Deutsche Haltung zum Eurorettungsfonds: Merkel gegen den Rest
Während die Welt auf ein entschlossenes Handeln der Europäer wartet, bewegt sich die Kanzlerin keinen Millimeter: Eurobonds gebe es nicht, solange sie lebe.
BRÜSSEL/BERLIN taz | In Europa haben sich die Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten überschlagen. Nach Griechenland, Irland und Portugal haben nun auch Spanien und Zypern Hilfskredite aus dem Eurorettungsfonds beantragt. Italien schlittert angesichts steigender Zinsen weiter in die Krise – und beginnt ernsthaft, über einen Euro-Ausstieg zu diskutieren. Und ein großer Teil der Euro-Staaten rutscht in die Rezession.
Im Deutschen Bundestag ist hingegen alles wie immer. „Es gibt keine schnelle und einfache Lösung“, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel. „Es gibt nicht den einen Befreiungsschlag, mit dem die Staatsschuldenkrise überwunden werden kann.“
Mit exakt denselben Worten hatte sie auch schon im Februar und Dezember alle Forderungen abgewehrt, die auf eine teilweise Vergemeinschaftung der Schulden der Euro-Staaten hinauslaufen. Am Abend zuvor war ihre Wortwahl noch drastischer: „Solange ich lebe“, werde es keine gemeinsame Schuldenhaftung geben, sagte sie nach Teilnehmerangaben bei der Fraktionssitzung der FDP.
Teilnehmer: Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten treffen sich am Donnerstag zur zweitägigen Beratung in Brüssel.
Auftakt: Der Gipfel beginnt mit einer Debatte über die höchst umstrittene Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020. Zu diesem Thema – es geht um etwa 1 Billion Euro – darf auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, eine Stunde lang in der Gipfelrunde mitdebattieren.
Streitfragen: Wer haftet am Ende für die Schulden einzelner Staaten? Wie funktionieren die Rettungsschirme? Wer kontrolliert die Banken? Wo endet staatliche Souveränität? Kanzlerin Merkel lehnt trotz wachsenden Drucks die Einführung von Eurobonds ab.
Weiteres Programm: Schon am Donnerstag soll ein Wachstumspakt beschlossen werden, der Ausgaben in Höhe von 130 Milliarden Euro vorsieht.
Abschluss: Am Freitag endet der Gipfel mit einem Mittagessen. Daran sollen aber nur die 17 Mitglieder der Eurogruppe teilnehmen.
In der EU wachsen Wut und Unverständnis über diese sture Haltung der Kanzlerin. Öffentlich äußern wollte das am Mittwoch in Brüssel zwar niemand. Doch intern ist die Verstimmung groß. Denn mit der strikten Ablehnung von Eurobonds oder der abgeschwächten Variante eines gemeinsamen Altschuldentilgungsfonds verhindert Merkel Maßnahmen, die langfristig das Zinsniveau in den Krisenstaaten senken und deren finanzielle Gesundung ermöglichen würden.
Zudem wurden sämtliche kurzfristigen Instrumente gegen den Zinsdruck auf deutsches Betreiben hin aus dem Masterplan für die Euroreform gestrichen, den Ratspräsident Herman Van Rompuy entworfen hat.
In letzter Minute gekürzt
Von zehn auf sieben Seiten war dieser Plan in letzter Minute gekürzt worden, um deutsche Bedenken auszuräumen, berichten EU-Insider in Brüssel. Detaillierte Passagen zur geplanten Bankenunion seien komplett gestrichen worden, ebenso ein Zeitplan für den Umbau der Währungsunion. Dennoch ließ Merkel am Mittwoch kaum ein gutes Haar an dem Papier: „Ich widerspreche entschieden der im Bericht wiedergegebenen Auffassung, dass vorrangig der Vergemeinschaftung das Wort geredet wird und erst an zweiter Stelle mehr Kontrolle und einklagbare Verpflichtungen genannt werden.“
Während Merkel für diese harte Haltung im Bundestag lang anhaltenden Applaus von Union und FDP bekam, wächst in Europa der Widerstand. Er werde so lange auf dem EU-Gipfel bleiben, bis es Beschlüsse zur Eindämmung der Krise und zur Senkung des Zinsdrucks gebe, warnte Italiens Regierungschef Mario Monti. Vorgefertigte Erklärungen werde er nicht unterschreiben, fügte er hinzu.
Bei einem Treffen in Rom hatte Merkel am Freitag die Wünsche Montis brüsk abgeblockt. Zwischen Deutschland und Italien droht beim Gipfel nun offener Streit. Italien hat dabei eine Trumpfkarte – 475 Milliarden Nettoschulden haben die Italiener im Ausland. Sollte das Land einmal aus dem Euro austreten, würden die Kreditgeber massiv verlieren – auch in Deutschland.
Auch der spanische Premier Mariano Rajoy fährt mit Wut im Bauch nach Brüssel. „Ich werde Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte vorschlagen“, sagte er. Die EU müsse endlich ihre vorhandenen Instrumente nutzen. Gemeint ist damit offenbar der Eurorettungsschirm, der neben der Kreditvergabe an Krisenstaaten auch Banken stützen und Staatsanleihen aufkaufen könnte. Beides lehnt Berlin bisher ab – wie eigentlich alle Vorschläge, die die Finanzmärkte beruhigen könnten. „Ökonomisch falsch und kontraproduktiv“ nannte Merkel entsprechende Überlegungen.
Endlich „Fleisch auf die Knochen“
Für den Einsatz aller verfügbaren Mittel hatte sich zuvor auch US-Präsident Barack Obama ausgesprochen. Jetzt wiederholte die US-Regierung ihre Forderung: Die Europäer müssten endlich „Fleisch auf die Knochen packen“ und sowohl kurz- wie langfristige Maßnahmen gegen die Krise beschließen, fordert Finanzstaatssekretärin Lael Brainard in Washington. Auch in China und Brasilien wächst die Sorge, dass es den Europäern nicht gelingt, die Krise einzudämmen.
Merkel ist der Erwartungsdruck durchaus bewusst. „Die Welt wartet auf unsere Entscheidungen“, erkannte sie in ihrer Regierungserklärung. Doch dass die Entscheidungen, die sie ankündigte, die Welt zufriedenstellen, darf bezweifelt werden. Gegen die grassierende Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa forderte die Kanzlerin ernsthaft das Versprechen von „Praktikumsplätzen“. Und der Rezession will sie mit jenem auch von der Opposition bejubeltem Wachstumspaket begegnen, das bereits jetzt als Luftbuchung gilt. Einzige Neuerung war die Andeutung, dass Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer statt in nationale Haushalte gezielt in die Krisenbekämpfung fließen könnten.
Falls die Kanzlerin sich bei einem für Mittwochabend geplanten Treffen mit Frankreichs Präsidenten François Hollande nicht noch zu weiteren Zugeständnissen bewegen lässt, droht beim Gipfel ein Fiasko – der EU, dem Euro und Merkel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen