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Deutsche Wohnen & Co enteignenVerhinderer gesucht

Marie Frank
Rainer Rutz
Kommentar von Marie Frank und Rainer Rutz

Finanzsenator Stefan Evers (CDU) schreibt ein Gutachten für ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung aus. Warum so kompliziert? Die taz hilft weiter.

taz-Literaturtipp: Der vor zwei Jahren vorgelegte Abschlussbericht der vom Senat eingesetzten Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on Foto: Imago

S ehr geehrter Herr Evers,

mit großem Interesse haben wir Ihre aktuelle Ausschreibung eines Rechtsgutachtens „zur Unterstützung bei der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz“ zur Kenntnis genommen. Ein erster Schritt der schwarz-roten Landesregierung in Richtung Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“? Nun ja.

Die Veröffentlichung des Ausschreibungstextes am Donnerstag unmittelbar vor Ostern ließ bei uns kurz den Verdacht aufkommen, es sei Ihnen daran gelegen, den Ball mit Blick auf die Öffentlichkeit flach zu halten. Aber das Timing war sicher nur Zufall. Wir sind jedenfalls Feuer und Flamme für das Unterfangen.

Wie Ihr Haus, die Senatsfinanzverwaltung, jüngst in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen ja schon vorweggenommen hat, „stellt die Beauftragung eines Rechtsgutachtens einen wesentlichen Fortschritt für das weitere Vorgehen dar“. Da zählt jetzt jeder Tag. Zumal der Ausschreibungstext nach seiner ersten Ankündigung vor über einem Jahr etwas auf sich warten ließ, wegen der vielen „finalen“ Abstimmungen zwischen mehreren Senatsverwaltungen.

Gute Nachricht Nr. 1: Die 100.000-Euro-Fragen wurden schon beantwortet

Wir haben Verständnis. Es ist ja auch höllekompliziert. Schließlich ist es mit dem Gutachten und dem Gesetzentwurf nicht getan. Dann braucht es noch das Vergesellschaftungsrahmengesetz, das wiederum, wie Ihr Haus weiter schreibt, „der Vorbereitung von einem oder mehreren Anwendungsgesetzen“ dienen soll. Um dann, ja dann den Volksentscheid vom September 2021 umzusetzen. Oder auch nicht.

Ebenfalls besagter Antwort konnten wir entnehmen, dass für das Gutachten 100.000 Euro aus dem klammen Landeshaushalt locker gemacht werden müssen. Nach genauer Prüfung der vierseitigen Leistungsbeschreibung der Ausschreibung haben wir nun eine gute Nachricht für Sie und uns alle: Das Land Berlin kann sich das Geld sparen.

Denn einen wesentlichen Teil des nun von irgendeiner Anwaltskanzlei bis Ende Oktober zu bearbeitenden Fragenkatalogs hat die noch von Ihrem Vorgängersenat eigens eingesetzte, hochkarätig besetzte Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on zur „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ in ihrem im Juni 2023 vorgelegten Abschlussbericht schon beantwortet.

Gute Nachricht Nr. 2: Berlin kann Kompetenz

Zu Ihrer ersten Frage etwa, ob dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass eines Rahmengesetzes für die Durchführung von Vergesellschaftungen überhaupt zusteht, heißt es dort unmissverständlich: „Das Land Berlin besitzt nach Artikel 70, 72 Absatz 1 Grundgesetz die Kompetenz für eine gesetzliche Regelung, mit der Grundstücke in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Mehr muss dazu ja nicht gesagt werden.

Auch bei den weiteren Fragen, was denn vergesellschaftet werden soll und zu welchem Preis, möchten wir Sie auf den 150-seitigen Bericht der 13 Ex­per­t*in­nen verweisen, der immerhin 1,5 Millionen Euro gekostet haben soll. Die haben nach einem Jahr Beratung aller rechtlichen Fragen zum Thema Vergesellschaftung und unzähligen Anhörungen von noch mehr Ex­per­t*in­nen und mitunter sehr hitzigen Diskussionen einhellig festgestellt, dass Artikel 15 des Grundgesetzes die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln erlaubt.

Falls Ihnen das nicht konkret genug ist, hilft der Blick auf Enteignungen der vergangenen Jahrzehnte für Braunkohlebergbau, Autobahnen, Schienenwege oder Flughäfen.

In welcher Höhe betroffene Unternehmen entschädigt werden müssen, ist in der Verfassung zugegebenermaßen vage geregelt: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ Zum Glück ist die Kommission auch bei dieser Frage nicht untätig gewesen und hält Entschädigungen unterhalb des Verkehrswerts der, sagen wir mal spaßeshalber Immobilien, für machbar.

Gute Nachricht Nr. 3: Die Sache mit dem Gemeineigentum ist ganz einfach

Nun möchten Sie noch gern wissen, was Gemeineigentum eigentlich ist. Eine gute Frage, die allerdings erneut Zweifel aufkommen lässt, ob Sie den Bericht der Kommission überhaupt gelesen haben. Auf Seite 33 heißt es dort: „Die Überführung in Gemeineigentum meint die Übertragung des Eigentums vom privaten Inhaber auf einen geeigneten öffentlich-rechtlichen Träger von Gemeineigentum.“

Wichtig ist, dass es dabei um nicht profitorientierte Verwaltung geht: „Die Bewirtschaftung der vergesellschafteten Gegenstände muss an öffentlichen Zwecken ausgerichtet sein“, heißt es weiter. Das mag für die CDU schwer zu verstehen sein, aber im Kern heißt das, dass nicht – wie derzeit – einige wenige profitieren, sondern die Allgemeinheit.

Nicht zuletzt möchten wir Sie darauf hinweisen, dass die renommierte Berliner Kanzlei Geulen & Klinger im Auftrag der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen längst an der Erarbeitung eines konkreten Vergesellschaftungsgesetzes sitzt. Also keine Umwege über Rahmen und Folgegesetze nimmt, sondern einfach aufs Ziel zusteuert. Wir haben Ihre Ausschreibung daher an besagte Kanzlei weitergeleitet, in der Hoffnung, den Prozess zu beschleunigen – im Sinne aller Berliner Mieter*innen.

Mit freundlichen Grüßen,

Marie Frank und Rainer Rutz

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
Rainer Rutz
Ressortleiter taz berlin
Seit August 2023 Ressortleiter taz berlin, Schwerpunkt: Landespolitik
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