■ Die Alternative für die NRW-Grünen heißt nicht „Glaubwürdigkeit oder Kapitulation“, sie heißt „Flüchten oder Standhalten“: Grüne an der Grube
Seit Wolfgang Clement pünktlich zum Fest der Liebe als rosa Elefant durch den Düsseldorfer Porzellanladen trampelte, fürchtet die Kohl-überdrüssige Mehrheit der Republik wieder das Schlimmste. Hält die wilde Düsseldorfer Ehe? Oder verschlingt ein virtuelles Loch die rot-grünen Zukunftsträume?
„Das“, spottet der Minister der Wirtschaft, „ist jetzt ein Problem der Grünen“. Frechheit siegt. Wie auch immer sich die NRW-Ökos heute zusammen- oder auseinanderraufen, ohne Blessuren wird es nicht abgehen.
An nicht immer wohlmeinenden Ratschlägen herrscht kein Mangel. Man empfiehlt den Akteuren eine weise Entscheidung – und meint mehrheitlich den Kotau. Hinterher, auch das gehört zum Geschäft, delektiert sich die veröffentlichte Meinung an der neuen Umfallerpartei, die nahtlos in die Traditionsrolle der FDP schlüpft. Das sind schöne Aussichten.
Nicht erst seit Clements vorweihnachtlichem Sondereinsatz für die Braunkohleschürfer haben die Grünen ein Problem. Beim heißen Koalitionstanz um die imaginäre Grube gerät der materielle Kern des Garzweiler-Streits in Vergessenheit. Je kräftiger die Kommentatoren den Fortbestand der Regierung in Düsseldorf zur „Voraussetzung für einen Machtwechsel in Bonn“ aufblasen, um so weiter rückt die Frage nach dem energiewirtschaftlichen Sinn des Tagebaus Garzweiler II in die Kulisse.
Vorn an der Rampe spielt jetzt die „Große Politik“ – der SPD-Betonriege direkt in die Arme. Die Öffentlichkeit nimmt den Garzweiler-Konflikt inzwischen wahr wie den um die Versenkung der Ölplattform Brent Spar im Nordatlantik. Eben als Streitsymbol, dessen grelle Ausleuchtung Orientierungsmarken in der politischen Auseinandersetzung setzt. Das tut Garzweiler zweifellos auch. Doch während eine Ölplattform auf dem Grund des Ozeans keineswegs über die Zukunft der Ölwirtschaft entscheidet, reicht die Garzweiler- Grube durchaus als Richtungsanzeiger für die Energiewirtschaft in Deutschland, möglicherweise in Europa.
Das macht den Unterschied: Garzweiler ist nicht erledigt, wenn der Polit-Krimi um Garzweiler erledigt ist. Deshalb (und weil, bis die Bagger anrollen, noch zwei Legislaturperioden vergehen) können die Bündnisgrünen mit dem Riesenloch nicht leben wie, sagen wir, mit der Hafenerweiterung in Hamburg. Nach dem Motto: Sorry, war leider schon entschieden.
Gegen den Verlust von 48 Quadratkilometer fruchtbaren Ackerbodens, umgelenkte Grundwasserströme bis weit in die Niederlande, 1,2 Milliarden zusätzliche Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxyd und 8.000 umgesiedelte Menschen bringt Wolfgang Clement 9.000 Arbeitsplatzbesitzer in Stellung. Das ist keine zu vernachlässigende Größenordnung, zumal in diesen Zeiten. Dennoch muß es erlaubt sein, an Ostdeutschland zu erinnern. In den dortigen Braunkohlerevieren gingen 83.000 Arbeitsplätze verloren, in drei Jahren nach der Wende. Der Strukturwandel im Rheinland, der so oder so kommt, ist steuerbar, wenn man will.
