Die AfD bei der MV-Landtagswahl: Rechte Masseneinwanderung
Nur 500 Mitglieder hat die AfD im Nordosten. Doch aus dem Stand ziehen die Rechtspopulisten mit über 21 Prozent in den Landtag ein.
„Die kriegen wir noch“, sagt einer im Saal. „In Sachsen-Anhalt sind die Werte im Laufe des Abends auch immer weiter gestiegen.“ Holm hebt sein Sektglas, stößt erst mit von Storch dann mit Gauland an. Die AfD-Anhänger klatschen begeistert.
Die AfD hat vor das Restaurant „Schlossbucht 19, das in einem alten, Reet-gedeckten Haus am Seeufer untergebracht ist, ein Zelt für die Wahlparty aufgebaut, von der Strandbar dahinter kann man jenseits des Sees das Schweriner Schloss sehen – dort sitzt der Landtag. Die Rechtspopulisten dürfen dort noch nicht feiern. Bald aber werden sie mit sie mit zahlreichen Abgeordneten in das Landesparlament einziehen.
„Ein stolzes“ Ergebnis, sei das, sagt Holm wenig später. „Schön wäre, wenn wir die SPD noch einholen würden ,aber danach sieht es ja leider nicht aus.“ Stärkste Partei zu werden, das hatte der ehemalige Radiomoderator eigentlich als Ziel ausgegeben. „Wir schreiben heute Geschichte“, sagt er nun trotzdem. Und: „Vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel.“
Empfohlener externer Inhalt
Gut aufgestellt war die AfD vor der Wahl nicht: Nur knapp 500 Mitglieder hat die Partei im Nordosten, Ortsgruppen gibt es jenseits der größeren Städte nur wenige, in der Fläche ist die AfD kaum verankert. Die Direktkandidaten mussten zum Teil ihre Flyer allein unter die Leute bringen. Spitzenkandidat Holm ist ein mäßiger Redner, kein Volkstribun wie sein Kollege Björn Höcke aus Thüringen, der einen Marktplatz mitreißen kann.
Offen bekriegten sich während des Wahlkampfs die beiden Bundesvorsitzenden, die Stuttgarter Fraktion fand keinen gemeinsamen Umgang mit einem antisemitischen Abgeordneten und spaltete sich, Parteivize Alexander Gauland verzettelte sich in rassistischen Beleidigungen von Jérôme Boateng, einem der Stars der Nationalmannschaft.
Den WählerInnen in MV scheint all das egal zu sein: Holm und seine Mitstreiter sind zweistellig. Erfolgreicher waren die Rechtspopulisten bislang nur in Sachsen-Anhalt. Dort erzielten die AfD bei der Landtagswahl im März 24,3 Prozent. Das ist bislang das beste Ergebnis. Allerdings: Bei der ersten Prognose waren die Zahlen für die AfD noch deutlich niedriger.
Es ist der neunte Landtag in Folge, in den die AfD nun einziehen wird, in zwei Wochen wird das Berliner Abgeordnetenhaus hinzukommen. Und kaum jemand zweifelt noch daran, dass die Partei im kommenden Jahr den Sprung in den Bundestag schaffen wird. Die AfD etabliert sich. Das Tabu gegen rechts, das es sechs Jahrzehnte lang gab, ist in Auflösung.
Keine landespolitischen Ideen
Leif-Erik Holm, der AfD-Spitzenkandidat, hat jahrelang als Moderator beim Privatradio gearbeitet und ist im Land leidlich bekannt. Der 46-Jährige gibt sich als heimatverbundener Kerl, den die Sorge um das Land in die Politik getrieben hat. Merkels Flüchtlingspolitik, Einwanderung, Islam – darum vor allem ging es auf den AfD-Wahlveranstaltungen. Landespolitische Impulse? Weitgehend Fehlanzeige. Doch wenn Holm von „Masseneinwanderung“ sprach, die die „kulturelle Identität“ bedrohe, war ihm der Applaus sicher. Nicht einmal vier Prozent der Bevölkerung in MV sind Ausländer, Flüchtlinge inbegriffen..
