Deutsche Entwicklungspolitik: Der Imam als Wasserbotschafter

Minister Gerd Müller versuchte religiöse Part­ne­r*in­nen für Entwicklungsprojekte zu gewinnen. Ist das postkolonial-progressiv oder altmodisch?

Vater und sein kleiner Sohn bei der rituellen Waschung vor dem Gebet in einer Moschee

Das BMZ setzt im Kampf gegen Jordaniens Wassermangel auch auf religiöse Ak­ti­vis­t*in­nen Foto: Thomas Imo/photothek.net

BERLIN taz | Mohammad Ghanem – weiße Kopfbedeckung, Anzugjacke – steht in einer sonnendurchfluteten Halle. „In unserer Moschee wurden spezielle Wasserhähne installiert, aus denen nur wenig Wasser fließen kann“, sagt er auf Arabisch in die Kamera der deutschen Entwicklungshelfer*innen. Ghanem ist Imam der Shishani-Moschee in Amman, der Hauptstadt Jordaniens.

Obwohl das Land zwischen Israel und Saudi-Arabien nach einem Fluss benannt ist, fehlt hier Wasser. Ein starkes Bevölkerungswachstum, die wachsende Industrie sowie Hunderttausende Geflüchtete aus dem benachbarten Kriegsland Syrien lassen die Trinkwasserversorgung zunehmend prekär werden. Doch Mangel herrscht auch an Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit der Ressource.

Rund 94 Prozent der jordanischen Bevölkerung und über 90 Prozent der im Land aufgenommenen Sy­re­r*in­nen bekennen sich zum Islam. Die Religion prägt den Alltag – und könnte auch auf die Wassernutzung einwirken. „Es stimmt, dass der Einfluss auf die Menschen größer ist, wenn die Argumente durch Koranverse begründet werden“, sagt Imam Ghanem im Imagefilm des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Ghanem ist einer jener über 2.500 – auch christlichen – Geistlichen, die das BMZ nach eigenen Angaben zu „Wasserbotschaftern“ geschult hat. „Verbesserung kommunaler Wassereffizienz durch Zusammenarbeit mit religiösen Autoritäten“, heißt das Projekt, dass seit 2015 im Auftrag des Ministeriums durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt wird. „Werte, Religion und Entwicklung“ ist die Task Force im BMZ benannt, die sich um die Zusammenarbeit mit religiösen Akteure bemüht. Eine entsprechende Abteilung im bundeseigenen Unternehmen GIZ trägt den selben Titel.

Ein zunächst sehr deutscher Ansatz

Neben Pilotprojekten wie dem in Jordanien geht es auch darum, mit Publikationen und Schulungen „religious ­literacy“, also Religionskompetenz bei den Ent­wick­lungs­hel­fe­r*in­nen zu schaffen. An der Humboldt-Universität zu Berlin entstand zudem mit BMZ-Mitteln der Forschungsbereich „Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung“.

18 Millionen Euro wurden bis jetzt insgesamt für die Religionsinitiative ausgegeben, teilte das BMZ der taz auf Anfrage mit. Verglichen mit den 12,43 Milliarden Euro Bundesmitteln, die dem Ministerium allein im Jahr 2021 zur Verfügung stehen, ein kleiner Posten.

Der CSUler Gerd Müller, 2013 von Angela Merkel zum Entwicklungsminister berufen und 2018 im Amt bestätigt, hatte 2014 beschlossen, religiöse Organisationen und Persönlichkeiten stärker in die deutsche Entwicklungspolitik einzubinden. In der internationalen Zusammenarbeit stand Müller nicht allein mit dieser Idee, die Weltbank etwa beschäftigt sich schon seit Ende der 1990er Jahre mit dem Ansatz. Generell spielt in den internationalen Beziehungen seit den Anschlägen vom 11. September die „Rückkehr der Religion“ eine gewisse Rolle. Müllers Ansatz jedoch kam zunächst sehr deutsch daher.

Entwicklungspolitik müsse sich zu „den eigenen Werten“ bekennen, zitierte die Hannoversche Allgemeine Zeitung damals ein erstes internes Strategiepapier aus Müllers Haus. Und weiter: „Diese Grundüberzeugung speist sich unter anderem aus unserer christlich-jüdischen Tradition und einem christlichen Menschenbild.“

Kritik aus verschiedenen Richtungen

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Das Papier wurde verstanden als eine Anbiederung des Ministers an die damals aufstrebende Pegida-Bewegung. Dabei galt und gilt Müller in Migrationsfragen noch immer als der Good Cop der CSU – insbesondere im Vergleich zum Grobian Horst Seehofer. Wurde Müllers persönliches Bekenntnis als Christ oftmals gelobt, wenn es um seinen Einsatz für Geflüchtete oder Hungernde ging, verletzte diese Version einer „wertebasierten Entwicklungspolitik“ für manche aber die weltanschauliche Neutralität des Staates.

Als er 2016 schließlich mit einer zweiten, weit weniger identitären als instrumentellen Religionsstrategie unter dem Titel „Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit“ an die Öffentlichkeit ging, regte sich erneut Widerstand.

Auch in Müllers Ministerium selbst, wie BMZ- und GIZ-Mitarbeitende berichten. Denn in den 60 Jahren seines Bestehens war im oft wirtschaftsdominierten Entwicklungsministerium die Säkularisierungstheorie vorherrschend. Religion, so die Überzeugung, würde mit fortschreitender Modernisierung an Relevanz verlieren und bis dahin sogar ein Hemmnis für den Fortschritt darstellen.