Clement will nicht. Er nennt das Garzweiler-Loch „eines der wichtigsten industriepolitischen Projekte des Landes Nordrhein-Westfalen“, zweifellos eine der ignorantesten Aussagen aus Politikermund seit Kohls „Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000“. Der Mann, der das Land an Rhein und Ruhr ins nächste Jahrhundert führen will, will seine Klientel glauben machen, daß Strom in diesem hochindustrialisierten, dichtbesiedelten Land im Jahr 2045 auf dieselbe archaisch-brachiale Weise erzeugt wird wie 1945. Wehe, wenn solche Zukunftspolitiker eine Zukunft haben.
Natürlich kommt es anders. Niemand kann im Ernst annehmen, daß RWE/Rheinbraun ihren Canyon bis zur Neige ausschürfen. Ob eine Kohlendioxyd-Abgabe, eine Neubewertung der ökologischen Konsequenzen des Braunkohletagebaus oder schlicht Einbrüche beim Stromabsatz die Wende bringen, weiß niemand. Aber die Wende kommt.
Bis dahin ist Zeitgewinn die oberste Handlungsmaxime im Kampf gegen Garzweiler. Damit mit dem Unsinn gar nicht erst angefangen wird. Hätten die Grünen den Rahmenbetriebsplan, einen wichtigen, aber eben nur einen von mehreren Schritten auf dem langen Weg zur Genehmigung, nicht zum Knackpunkt für die Koalition gemacht, käme niemand auf die Idee, das Regierungsbündnis ausgerechnet jetzt aufzukündigen. In dem Moment, in dem das Gesetz des Handelns erstmals in das grün- geführte Ressort übergeht.
Die seit Wochen aufgebaute falsche Alternative „Glaubwürdigkeit oder Kapitulation“ ist nur vor dem Hintergrund dieser taktischen „Meisterleistung“ nachzuvollziehen. Abgestimmt wird über ein Mißverständnis. Die wirkliche Alternative heißt: Flüchten oder Standhalten.
Die Flucht aus der Koalition wäre Verrat am Wählerauftrag, der da lautet: Garzweiler aufhalten, so lange es geht. Sie trüge den Grünen den Vorwurf des Koalitionsbruchs ein, den in Wirklichkeit Wolfgang Clement wohlkalkuliert riskiert hat. Sie wäre im Bundestagswahlkampf ein gefundenes Fressen für die amtierende Koalition, insbesondere nachdem sich praktisch die gesamte grüne Führungsequipe gegen einen solchen Schritt ausgesprochen hat.
Wichtiger als all das: Die Flucht aus der Verantwortung würde die Garzweiler-Genehmigung absehbar beschleunigen, und sie wäre eine schwere Hypothek für jeden Politikwechsel in Bonn, der einzig die Möglichkeit eröffnet, dem Braunkohletagebau endlich seine ökologischen Folgekosten anzulasten. Und nicht zuletzt: Sie würde, wenn andere Mehrheiten in Bonn trotz dieser Widrigkeiten zustande kämen, jeden Versuch, eine neue Energiepolitik zu etablieren, von vornherein in den Dauerkonflikt mit den dann wieder unbehelligt agierenden SPD-Landesfürsten in Düsseldorf treiben.
Bärbel Höhn wird – vorausgesetzt, die eigene Partei jagt sie nicht aus dem Amt – Garzweiler II unter den Regularien des Wasserrechts bewerten. Selbstredend „streng nach Recht und Gesetz“. Das dauert – im besten Fall – so lange wie einst bei Wolfgang Clements Vorvorgänger im Amt, der den Schnellen Brüter von Kalkar prüfen ließ, bis sich das Interesse der Stromwirtschaft an dieser Reaktorlinie erledigt hatte.
Der Zug nach Garzweiler hat Fahrt aufgenommen. Es wäre naiv, diese Tatsache zu leugnen. Jetzt ist es Aufgabe der Grünen, sich im Bremserhäuschen festzusetzen. Gerd Rosenkranz
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