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■ Deutsche Frauen im Ausland: Neben den Fragen der rechtlichen Gleichstellung und Anerkennung der binationalen Partnerin im anderen Land stellt sich für diese immer auch die persönliche Frage nach Identität und Zugehörigkeit zu zwei Kulturkreisen Von Renate Fisseler-SkandaraniEntwirrung

Seit mehr als fünfzehn Jahren lebt die Autorin im Maghreb, zunächst vier Jahre in Algerien und seither in Tunesien. Ihren tunesischen Partner lernte sie 1969 kennen: Seither steht sie also der maghrebinischen Kultur nahe. Erst jetzt bildet sich ihre europäische Identität heraus.

Als deutsche Ausländerin im Maghreb. Die Fragen nach der Bedeutung, die der Austausch mit diesem Kulturkreis für mich persönlich haben könnte und, mehr noch, wie meine Partnerwahl und der Umgang mit meinem Leben in diesem „anderen“ Kulturkreis auch mit meiner eigenen Geschichte zusammenhängt, sind mir erst im Laufe der Jahre klar geworden.

Nicht einen Gedanken verschwendete ich an solche Überlegungen, als ich meinen Mann an unserem gemeinsamen Studienort in Deutschland kennenlernte. Viel zu selbstverständlich schien es uns Studentinnen und Studenten Ende der sechziger Jahre, daß Menschen unterschiedlichster sozialer wie kultureller und nationaler Herkunft miteinander leben und gemeinsame Ziele anstreben könnten.

Es machte mich zornig, wenn ich von tunesischen Studenten erfuhr, die lange Zeit, manchmal während ihres gesamten Studi- ums, mit einer Frau gelebt hatten, sich aber bei der Rückkehr nach Tunesien schließlich von ihr trennten. Dies war für mich gleichbedeutend mit Frauenverachtung und Frauenausbeutung: die Handlung eines schwächlichen Mannes, der seine Partnerschaft den kulturell-familiär bestimmten Erwartungen und Zwängen seines Herkunftsmilieus opfert.

Dabei hatte ich als Kind und Jugendliche doch Vergleichbares erlebt: mich in der erdrückenden Enge des Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin, seinen Verhaltensvorschriften, Normen und Grenzen gefangen gefühlt. Mehr noch, meinen Wunsch nach einem eigenen Lebensweg als unvereinbar mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zur Dorfgemeinschaft erfahren.

Das Dorf verließ ich mit achtzehn Jahren, das Gefühls- und Handlungsmuster, das sich inzwischen ausgeprägt hatte, habe ich mitgenommen: den sehnlichen Wunsch, als „andere“ – womit ich das Recht auf eine eigene Identität umschreibe – angenommen zu werden. Also einen Ort zu finden, an dem ich Zugehörigkeit ohne Enge leben könnte.

Untrennbar verbunden damit und zugleich diametral entgegengesetzt ist das Grundgefühl: Zugehörigkeit und Ich- selbst-Sein schließen einander aus. Das heißt, ich kann nur ich selbst sein um den Preis des Ausgeschlossenseins, des Am- Rande-Stehens.

Mir scheint, daß meine Suche nach Lebensorten ebenso wie die Wahl meines Partners und meine Annäherung an den anderen Kulturkreis, in dem ich seit so vielen Jahren meinen Lebensmittelpunkt habe, mitbestimmt worden sind durch dieses bipolare Lebensmuster: In den siebziger Jahren hat mir mein politisches Engagement eine Art Zuhause – Identität – vermittelt und mich zugleich abgegrenzt von der großen Masse; mein Verhältnis zu Deutschland war zwiespältig, geprägt von Kritik, wenn nicht von Ablehnung; ich sah mich als Weltbürgerin, nicht als Deutsche.

Mein Partner war sichtbar ein „Fremder“; unsere Partnerschaft grenzte mich ab, signalisierte, daß auch ich eine andere war. Gleichwohl habe ich meinen Partner – und ich glaube, ihm erging es ähnlich – nicht als einen Menschen aus einem anderen Kulturkreis wahrgenommen. Wir haben uns beide in einem Kontext gefunden, wo dem Anschein nach keinerlei kulturelle Prägungen, Bindungen und Verpflichtungen bestanden: Wir waren beide politisiert; Gesellschaftskritik, Diskussionen, gemeinsames Nachdenken, verbale Auseinandersetzung wurden zu grundlegenden und bindenden Elementen in unserer Partnerschaft. Daher auch mein Befremden, wenn politisch engagierte Freundinnen und Freunde wissen wollten, wie ich als Feministin mit einem Araber befreundet und später, wie ich als Europäerin in einem arabischen Land leben könnte.