Ähnlich kommentierte damals der Bund der Konfessionslosen und Atheisten Müllers Strategie: „Selbst wenn radikale und fundamentalistische Religionsgemeinschaften außen vor bleiben, besteht doch die Gefahr, dass tendenziell konservativ ausgerichtete Gemeinschaften von staatlicher Förderung profitieren.“

Einflussreich: Kirchliche Hilfsorganisationen

Was ist dran an solchen Vorbehalten? Wie hat sich Gerd Müllers Religionsinitiative seit ihrem Start entwickelt? Und: Was von dem Vorstoß des Ministers wird überhaupt bleiben? Schließlich will sich der Christsoziale doch nach Ablauf der Legislaturperiode aus der Politik zurückziehen.

Die Politikwissenschaftlerin Julia Leininger forscht am öffentlich finanzierten Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. „Wir haben in Deutschland große Angst, dass wir uns vom säkularen Staat verabschieden“, sagt Leininger der taz. Dabei sei Religion immer schon ein „Elefant im Raum“ gewesen. „Mit Brot für die Welt und Misereor haben wir in der Entwicklungspolitik und im parlamentarischen Raum zwei kirchliche Trägerorganisationen mit großem Einfluss.“ Rund 321 Millionen Euro erhalten die beiden kirchlichen Zentralstellen seit Jahrzehnten jährlich vom BMZ.

Leininger befürwortet die Religionsstrategie aufgrund empirischer Erhebungen. „Wir haben gerade eine Studie zu Togo abgeschlossen, die zeigt, dass religiöse Menschen sich stärker fürs Gemeinwohl einsetzen. Gleichzeitig kann Religion auch eine spaltende Komponente haben.“ Was ihr beim akteurszentrierten BMZ-Ansatz zu kurz kommt, ist die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religionen in den Partnerländern.

Staatsreligionen könnten für Entwicklungsprojekte hinderlich sein, hemmend könne aber auch die strikte Trennung nach französischem Vorbild wirken, die starke staatliche Institutionen voraussetze. Sie beobachte, wie wichtig es sei, ein kooperatives Staat-Religions-Verhältnis und Religionsfreiheit als Teil guter Regierungsführung zu fördern, sagt Leininger. „Das ist bei Verhandlungen natürlich ein heikles Thema, da es den Kern anderer politischer Systeme berührt.“

Gegenseitiges Lernen

„Müller ist der Großmeister der Public Relations“, sagt der entwicklungspolitische Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag, Uwe Kekeritz. Der Minister habe die Religionsstrategie vorgestellt „mit viel Tamtam“. Oftmals sei die Ankündigung dann aber mehr als die Umsetzung. „Wir von den Grünen fordern schon lange, dass bei der Planung von Entwicklungsprojekten sehr viel mehr die lokalen Interessengruppen eine Rolle spielen.“

Wo Leininger Akteurszentrierung sieht, kommen für Kekeritz gerade die religiösen Akteure vor Ort zu kurz. „Auf der Metaebene sich Gedanken machen, das ist richtig und wichtig, aber das ist nicht notwendigerweise ein zielführender Entwicklungsansatz.“

„Wir dürfen nicht vergessen, dass schon der Begriff Entwicklung schwierig ist“, sagt wiederum Nina van der Puije. „Im Grunde ist das eine säkularisierte Heilsgeschichte“. Die Religionswissenschaftlerin und Ethnologin vertritt in ihrer Forschung an der Universität Kassel und am oben genannten Forschungsbereich der HU einen postkolonialen Ansatz. Van der Puije, die auch als Gutachterin für Entwicklungsprojekte arbeitet, hält die Öffnung der Entwicklungszusammenarbeit hin zu alternativen Weltsichten für einen wichtigen Schritt.

Gerd Müllers „Marshallplan mit Afrika“ von 2017 sei paternalistisch gewesen. Bei der Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren dürfe es nicht um eine Instrumentalisierung gehen, die „einzig dazu dient, unsere eigenen Wertvorstellungen zu forcieren.“ Vielmehr sei ein gegenseitiges Lernen angebracht. Bei der Regulierung von Geburtenraten etwa sollten religiöse Akteure nicht einseitig davon überzeugt werden, die Raten zu drücken. „Man muss sich auch die Position des Gegenübers zumindest anhören. Vielleicht tragen in einem Kontext viele Kinder ja zum Glück bei.“

Wie Leininger und Kekeritz sieht auch van der Puije die BMZ-Strategie nach fünf Jahren noch nicht breit in der Entwicklungszusammenarbeit verankert. „Aktuell erschwert die Coronapandemie persönliche Begegnungen im Rahmen der Projekte. Diese sind gerade in dem sensiblen Themenfeld Religion erforderlich“, schreibt das BMZ der taz auf Nachfrage.

Dass das Thema über die Amtszeit Müllers hinaus bearbeitet werden wird, darin sind sich Ministerium, Opposition und Ex­per­t*in­nen jedoch einig. Dafür spricht auch, dass das Auswärtige Amt den Ansatz für sich übernommen hat und die vom BMZ ins Leben gerufene International Partnership on Religion and Sustainable Development (PaRD) weiter an staatlichen und religiösen Mitgliedsorganisationen gewinnt.

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