Deutsches Fernsehen 2014: „Leider. Wenig. Überraschend.“
Der Komiker Michael Kessler lässt das TV-Jahr Revue passieren: teurer Fußball, mündige Zuschauer und falsche Rankings.
taz: Herr Kessler, beschreiben Sie bitte das TV-Jahr 2014 in drei Worten.
Michael Kessler: Leider. Wenig. Überraschend.
Wie schauen Sie selbst Fernsehen?
Ich zappe viel, gucke DVDs oder in den Mediatheken, schaue aber nie in TV-Zeitungen. Ich versuche, viel Neues zu sehen und mir davon ein Bild zu machen. Es gab aber 2014 für mich kaum noch Pflichttermine. Ich bin auch kein regelmäßiger „Tatort“-Gucker.
Nutzen Sie auch den Second Screen?
Ja, ich schaue manchmal auf Twitter und Facebook, wenn meine eigenen Sendungen laufen, weil ich da ein direktes Feedback bekomme. Aber ich sehe das ganze Getwittere auch als Problem.
Inwiefern?
Man sollte sich auch einfach mal 90 Minuten auf etwas einlassen können. Denn gut erzählte Geschichten brauchen Aufmerksamkeit. Der Zuschauer muss hingucken, um es zu verstehen, es aufzunehmen, es zu begreifen. Ich lese ja auch nicht neben dem Fernsehen ein Buch. Ich verstehe nicht ganz, woher die große Mitteilungsbedürftigkeit der Menschen, etwa beim „Tatort“-Gucken, kommt. Nur zu gucken, um dann zu kommentieren, das finde ich befremdlich.
Was haben Sie im Jahr 2014 denn gern geguckt?
Also, ich bleibe prinzipiell da hängen, wo ich überrascht werde, wo ich Neues entdecke. Das kann ein Film sein, eine Dokumentation, Nachrichten oder eine Comedysendung. Aber wie gesagt: Von diesen neuen und überraschenden Dingen hab ich in diesem Jahr leider wenig gesehen.
Wie sah es im Comedybereich aus?
Düster! Es gab in diesem Jahr keine neue, wirklich gute Comedysendung. Eine Sendung wie „Einfach unzertrennlich“ auf VOX hat mich mit ihrer Machart, mit ihrem Inhalt eher in die 90er Jahre zurückkatapultiert.
Klappern wir doch mal ein paar Sendungen aus diesem Jahr ab: „Wetten, dass ...?“?
Der Deutsche möchte gern, dass immer alles so bleibt, wie es ist. Aber ich glaube, wir können alle froh sein, dass die Sendung jetzt beendet wurde. Sie ist überholt, funktioniert nicht mehr, das darf sie auch, nach 34 Jahren.
„Promi Big Brother“?
Wenn alle Tabus gebrochen sind, wenn alle Bilder gezeigt sind, dann bleiben am Ende bloß noch Brot und Spiele – und damit voyeuristisches Fernsehen. Dauernd sollen wir Leuten beim Scheitern und Verlieren zusehen. Warum? „Big Brother“ ist eine Sendung, die ich nicht brauche.
Das „Quizduell“?
Das war ein neuer, aber etwas verzweifelter Versuch, das Fernsehen mit dem Internet zu verbinden. Ich glaube, wir müssen alle nach dieser Verbindung suchen, aber das ist hier nicht wirklich gelungen. Denn die Community will mehr als nur zu Hause sitzen und Quizfragen beantworten. Sie will gestalten und Einfluss nehmen.
Der Eurovision Song Contest?
Da bin ich jetzt mal altmodisch. Ich mag die Sendung: Ich habe das als Kind schon geguckt und finde das auch heute noch unterhaltsam. Royaume-Uni douze points!
Die Fußball-WM?
Seit vielen Jahren melkt der Fußball maßlos den öffentlich-rechtlichen Gebührentopf. Da ist einiges aus den Fugen geraten. Die Skandale der letzten Jahre haben gezeigt, wie sehr das Geld den Sport versaut hat. Weniger ist eben manchmal mehr.
Das Aus des Deutschen Fernsehpreises?
Es gibt in Deutschland zu viele Preise und TV-Übertragungen davon. Davon abgesehen: Die Deutschen haben prinzipiell Probleme mit ihren Stars, vielleicht auch aus ihrer Geschichte heraus. Sie haben kein Interesse daran, dass Stars sich selbst feiern und beweihräuchern. Ich kann das sehr gut verstehen. Vielleicht sollte die Branche 2015 lieber im kleinen Kämmerlein feiern und den Zuschauer damit nicht belasten.
