Deutsch-vietnamesische Beziehungen: Scholz sucht Putin-Kritik in Hanoi
Der Kanzler umwirbt Vietnam, um deutsche Wirtschaft unabhängiger von China zu machen. Das Schicksal vom entführten Trinh Xuan Thanh bleibt unklar.
Die Sozialistische Vietnam spielt für immer mehr deutsche Industrieunternehmen eine Rolle, weil sie dort ihre Abhängigkeit von China reduzieren und ihre Lieferketten auf ein breiteres Fundament stellen wollen.
Auf der Agenda des ersten Besuchs eines deutschen Kanzlers seit Angela Merkels Reise 2011 stehen auch Klimapolitik und Energiewende. Vietnam gehört zu den Staaten, die vom globalen Klimawandel am stärksten betroffen sind, wobei ein Teil der Probleme aber auch hausgemacht ist.
Vom deutschen Entwicklungshilfeministerium bekommt Vietnam 130 Millionen Euro, zum Teil als Kredit, darunter viele Gelder für die Anpassung an den Klimawandel.
Drahtzieher von Entführung bleibt Treffen mit Scholz fern
In Vietnams Staatsmedien, die sonst gern ausführlich über Besuche ausländischer Regierungschefs berichten, steht der Scholz-Besuch im Schatten des Asean-Gipfels, auf dem Premierminister Pham Minh Chinh immerhin mit US-Präsident Joe Biden und den Regierungschefs von Kanada, Australien, Singapur und Kambodscha sprach.
Doch gab es eine pompöse Begrüßungszeremonie für Scholz vor dem Dienstsitz seines Amtskollegen durch ein Militärorchester, Blumenkinder und den Großteil der vietnamesischen Ministerriege.
Es fehlte allerdings Innenminister To Lam. Er hatte 2017 die Entführung des früheren vietnamesischen Wirtschaftsfunktionärs Trinh Xuan Thanh aus Berlin nach Hanoi in Auftrag gegeben und den Abtrünnigen dann in der slowakischen Hauptstadt Bratislava persönlich in Empfang genommen und nach Hanoi begleitet.
Aus deutschen Quellen war zu erfahren, dass die Situation des Entführungsopfers bei dem Besuch angesprochen wurde. Trinh Xuan Thanh, der in Deutschland Asyl beantragt und später auch erhalten hatte, ist in Vietnam noch immer inhaftiert.
Die Bundesregierung fordert seine Freilassung und Ausreise nach Deutschland. Bisher gibt es aber keine Signale, ob Hanoi etwa im Zusammenhang mit Scholz’ Besuch darauf eingegangen ist.
Scholz besucht Kunstgalerie in Hanoi
Auch ein Zusammentreffen von Scholz mit Menschenrechtlern gab es jetzt nicht. Hier wurden wichtige Möglichkeiten zugunsten von Wirtschaftsinteressen verschenkt. Immerhin besuchte Scholz eine Kunstgalerie in Hanoi. Vietnams Kunstszene ist bunt, modern, sehr liberal und gerät immer wieder in Konflikt mit der Zensur.
Scholz forderte von Vietnam, sich eindeutig gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu stellen. Er wünsche sich eine „klare Positionierung“ Hanois, so Scholz. „Es handelt sich bei dem russischen Angriffskrieg um einen Bruch des Völkerrechts mit gefährlicher Präzedenzwirkung. Kleine Länder können nicht mehr sicher sein vor dem Verhalten ihrer größeren, mächtigeren Nachbarn.“
Vietnam hat den russischen Angriff auf die Ukraine bisher nicht verurteilt, sondern sich in Abstimmungen der Uno enthalten. Russland ist Vietnams wichtigster Waffenlieferant und Ausbilder vieler vietnamesischer Offiziere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau