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Dichter im Land ohne Sitten

Oscar Wilde und ein Serienkiller auf Tournee im Wilden Westen. Walter Satterthwaits Mixtur aus Reiseroman, Satire und Krimi  ■ Von Niels Werber

Ein Reiseroman ist vielleicht dann am unterhaltsamsten, wenn der Kontrast zwischen dem fremden Land und dem Besucher am größten ist. Man denke an Phileas Fogg, den englischen Exzentriker, der in 80 Tagen um die Welt reiste, ohne auf seinen Butler oder den 5-Uhr-Tee zu verzichten. Jemand, der im Urwald auf Kleidung und Etikette achtet, ist komischer als etwa die Helden Karl Mays, die sich in Amerika indianisch und im Orient arabisch geben.

Ein Kriminalroman jedoch gewinnt seine Spannung nicht unbedingt aus dem Gegensatz zwischen dem Detektiv und dem Milieu, in dem er ermittelt, er fesselt seine Leser am besten dadurch, daß er sie an der Fahndung beteiligt. Was zur Lösung des Rätsels nötig ist, wissen wir genauso wie Poes Dupin oder Doyles Holmes, nur nützt uns dies nichts. Wir verdächtigen jeden, aber erst am Ende des Romans löst der Detektiv den Fall – anders als erwartet und doch überraschend einleuchtend. Wer nun einen witzigen Reiseroman und einen spannenden Krimi lesen möchte, braucht dazu momentan nur ein Buch: den Roman „Oscar Wilde im Wilden Westen“ von Walter Satterthwait.

1882. „Stattlich und feist drückte Oscar Fingal O'Flaherty Wills Wilde mit leichtem Druck der blassen Spitzen seiner breiten Finger die hölzernen Flügeltüren auseinander und rauschte mit königlichem Augenaufschlag ins grelle Licht der Gaslampen.“ Wie immer hat sich der 25jährige Dichter sorgfältig auf seinen Auftritt vorbereitet, das heißt, er hat Toilette gemacht. „Er trug gelbe Lackschuhe, eine Hose aus hellgrünem Stoff, ein weißes Seidenhemd mit fließendem byronesken Kragen, der durch eine breite Seidenkrawatte zusammengehalten wurde.“ Auf ein Cape und die geliebten Kniehosen und Strümpfe, die seine hübschen Beine so gut zur Geltung brachten, hatte er verzichtet. Denn schließlich war der Ort, den er betrat, ein Saloon in Denver, Colorado, USA. Dennoch war es kein Wunder, daß die Cowboys und Bardamen ihn angafften. Vielleicht lag es an der vulgären Rose, die er am Revers trug, da Lilien nicht zu haben waren? Zufrieden über die Aufmerksamkeit, die sich auf ihn konzentriert, schlendert Wilde an einen Tisch, an dem eine schöne französische Comtesse, ein betrunkener amerikanischer Journalist, ein schneidiger deutscher Offizier a.D. sitzen, seine Entourage, zu der noch Wildes Protegé, ein junger, femininer Poet, sowie der geldgierige Tourmanager gehören. Dieses Kapitel gehört Wilde.

Diese Sicht des Dandys auf die Dinge ist allerdings nicht die einzige, sie wird von anderen Perspektiven flankiert, die allesamt durch die sehr persönliche Brille der Protagonisten gefiltert sind. Die extremste unter ihnen ist die Schilderung von Morden, gesehen mit den Augen eines irren Serienkillers: „Das Wesen jaulte, als seine Finger sein Haar fingen, sein Körper spannte sich, versuchte zur Seite wegzubuckeln. Dann kam das Messer, die Erlösung, glitt durch seine Kehle, und die weiße Flamme erfaßte das ganze Universum... mit geschäftigen Händen und fauchendem Messer machte er sich an die Arbeit.“ Nicht die Tat, aber die „gesteigerte Intensität der Sinne“ macht die Perspektive des Täters mit der des sensiblen Dichters vergleichbar. Wildes Blick genau entgegengesetzt ist dagegen die des Bundesmarshals Grigsby, eines ehemaligen Texas-Rangers und schweren Alkoholikers, der mit dreckigem Stetson und in abgewetzten Cowboystiefeln der Aufklärung der Mordserie hinterhertaumelt. Seine erste Handlung ist jeden Morgen der Griff nach der Flasche mit Bourbon. „Langsam fühlte er sich wieder halbwegs wie ein Mensch. Halbwegs wie ein Mensch war ungefähr das beste, was er so hinbekam.“ Und doch ist Grigsby der einzige, der zwischen dem Gemetzel an einer rothaarigen „Hure“ in Denver und der Tournee Oscar Wildes eine Verbindung herstellt, die zum Mörder führen könnte. Der Mord in Denver war kein Einzelfall, schon andere rothaarige Prostituierte sind ermordet und zerstückelt worden – alle in Städten, die der junge Dichter aus Europa mit einer Lesung beehrt hatte.

Wilde darf als überrascht gelten, als er die Tür seines Hotelzimmers öffnet und den Marshal vor sich sieht, dessen Aussehen so ziemlich an den späten John Wayne erinnert. Noch erstaunter ist er, als Grigsby sich unhöflich Eintritt verschafft und ihn brüsk fragt: „Was hast du mit dem Messer gemacht?“ Daß der Dandy aus der Fassung gerät, bemerkt freilich nur der Leser, der seinen Bewußtseinsstrom mitliest, nicht aber der Marshal, der auf eine Ikone der Désinvolture schauen darf. Tatsächlich völlig konsterniert ist der Dichter, als er nach seinem Zigarettenetui in die Tasche greift und er nur Bruchteile einer Sekunde später den Lauf eines 45er Colts auf sich gerichtet findet. Wilde zieht langsam Zigaretten und Streichhölzer aus der Tasche. Seine Hände zittern unmerklich. „Darf ich Ihnen eine anbieten? Die sind sehr gut. Virginia und Latakia mit einem Hauch von Nelken. Werden in Picadilly für mich hergestellt.“ Der Marshal schweigt, der Colt bleibt auf den Kopf des Dichters gerichtet, den Grigsby offenbar für den Frauenmörder hält. Wilde macht, was er gut kann, er redet. „Marshal Grigsby, wenn Sie sich entscheiden, die Waffe zu benutzen, kann ich wohl nur wenig sagen, das Sie von diesem Vorhaben abbringen könnte. Offensichtlich sind Sie ein Mann voll Entschlossenheit, und natürlich erachte ich das insgesamt für lobenswert. In England trifft man heutzutage nur noch selten auf Stärke und Entschlossenheit. Außer natürlich bei Müttern heiratsfähiger Töchter.“

Der Meister des Epigramms gewinnt dieses Duell. „Sie haben Mumm“, gesteht Grigsby und steckt die Waffe ins Holster. Aus der Sicht des Marshals bekommt die Szene eine andere Note. „Er war eine Schwuchtel. Sah wie eine aus. Benahm sich wie eine. Ganz weich und überdreht und sprach durch die Nase mit diesem blasierten Akzent. Grigsby war davon überzeugt, daß Engländer aus reiner Bosheit so sprachen... Also Schwuchteln, das wußte jeder, mochten keine Frauen.“ Einerseits glaubt der Marshal, „Schwuchteln“ hätten nicht genug „Mumm“, um eine Frau zu zerstückeln, andererseits hatte Wilde „schon eine Menge Mumm“ und war einwandfrei eine „Schwuchtel“, oder?

Sein bislang eher schlichteres Weltbild wird ziemlich strapaziert, er wird seine Verhöre auf Wildes Reisebegleitung ausdehnen, was seiner Gesinnung weitere Stöße versetzt. Ein schwarzer Diener, der Stendhal liest; eine Comtesse, deren erotische Ausstrahlung den Marshal einschüchtert; ein deutscher Oberst, der ihn mit der Theorie verwirrt, der Mörder sei schizophren und wüßte nicht, was er täte, wenn er es tue, so daß jeder, er eingeschlossen, der Mörder sein könne. Jeder steht unter Verdacht. Neben der Krimihandlung und der seltsamen Situationskomik, die Wilde in der für ihn fast immer fremden Umgebung entwickelt, bietet Satterthwait noch allerhand auf: eine Liebesgeschichte und eine Affäre, eine geglückte und eine gescheiterte homosexuelle Kontaktanbahnung, einige Kindheitserinnerungen, eine korrupte Stadtverwaltung, einen Millionär, dessen Geld so neu wie sein Geschmack furchtbar ist, ein Shoot- out, ein Picknick, eine chinesische Opiumhöhle etc.

Dies alles ist ganz wunderbar. Was bisweilen und gewiß nur ein wenig lästig fällt, sind zwei Ambitionen des Autors, der sich anscheinend zum einen vorgenommen hat, diese Romanhandlung aus dem Jahre 1882 zu einer Allegorie der modernen USA zu machen, und zum anderen nahelegen möchte, daß Wilde und seine Truppe auf der Jagd nach dem Schizo-Mörder eine Theorie des Unbewußten entwickeln – vor Freud also. Ein Beispiel für die etwas gewollte Aktualisierung ist die Reflexion Grigsbys, der feststellen muß, daß ein Bekannter, der Feuerwehrmann, „ein guter Mann, fleißig, zuverlässig und seinen Kinder ein guter Vater“, ein Homosexueller ist. „Wie zum Teufel sollte Grigsby damit umgehen.“ Könnten seine besten Freunde (Junggesellen!) etwa auch „Tucken“ sein? Die Problematisierung des Marshals wirkt allzu zeitgemäß. Was die Psychologie betrifft, so wirkt vor allem die Beziehungsberatung der Comtesse wie ein Stück aus einer Call-in-Show. „Siehst du nicht, daß es genau das ist, wovon ich gestern gesprochen habe? Wie wir uns genau zu den Menschen hingezogen fühlen, die uns weh tun werden?“ Und ausgerechnet der rauhbeinige Marshal kommt auf die Couch und erkennt endlich, daß seine Frau ihn sich deshalb ausgesucht hat, „weil sie wußte, daß ich sie betrüge“. Na ja.

Gott sei Dank hält sich beides sehr in Grenzen und hindert nicht daran, den Roman an wenigen kurzweiligen Abenden zu lesen. Der Wechsel zwischen den grausigen Taten und den Ermittlungsbemühungen, zwischen romantischen Hoffnungen und enttäuschenden Enthüllungen, zwischen den Perspektiven des Dandys und des Cowboys macht das Buch äußerst unterhaltsam. Man muß den Dichter nicht mögen, nicht einmal kennen, um seine Tour durch den Wilden Westen zu genießen. Außerdem erfährt man, woher Meat Loaf seinen Namen hat und warum der berüchtigte Doc Holiday die Poesie liebte. Das sollte für einen Gang zum Buchhändler genügen.

Walter Satterthwait: „Oscar Wilde im Wilden Westen“. Aus dem Amerikanischen von Gunnar Kwisinski. Haffmanns Verlag 1996, 383 Seiten, geb., 39 DM

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