Gerne betont Holm, dass er 1989 bei der friedlichen Revolution dabei war und sich um die Errungenschaften der Wende sorgt, die die „Altparteien“ auf dem Gewissen haben. „Wir wollen Freiheit in diesem Land“ und „Wir kämpfen für das Recht auf freie Meinungsäußerung.“, solche Sätze sagt er dann und wird beklatscht dafür. Als könnte nicht die AfD ihre Parolen ungehindert über jeden Marktplatz brüllen. Im Osten, wo die Bindung an die Parteien geringer ist, ist der Groll auf „die da oben“ besonders groß.
Empfohlener externer Inhalt
Viel tun musste die AfD für ihren Erfolg in MV nicht. So manchen Wähler brauchte die Partei nicht überzeugen, sie konnte ihn einfach einsammeln. Die NPD, die seit zehn Jahren im Landtag sitzt und in der Bevölkerung verankert ist, hat verändert, was denkbar und sagbar ist: Wer sich an NPD-Parolen gewöhnt hat, für den klingen die Rechtspopulisten nicht mehr so schlimm. Auch hat die AfD Gelegenheiten zu nutzen gewusst. Die Kölner Silvesternacht, die hohen Flüchtlingszahlen, zuletzt die islamistischen Anschläge – Steilvorlagen gab es in diesem Jahr genug.
Doch ganz in den Schoß fallen den Rechtspopulisten ihre Erfolge nicht. „Die Partei hat im vergangenen Jahr zwei wichtige strategische Entscheidungen gefällt, ohne die es diese Erfolge vermutlich nicht geben würde“, sagt der Berliner Wahlforscher Oskar Niedermayer. Als Merkel vor einem Jahr – die AfD hatte sich gerade gespalten und lag in Umfragen bei drei Prozent – die Flüchtlinge ins Land ließ, die AfD das Thema Eurorettung weitgehend fallen und setzte allein auf Asyl. „Sie hat ihren Markenkern verändert“, nennt Niedermayer das.
Rechter Landesverband
Die AfD inszenierte sich als die einzig wahre Anti-Asyl-Partei. „Die Flüchtlinge waren ein Glücksfall für uns“, sagte Parteivize Alexander Gauland damals. Das ist zwar zynisch, aber es stimmt. Als mit der Schließung der Balkan-Route die Anzahl der Einreisenden dann wieder sank, reagierte die AfD erneut: Sie machte die vermeintlichen Integrationshemmnisse des Islams und eine Gefahr durch die Muslime zu ihrem Hauptthema.
Holm wie auch sein Co-Chef, der Familienrichter Matthias Manthei, der auf Platz zwei der Landesliste steht, gelten als gemäßigt, von den Scharfmachern innerhalb der Partei aber distanzieren sie sich nicht. Ihr Landesverband steht innerhalb der AfD ohnehin eher rechts. Nachdem der wirtschaftsliberale AfD-Gründer Bernd Lucke die Partei verließ, folgten ihm aus MV nur wenige.
Schon auf Platz drei der Landesliste steht Holger Arppe, der ehemalige Landeschef, der wegen Volksverhetzung verurteilt ist. Für den Fall, dass es die NPD wieder in den Landtag schaffen sollte, kündigten Holm und Manthei bereits an, gegebenenfalls auch mit der rechtsextremen Partei zu stimmen. Damit wäre der sogenannte Schweriner Weg hinfällig, auf den sich die anderen Parteien im Kampf gegen Rechtsextremismus verständigt hatten: Alle Fraktionen votierten konsequent gegen NPD-Anträge. Jetzt werden sie einen Umgang mit der AfD finden müssen. Das wird weit weniger einmütig sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid