Deutsche Wasserballer auf dem Prüfstand: Mit Schleuder nach Tokio

Bei der Wasserball-EM in Budapest strebt das deutsche Team eine gute Platzierung für die Olympischen Spiele an. Familie Stamm soll es richten.

Wasserballer beim Wurf

Wurfgewaltig: Auf Sohn Marko kann Bundestrainer Hagen Stamm kaum verzichten Foto: imago/photoarena/Eisenhuth

Es ist dieser Moment, der in der Wasserballwelt gefürchtet ist: wenn Marko Stamm seinen „Unterwasserangriff“ startet. Unbemerkt taucht er unter den ballführenden Gegner und klaut ihm beim explosiven Auftauchen den Ball aus der Hand. „Ist ein eher unkonventionelles Manöver in unserem Sport – aber das passt ja ganz gut zu mir“, sagt Stamm.

Der 31-Jährige ist Kapitän der deutschen Wasserball-Nationalmannschaft und ganz sicher größter deutscher Hoffnungsträger, wenn am Dienstag die Europameisterschaften in Budapest beginnen. Es geht in Ungarn um den kontinentalen Titel, den normalerweise die hoch favorisierten Teams aus Serbien und Italien unter sich ausmachen sollten.

Für Stamm und Kollegen ist das Turnier eher die Chance, sich das Ticket zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio zu erspielen. Es gibt bereits qualifizierte Teams, je nach Turnierverlauf könnte Platz acht bis zehn reichen, um beim finalen Qualifikationsturnier im März dabei zu sein. In der Vorrunde geht es gegen die stark eingeschätzten Kroaten, gegen Montenegro und die Slowakei. Mindestens zwei dieser drei Spiele zu gewinnen wäre ein wichtiger Schritt. „Wir können das schaffen, an guten Tagen können wir fast jedem Team dieser Welt gefährlich werden“, sagt Stamm. Er sagt aber auch: „Leider haben wir gerade zu Beginn solcher Turniere selten unsere besten Tage.“

Stamm weiß, wovon er spricht. Er ist schon seit über 13 Jahren Nationalspieler. Ende 2006 war es, da wurde er erstmals nominiert, absolvierte gegen Montenegro sein erstes Länderspiel. Bundestrainer damals wie heute: sein Vater Hagen Stamm. Der deutsche Wasserball ist untrennbar mit dem Namen Stamm verbunden.

Lebensmittelpunkt Schwimmhalle

Vater Hagen war in den 80ern dabei, als Deutschland zu den Großen in diesem Sport gehörte. Er gewann Bronze bei den Olympischen Spielen 1984, 1981 und 1989 wurde er Europameister, 1982 WM-Dritter. Er bestritt über 300 Länderspiele, warf mehr als 750 Tore. Nach dem Karriereende wurde er Bundestrainer. Erst zwischen 2000 und 2012, jetzt ist er ein zweites Mal im Amt. Für die Deutschen ist es mittlerweile ein Erfolg, sich überhaupt für Großevents wie WM oder Olympia zu qualifizieren.

Dass auch sein Sohn in Vater Stamms Fußstapfen landete, war logisch. „Ich war noch keine zwei Jahre, da war ich schon ohne Schwimmflügel im Wasser“, sagt Marko. Ihm blieb nichts anderes übrig, denn neben dem wasserballverrückten Vater hatte auch seine Mutter als Schwimmtrainerin ihren Lebensmittelpunkt sozusagen in die Schwimmhalle Berlin-Spandau verlegt.

„Die waren beide von morgens bis abends da. Was sollte ich anderes tun, als selbst ins Wasser zu springen? Vor allem tief und vor allem langanhaltend tauchen hat mich fasziniert“, sagt Stamm junior. Und die unkonventionellen Aktionen im Wasserball. Neben der Überraschungsattacke von unten entwickelte er die sogenannte Schleuder – einen Stoßwurf aufs Tor, der fließend aus der Schwimmbewegung heraus erfolgt. „Kommt ansatzlos und ist für Torhüter schwer zu berechnen“, beschreibt Stamm.

Wie sein Vater ist auch Marko Stamm seit Beginn seiner Karriere das Gesicht des deutschen Rekordmeisters Spandau 04 und ein steter Kämpfer für die Interessen seines Sports. Während Vater Hagen zuletzt lautstark die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Sportkanals forderte, um auch seiner Randsportart mehr TV-Präsenz zu ermöglichen, lässt sich sein Sohn gern mal spektakuläre Marketingaktionen einfallen.

Letzten Sommer wurde Marko Stamm im Rollstuhl ans Becken gefahren und sprang von dort aus ins Wasser

Die Berliner U- und S-Bahn-Fahrgäste waren im Dezember 2015 jedenfalls nicht wenig überrascht, als ihnen vor dem Champions-League-Spiel der Spandauer gegen Galatasaray Istanbul Tickets von einem Dutzend halbnackter Männer in Badehosen angeboten wurden. „Ich hatte mir gedacht, dass wir auch mal in Arbeitskleidung auf uns aufmerksam machen sollten. Die Halle war dann auch gerammelt voll“, erinnert sich Stamm.

Im deutschen Lager ist Marko Stamm unersetzlich, entsprechend panisch wurde man, als er im Herbst wochenlang krank ausfiel. Stamm hatte im September trotz Erkältung Wasserball gespielt und sich eine Lungenentzündung zugezogen. Dass er sich nicht gern schont, ist allgemein bekannt. Bei der WM im vergangenen Sommer wurde er von seinen Kollegen im Rollstuhl an den Beckenrand gefahren und sprang von dort aus zu den Spielen ins Wasser.

Ein Bänderriss im Fußgelenk machte das Gehen unmöglich, er hinderte Stamm aber nicht daran, die entscheidenden Tore zum überraschenden Viertelfinal­einzug der Deutschen zu werfen. Spätestens hier erwarb er sich auch den Respekt der internationalen Konkurrenz – am Jahresende wurde er in den Kreis der „Weltwasserballer des Jahres“ nominiert. „Es war eine Ehre für mich“, sagt Stamm. „Auch wenn dann ein anderer gewonnen hat.“

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