diepgen hat es ihnen gedankt. Uwe Rada
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