■ Deutsche und Juden: Warum Ignatz Bubis resigniert: Die neue Normalität
Deutschland braucht Ignatz Bubis nicht mehr. Nicht als (über-)lebenden Beweis, daß dieses Deutschland ein neues ist. Nicht als moralische Instanz, die uns den Holocaust im Gedächtnis hält. Der Präsident des Zentralrats der Juden hat seine Mission erfüllt und wird Stück für Stück abserviert. Denn zehn Jahre nach dem Fall der Mauer gilt: Deutschland ist wieder ganz normal.
Auf die Frage „Herr Bubis, was haben Sie bewirkt?“ antwortet dieser demStern: „Nichts, fast nichts.“ Man muß dies als Resignation eines Mannes interpretieren, der nach Jahren rastloser Aktivität ahnt, daß er doch nur instrumentalisiert wurde. Ob deutsch-jüdischer Ausgleich, Stärkung der Zivilgesellschaft, ob Kampf dem Rassismus und Rechtsextremismus, deutsche Wiedervereinigung oder der christlich-muslimisch-jüdische Dialog – Bubis mutete sich viel zu. Auf Tausenden von Veranstaltungen redete er dem anderen, dem demokratischen und zivilen Deutschland das Wort. Und als in Rostock und andernorts Flüchtlingswohnheime brannten, als die Reputation Deutschlands international Schaden zu nehmen drohte, leistete Bubis unschätzbare Dienste. Er widersprach vehement dem hier und da aufkeimenden Verdacht, es gäbe hierzulande vielleicht doch so etwas wie ein böses rassistisches Gen oder zumindest historische Kontinuitäten. Und er verbürgte sich dafür, daß dieses neue Deutschland tatsächlich nicht das alte ist. Die noch nicht ganz so selbstbewußten Bundesbürger dankten es ihm. Damals, Mitte der Neunziger, und viele hätten ihn gerne als Bundespräsident gesehen. Als Symbol, daß wir uns wirklich geändert haben und weder mit Juden noch mit Ausländern ein Problem haben.
Der Schlußstrich wurde dann doch anders gezogen. Martin Walser beendete im letzten Oktober die Nachkriegsgeschichte. Seiner Forderung, die Juden Deutschlands sollten endlich die Auschwitzkeule einpacken, war die Zäsur, auf die viele Deutsche gewartet haben. Und es war nicht nur eine Kampfansage an Bubis, der immer die Auffassung vertreten hatte, daß eine Zukunft in Deutschland ohne Erinnerung nicht möglich sei.
Die Walser-Debatte war ein Vorspiel und stimmte auf den anderen, den technokratischen, distanzierten Umgang mit der Geschichte durch Rot-Grün ein. Die Schröder-Fischer-Regierung ist die erste Regierung der Bundesrepublik, die befreit von historischer Last ans Werk geht und eine unverhüllte deutsche Interessenspolitik betreibt. In Brüssel, im Kosovo, gegenüber Frankreich. Helmut Kohls ambivalentem Geschichtsverständnis konnte man vieles vorwerfen, nur eines nicht – kühle Distanz. Dreh- und Angelpunkt seines politischen Handelns war der Nationalsozialismus – in Bitburg ebenso wie in der Europapolitik. Helmut Kohl konnte und wollte nicht ohne Ignatz Bubis leben. Gerhard Schröder kann es.
Ignatz Bubis reagiert auf die veränderte Stimmung. Er möchte in Israel begraben werden. Ausgerechnet jener Mann, der stets betont hat, daß nicht Israel, sondern die Bundesrepublik seine Heimat ist. Damit ist alles zum deutsch-jüdischen Verhältnis gesagt. Eine Normalisierung hat nicht stattgefunden. Eberhard Seidel
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