Deutsche Kämpfer beim IS: Dschihadisten bekehren
Gerade endet der erste Prozess gegen einen deutschen IS-Kämpfer. Kann es gelingen, Menschen wie ihn wieder in die Gesellschaft zu integrieren?
Ein netter Kerl soll er gewesen sein. Ruhig, freundlich, unauffällig. Vormittags ging er zur Realschule, nachmittags und am Wochenende kickte er im Fußballverein. Erst bei Rot-Weiß Frankfurt, mit 16 dann in der B-Jugend von Makkabi Frankfurt, dem größten jüdischen Sportverein bundesweit. Auf seinem Trikot prangte die Nummer 14, dazu der Davidstern mit dem Vereinsnamen in hebräischen Buchstaben. Kreshnik B. sei ein guter Innenverteidiger gewesen, erinnert sich ein ehemaliger Teamkamerad.
Seit Mitte September steht Kreshnik B. vor der Staatsschutzkammer des Frankfurter Oberlandesgerichts. Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, so lautet die Anklage. Kreshnik B. soll Mitglied der Organisation „Islamischer Staat“ (IS) gewesen und für sie in den Dschihad gezogen sein.
B. habe sich aus religiösen Gründen mit der Ideologie des IS identifiziert. Er habe das syrische Regime stürzen und einen islamischen Gottesstaat unter Geltung der Scharia schaffen wollen. „Er war bereit, für diese Ziele zu sterben“, heißt es in der Anklageschrift. Es ist der erste Prozess gegen einen deutschen IS-Kämpfer.
Am Freitag hielten Bundesanwaltschaft und Verteidiger ihre Plädoyers. Weil er gestanden und ausführlich ausgesagt hat, drohen B. nur noch vier Jahre und drei Monate Haft. Er sei aber mit seinen Wertvorstellungen noch nicht wieder in Deutschland angekommen, sagte der Staatsanwalt. Auf die Frage "Ist Kopfabhacken gut?" hatte B. im Prozess "Kommt drauf an, für welche Sünde" geanwortet. Besorgt, sagte der Staatsanwalt, lasse ihn der Eindruck der Verführbarkeit des Angeklagten zurück.
Der eine will sich einen Bart wachsen lassen, doch es wächst noch nicht mal Flaum. Der andere schwor in Syrien schon den Treueeid auf den IS. Wie zwei junge Islamisten vom Märtyrertod träumen, der eine vor dem Rechner, der andere vor Gericht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. November 2014. Außerdem: Die Menschen in der Republik Moldau sind hin- und hergerissen zwischen Russland und der EU. Protokolle von fünf Moldawiern vor der Parlamentwahl am Sonntag. Und: Was passiert eigentlich auf Gangbang-Partys? Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Zahlen wieder einmal korrigiert
550 Menschen sollen nach Angaben des Verfassungsschutzes seit 2012 aus Deutschland nach Syrien und in den Irak ausgereist sein, um für den IS zu kämpfen. Die meisten von ihnen sind junge Deutsche mit Migrationshintergrund. 180 der Kämpfer seien inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt. Behördenchef Hans-Georg Maaßen hat die Zahlen gerade nach oben korrigiert. Wieder einmal.
Große Sorge bereiten ihm vor allem die Rückkehrer, Leute wie der 29-jährige Mehdi Nemmouche. Der Franzose war nach einem einjährigen Syrienaufenthalt im Mai über Frankfurt nach Brüssel gereist. Bei einem Anschlag auf das jüdische Museum erschoss er vier Menschen. Als Reaktion auf Taten wie die von Nemmouche hat die englische Regierung gerade angekündigt, ihre Anti-Terror-Gesetze deutlich zu verschärfen. Der deutsche Justizminister plant, die versuchte Ausreise mit dem Ziel, sich an schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen, unter Strafe zu stellen. Die Innenminister haben sich darauf verständigt, den Entzug des Personalausweises zu ermöglichen, um Ausreisen nach Syrien zu verhindern. Politiker der Union würde den Ausgereisten am liebsten gleich die Staatsbürgerschaft entziehen.
Sie alle aber sind ratlos bei der Frage: Warum sind Jugendliche derart fasziniert von der archaischen Gewalt des IS? Warum sind sie für Salafisten überhaupt ansprechbar? Für jene Islamisten also, die den Islam verstehen wie die Gefährten des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert und unterschiedliche Deutungen des Korans strikt ablehnen? Was kann man gegen die Radikalisierung dieser Jugendlichen tun? Und kann man Radikalisierte ins normale gesellschaftliche Leben zurückführen?
„Familien sind Teil der Lösung“
Ein Team von taz-AutorInnen hat sich in Deutschland und Österreich die Spurensuche begeben. Für die Titelgeschichte der taz. am wochenende vom 29./30. November haben sie junge Männer besucht, die der „Islamische Staat“ fasziniert, die kämpfen wollen. Sie sind auf Richter gestoßen, die verstehen wollen, und vor der Frage stehen: Ist der junge Mann auf der Anklagebank in etwas hineingeraten und will wieder hinaus? Oder könnte er eine Gefahr für die Gesellschaft sein? Sie haben Pädagogen getroffen, die versuchen, junge Islamisten ins normale Leben zurück zu führen. Und eine Familie, die um ihren Sohn kämpft.
Claudia Dantschke arbeitet bei der Beratungsstelle Hayat. Von ihrem Büro in Berlin-Friedrichshain betreut die Islamismuskennerin Familien, deren Kinder sich radikalisieren. Im schlimmsten Fall versucht sie gemeinsam mit Eltern, Großeltern oder Geschwistern, die Kinder aus Syrien zurück zu holen. Den Familien komme in dem Prozess eine Schlüsselrolle zu, sagt Dantschke: „Sie sind oft Teil des Problems aber umbedingt auch Teil der Lösung.“
Sie rät den Eltern, nicht in die Konfrontation zu gehen. Sie sollen zuhören, Interesse zeigen, nachfragen. Wieder Nähe zu ihren Kindern herstellen. „Je mehr Krach es gibt, desto mehr wenden sich die Kinder von zu Hause ab,“, sagt sie. „Und umso mehr wenden sie sich den Salafisten zu.“ Dantschke kämpft um jeden Jugendlichen, jeden jungen Erwachsenen. Oft bis zur Erschöpfung. Denn ihre Beratungstelle, von der es bundesweit nur drei weitere gibt, wird von Anfragen überrannt.
Glauben Sie, dass man Auslandskämpfer des „Islamischen Staates“ wieder in unsere Gesellschaft integrieren kann? Diskutieren Sie mit! Die Titelgeschichte „Unser Beitrag zum Dschihad“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 29./30. November.
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