Die Rankingshows mit gefälschten Ergebnissen?
Die manipulierten Rankingshows waren ein Schlag ins Gesicht des Zuschauers, der ja schon seit Jahren ahnt, dass er im TV belogen und betrogen wird. Keiner will belogen oder dauernd mit falschen Realitäten konfrontiert werden. Und das muss man, verdammt noch mal, als Fernsehproduzent begreifen.
Die vielen Talkshows?
Im Jahr 2014 habe ich so gut wie keine Talkshow mehr geschaut. Sie sind leider oft nur noch PR-Bühnen, hohl und leer. Künstler kommen nur noch, wenn sie ihre CD oder ihr neues Buch vorstellen dürfen. Ich will mich selbst da gar nicht ausklammern, aber ich würde mir wünschen, dass wir in Talkshows nicht nur über uns, sondern auch mal über relevante Themen sprechen.
Immer wieder wird den Sendern, allen voran den öffentlich-rechtlichen, vorgeworfen, dass sie zu wenig wagten, zu wenig ausprobierten. Fehlt es den Verantwortlichen an Mut?
Ich glaube, dass die ARD, die über so viele Landesanstalten verfügt, großartige Plattformen hat, Dinge auszuprobieren. Ich glaube auch, dass sie das verstärkt tun könnte, mutiger und verrückter sein könnte. Und beim ZDF gibt es ja die Neo-Plattform. Aber nur wenig Neo-Programm schafft es ins ZDF. Mehr Mut und Risiko würde allen Sendern gut zu Gesicht stehen.
Auch in puncto neue Sendergesichter?
Jeder muss sich da alleine durchkämpfen. Es wird leider viel zu wenig gefördert. Viele klappern inzwischen sehr laut, aber um länger in dem Beruf zu überleben, braucht es eben auch Talent und enorm viel Fleiß. Ich glaube, es gibt wenige gute Talente, die wirklich etwas können und sich auch weiterentwickeln wollen. Und dann muss die Quote ja auch noch stimmen. Niemand kommt, das kann man bedauern oder akzeptieren, weiter nach oben, wenn die Quote nicht stimmt. Leider.
Jan Böhmermann ist einer der Aufsteiger. Er läuft ab 2015 im großen ZDF.
Alle reden immer nur von Böhmermann – dabei haben auch wir mit „Kessler ist?“ den Sprung ins ZDF geschafft. Sehr schnell und ohne laut geklappert zu haben. Also drücke ich mal uns beiden die Daumen. Nicht alles, was im Spartenfernsehen läuft, funktioniert ja auch im Hauptprogramm.
Wie haben Sie die privaten Sender im vergangenen Jahr wahrgenommen?
Die „Millionärswahl“ war ein großes Desaster für ProSieben. Und ich finde gut, wenn die Zuschauer im Netz reagieren und sich auch mal wehren. Die sind durchaus mündig und können oft sehr gut einschätzen, was da passiert. Ich halte weiterhin die Castingshows für absolute Tiefpunkte im deutschen TV, auch 2014 noch.
Gilt das auch für Sendungen wie „The Voice of Germany“?
Für mich gibt es keine guten und schlechten Castingshows. Ich lehne sie generell ab. Auch „The Voice of Germany“ spielt mit den Träumen ihrer Teilnehmer. Die werden aber doch eher nur benutzt mit einem fragwürdigen Ergebnis.
Aber die Teilnehmer im Fernsehdeutschland von 2014 wissen doch, worauf sie sich einlassen?
Viele junge Menschen glauben, dass bei ihnen alles anders wird. Sie glauben, sie werden ganz bestimmt ein Star, und wissen letztendlich aber gar nicht, was da wirklich auf sie zukommt. Und deshalb finde ich es unfair, alles den Teilnehmern in die Schuhe zu schieben. Mir fehlt in den Castingshows echte Verantwortung, ehrliche Zuneigung und ein wirkliches Fördern von jungen Talenten.
Olli Schulz will sich aus dem Fernsehen verabschieden, auch Kurt Krömer geht, als dessen potenzieller Nachfolger Sie gehandelt werden. Wie lange halten Sie noch durch?
Ich mache Fernsehen nach wie vor gerne – trotz aller Kritik. Es gab 2014 für mich keinen Grund, sich vom Medium zu verabschieden. Ich versuche nach wie vor, für die Zuschauer Fernsehen zu machen. Das vergessen manche Kollegen: Ja, es soll dem Zuschauer gefallen.
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