Die Jahre in Algerien habe ich als ungeheure Erfahrungsbereicherung gelebt und zugleich als radikale psychisch-gefühlsmäßige Infragestellung meiner ganzen Person: Ich sah mich mit algerischen Augen (oder waren es doch auch meine eigenen Augen?); als eine, die aus einem reichen Land kommt, privilegiert lebt, Mitverantwortung trägt für Neokolonialismus und Imperialismus. Wie konnte ich vor diesen Blicken bestehen? Ich fühlte die Frage: Warum bist du hier? Was willst du hier? Warum interessierst du dich für uns?

In Algerien habe ich mich als Person mit einer eigenen Geschichte vollkommen zurückgenommen, man könnte fast sagen, ausgelöscht. Durch meinen Intellekt, durch gemeinsames Denken, gemeinsame Ziele wollte ich dazugehören, als eine, die keine kulturell-politisch-persönlich geprägte Geschichte hat. Meine Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit belegen, wie sehr ich unter der permanenten Infragestellung und Selbstauslöschung gelitten habe, wie sehr ich zerrissen war zwischen meinem Dazugehören-Wollen und dem – wie es mir schien – berechtigten Nicht-dazugehören-Können.

Mit meinem Leben in Tunesien bin ich von Anfang an ein wenig anders umgegangen: Hier würde ich auf Dauer leben und wollte einen Ort finden, von dem aus ich aktiv handelnd dazugehören könnte. Acht Jahre lang habe ich mich als Dozentin an der Universität engagiert, habe in meiner Berufstätigkeit eine Art Brücke zur tunesischen Gesellschaft gesehen, bis zu dem Tag, als man mich an meinem Arbeitsplatz heraussetzen wollte. Zeigte dieses Ereignis nicht das Scheitern meines Bemühens um Zugehörigkeit? Ich würde die „Ausländerin“ bleiben, auch nach Jahren die erkennbar andere, deren befristeten Arbeitsvertrag man verlängern oder auch nicht verlängern kann. Aber ist diese Interpretation nicht zu einfach? Schon seit Jahren war ich unzufrieden am Arbeitsplatz, stellte mir die Frage nach dem Sinn meines Engagements; anerkannt wurde es nicht, im Gegenteil, es schien zu stören. Wollte ich denn überhaupt dazugehören? Es war noch mehr: Irgend etwas stimmte nicht, etwas Wesentliches, das ich nicht fassen konnte, fehlte. Im nachhinein scheint es mir so, daß sich in meinen wissenschaftlichen Arbeitsgebieten etwas von einer doch auch persönlich motivierten Suche andeutet: zunächst war es eine Untersuchung über das Deutschlandbild in der tunesischen Presse und über die Wahrnehmung der deutschen Geschichte und Gegenwart durch tunesische Studenten; fragte ich auf diesem Wege nicht auch: Wie sehen mich die anderen?

Dann begann ich mich mit den Veränderungen in Deutschland und Europa seit 1989 auseinanderzusetzen; ich versuche mich neu zu orientieren, lautete meine Begründung. Über diesen – zunächst theoretischen – Klärungsprozeß wandte ich mich von neuem auch meinen „deutschen“ Teilen zu. Wie oft hatte mich eine tunesische Freundin gemahnt, mich nicht von meinen Wurzeln abzuschneiden; ohne diese würde ich zerbrechlich, haltlos. Es waren und sind aber auch meine beiden heranwachsenden Töchter, ihre Fragen, Wünsche und Forderungen, denen ich wesentliche Anstöße zu einer bewußten Auseinandersetzung mit meinen eigenen Stand- und Lebensorten in zwei Kulturkreisen verdanke.

Gemeinsam mit anderen habe ich mich für die Schaffung eines Vereins der deutschen Frauen in Tunesien engagiert. Er wird getragen von dem Bewußtsein um die spezifische bikulturelle und binationale Lebenssituation, in der deutsche Frauen und ihre deutsch-tunesischen Familien im Hinblick auf Tunesien und auf Deutschland leben. Wie viele Jahre waren nötig, um hierhin zu kommen: Ich verbinde meine Suche nach einem Ort in Tunesien, an dem ich aktiv handelnd Zugehörigkeit entwickeln kann, bewußt mit meiner im deutschen und europäischen Kulturraum geprägten Identität. Und diese – so scheint es mir jedenfalls – nehme ich jetzt erst wirklich an.s

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