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Deutsche Bahn spart bei EntschädigungenFahrgäste haben das Nachsehen

Die EU-Verkehrsminister haben sich darauf geeinigt, dass Zugverspätungen in Fällen von höherer Gewalt keinen Entschädigungsgrund mehr darstellen.

Extreme Wetterlage oder malerische Winterlandschaft? Der Bahn dürfte es egal sein Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Sind Stürme oder andere extreme Wetterlagen schuld an Verspätungen bei der Bahn, müssen die zuständigen Unternehmen betroffene Reisende künftig nicht mehr entschädigen. So sehen es zumindest die EU-Verkehrsminister. Sie haben sich am Montag bei einem Treffen in Brüssel darauf geeinigt, dass Bahnunternehmen in Fällen von Verspätungen wegen höherer Gewalt, wie etwa extremer Wetterlagen, keine Entschädigungen an Reisende mehr zahlen müssen.

Die EU-Kommission hatte bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen, dass Bahnunternehmen – ähnlich wie etwa Fluggesellschaften – bei Verspätungen oder Ausfällen nicht zahlen müssen, wenn sie die dafür verantwortlichen Umstände nicht hätten vermeiden können. Der Deutschen Bahn kommt dieser Vorschlag äußerst gelegen. Denn die Entschädigungszahlungen an ihre Fahrgäste haben sich in den vergangenen fünf Jahren für den Konzern mehr als verdoppelt.

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom August hervorgeht, musste das Unternehmen 2018 infolge von Verspätungen und Zugausfällen rund 54,5 Millionen Euro an ihre Fahrgäste erstatten. 2014 waren es noch 27 Millionen Euro.

Der Entschädigungsrekord ist vor allem auf die mangelnde Pünktlichkeit im Fernverkehr zurückzuführen. 2018 kamen nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 25,1 Prozent der ICE- und IC-Züge unpünktlich am Zielbahnhof an, das heißt mit mehr als sechs Minuten Verspätung. 2017 waren noch 21,5 Prozent der Fernzüge unpünktlich. Der Anteil der Störungen durch „höhere Gewalt“ ist aber ebenfalls deutlich gestiegen. Und zwar auf 13,5 Prozent im Jahr 2018 – nach 11,4 Prozent 2017 und 9,4 Prozent 2016.

Im Europaparlament ist eine Mehrheit der Abgeordneten gegen eine solche Regelung. Vor einem Jahr hatte es eine entsprechende Reform bereits mehrheitlich zurückgewiesen. Mehr noch forderte das EU-Parlament sogar deutlich höhere Entschädigungen für Bahnreisende bei Verspätungen. Auch Verbraucherschützer kritisieren den Beschluss der EU-Verkehrsminister. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hingegen findet, es sei richtig, „einen Ausgleich zwischen den Interessen der Fahrgäste und der Eisenbahnunternehmen“ zu schaffen.

Sollte der Beschluss der EU-Verkehrsminister umgesetzt werden, dürften Bahnfahrende bei Verspätungen nur noch selten auf Entschädigungen setzen können. Denn zumindest die Deutsche Bahn zählt zur höheren Gewalt nicht nur extremes Wetter, Unfälle und Streik, sondern auch „plötzlich auftretende Fahrzeugmängel“. Bevor die Änderungen aber tatsächlich in Kraft treten können, muss es noch eine Verständigung auf eine gemeinsame Position mit dem Europaparlament geben. Und dazu wird sicherlich auch gehören, die Bezeichnung „höhere Gewalt“ zu präzisieren.

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4 Kommentare

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  • Neue Sachlichkeit. Die Bahn zahlt bisher ab einer Verspätung von 1 h - Sie zahlt zuverlässig ohne InkassoManager. HorrorVerspätungszahlen passen zwar zum Usus des Bahn-Bashings - nicht aber zur Entschädigungsregelung, da Verspätungen zwischen 6 und 59 Minuten dafür irrelevant sind.

    Wer regt sich über Stau/Fliegerverspätungen ab 6 min auf? Ja wer?

    Wer führt dazu Statistiken ? Und: Wer hat schon mal beim Fliegen oder auf der Autobahn auf Antrag tatsächlich eine Entschädigung erhalten.

    Eine Zeitung sollte sich soviel *Zeit* nehmen, bis aus den Stammtischreden ein Artikel geworden ist. Notfalls kann auch nach- und mitdenken hilfreich sein.

  • 0G
    08439 (Profil gelöscht)

    Dann wird die Bahn wohl, wie ein bekannter Billig-Carrier der Lüfte, auch im Nachhinein behaupten, sie konnten wegen Nebels das Ziel nicht ansteuern, obwohl ein jeder Passagier dieses überaus deutlich und klar vor Augen hatte.

  • Plötzlicher Tod des rollenden Materials ist für die Deutsche Bahn AG sicher nur dann keine höhere Gewalt, wenn das auch irgendwo geschrieben steht. Natürlich ist das nicht.

    Und Bahnsteige und Strecken, die man nicht von Schnee räumen kann, weil kein Personal und keine Geräte dafür vorgehalten wurden? (Die Räumgeräte übrigens, die man als Kostenverursacher in den letzten Jahren abgestellt hat, weil es ein paar Winter mit wenig Schnee gab und es in der Bilanz schöner aussieht.) Was in den 80ern den Betrieb nur erschwert hätte, ist heute bei der Bahn eine Katastrophe. Kein Wunder, wenn man das nächste Personal 30km von der Schneeverwehung hat.

    Und Bäume, die auf Gleise fallen, weil seit Jahrzehnten keine Vegetationspflege entlang der Strecken mehr betrieben wurde?

    Plötzliche Erkrankungen des Fahrpersonals? Oder, wie in den letzten Jahren gehäuft, in Stellwerken?

    Vermeidbare Streiks, weil man es drauf ankommen lassen will, und eine verfehlte Personalpolitik an den Fahrgästen ankommen lässt?

    Kreativ wie die DB AG ist, wenn es darum geht, keine Verantwortung zu übernehmen (und kreative Interpretationen der Realität vorzunehmen), werden der auch ratzfatz noch weitere Situationen einfallen, in denen sie höhere Gewalt vorschützen wollen wird.

  • Naja, höhere Entschädigungen sind angebracht. Aber bei höherer Gewalt nicht. Das ist halt ein Lebensrisiko. Natürlich ist der plötzliche Tod des rollenden Materials keine Höhere Gewalt !