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Diakonin über Krippenspiel im Stadtteil„Es ist so viel mehr Weihnachten!“

Nötig wurde es wegen der Corona-Regeln: Auch in diesem Jahr richtet eine Hamburger Kirchengemeinde ihr Krippenspiel auf vielen privaten Balkons aus.

Dem Leitstern nach zur Krippe! Foto: St. Markus Hoheluft
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Frau Simon, wie überfüllt ist Sankt Markus denn an Heiligabend?

Sabine Simon: Wir haben einfach eine kleine Kirche. Vor Corona haben wir ja ganz normal ein Krippenspiel in der Kirche gemacht, zweimal jeweils eine Dreiviertelstunde, ungefähr. Wir haben regulär 220 Sitzplätze in den Bänken. Wenn wir überall noch Stühle hinstellen, wo man das darf, haben wir 270 Sitzplätze, wenn es hochkommt 290. Und wir hatten immer ungefähr 450 Menschen Heiligabend da. 120 Kinder saßen vorne auf Sitzkissen und zwischen den Bühnen. Es wurde also zweimal richtig voll, irgendwann mussten wir immer sagen: Es geht niemand mehr rein.

taz: Ausgerechnet Weihnachten.

Simon: Jedes Jahr mussten wir am Ende Menschen wegschicken, für die war Weihnachten gelaufen: Die hatten eine Stunde angestanden und dann kamen sie nicht mehr rein. Und in der Kirche: Die Kinder sind aufgeregt, die Verwandten sind sich nicht immer alle grün, Eltern wollen, dass die Kinder vorne sitzen, manche kleinen Kinder wollen das aber wieder nicht … Es herrschte erhöhtes Aggressionslevel in diesem Gottesdienst. Und das ist tatsächlich jetzt anders.

taz: Eine andere Form nötig gemacht hat aber Corona.

Simon: Ja, im ersten Jahr ging ja irgendwie gar nichts. Und weil alles auf dem Balkon passierte in der Zeit – man spielte Musik auf dem Balkon, man klatschte auf dem Balkon –, habe ich irgendwann gesagt: Lass uns doch das Krippenspiel auch auf Balkonen machen. Das haben wir dann ausgebaut.

Bild: privat
Im Interview: Sabine Simon

Diakonin und Religionspädagogin, ist seit gut 18 Jahren für die Jugend- und Konfirmandenarbeit in St. Markus Hoheluft zuständig.

taz: Und wie funktioniert das Ganze nun?

Simon: Die Leute gehen durch den Stadtteil, in kleinen Gruppen, immer wieder bleibt der Leitstern stehen, es geht auf einem Balkon ein Licht an, eine Szene wird gespielt. Anfangs hatten wir von allem mehr, als wir brauchten: mehr Balkone, mehr Mitspieler, mehr Leitsterne … Jetzt, beim fünften Mal, wird es mühsamer, weil die Hälfte der Menschen Weihnachten irgendwie doch wieder wegfährt.

taz: Über das Lösen von Problemen hinaus: Spricht noch mehr fürs Rausgehen?

Simon: Ohne Corona wären wir darauf nicht gekommen, Veränderung passiert, weil sie muss. Und organisatorisch ist es mehr Arbeit, muss man ganz klar sagen. Aber es ist so viel mehr Weihnachten! Rein vom Symbolischen her: Wir sind alle unterwegs zur Krippe. Dieses Unterwegssein, einem Stern nachgehen, den Stadtteil einbeziehen. Jedes Jahr melden sich doch noch ein, zwei Menschen und stellen ihre Balkone zur Verfügung, die bisher nicht dabei waren. Auch viele, die mit der Kirche gar nichts zu tun haben, aber sagen: Es ist so schön. Der ganze Stadtteil wird weihnachtlich damit.

taz: Der organisatorische Aufwand ist sehr viel größer, sagten Sie.

Simon: Es gibt ja Mitspielende, die eine Rolle übernehmen. Dann machen welche die Balkonmoderation, sprich: Die nehmen das Spiel in Empfang, holen hier das Material ab, sorgen fürs rechtzeitige Umziehen oder schalten das Licht an und aus. Dann brauchen wir die Leitsterne, die vorneweg gehen. Und Startplatz-Ordner, die dafür sorgen, dass regelmäßig alle vier Minuten eine kleine Gruppe losgeht. Die Mitspielenden sind zuerst immer die neuen Konfirmanden. Dann werden die aktuellen Konfirmanden gefragt, wer noch mal spielen will. Wenn mir dann noch Rollen fehlen, fange ich an zu baggern – bei allen Jugendlichen, die mir so einfallen.

Der Ablauf

Krippenspiel „Alle Jahre wieder“: Heiligabend, 24.12., ab 15 Uhr; alle vier Minuten beginnen zwei verschiedene Rundkurse (jeweils etwa 45 Minuten) an der Kirche St. Markus, Heider Straße 1, Hamburg. Anmeldung erforderlich auf www.stmarkushoheluft.de/krippenspiel-in-hoheluft

taz: Aber es hat immer geklappt.

Simon: Natürlich ist es nicht perfekt – auch ohne Ausfälle und Improvisation haben wir nur zwei Proben. Es sind keine Schauspieler, manche spielen toll, manche versteht man nicht so gut, da wird mehr oder weniger halt der Text aufgesagt. Die Menschen sind einfach gerührt, weil sie die Kinder da oben sehen und denken: Ich war auch mal so ein Kind. Bei der ersten Probe sage ich immer: Das ist nicht nur euer Spiel, nicht nur ein Theaterstück. Ihr tragt diese 2.000 Jahre alte Geschichte weiter, in diesem Jahr, in diesem Stadtteil. Wenn das nicht an allen Orten der Welt irgendwer macht, dann gibt es sie irgendwann nicht mehr. Ihr sorgt dieses Jahr dafür, dass sie weitergeht.

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