Deutsch-polnische Verständigung: Der Klotz am Bein

Vor zehn Jahren bekam die Stettiner Universität das ehemalige Bismarck-Schlösschen in Kulice geschenkt. Ein Millionengewinn, dachte man.

Als sei die Zeit stehen geblieben: das Bismarck-Schlösschen in Kulice. Bild: Gabriele Lesser

KULICE/SZCZECIN taz | An der polnischen Ostseeküste schneit es, als wolle es nie wieder aufhören. Nach einer Stunde Autofahrt von Stettin in östlicher Richtung taucht das Städtchen Nowogard (Naugard) mit einem vollkommen zugefrorenen See auf. Hier hat seit knapp 20 Jahren die deutsch-polnische Begegnungsstätte „Stiftung Europäische Akademie Külz-Kulice“ ihren Sitz.

Eine vierreihige Allee mächtiger Baumriesen führt auf das verschneite Herrenhaus zu: das „Bismarck-Schloss“, wie die meisten Polen hier sagen. In der Winterlandschaft wirken das Dorf in Westpommern, das Schloss im klassizistischen Stil und der großzügige Park, als sei die Zeit stehen geblieben.

Lisaweta von Zitzewitz öffnet die Eingangstür des Schlosses: „Witam serdecznie“, sagt sie, „herzlich willkommen“. Die gebürtige Berlinerin und studierte Slawistin lebt seit dem Wiederaufbau des Schlösschens, das in der kommunistischen Ära zu eine Ruine verkommen war, in dem 200-Einwohner-Dorf Kulice (Külz). Als Philipp von Bismarck, dessen Familie 1945 aus Pommern flüchten musste, 1995 im ehemaligen Familiensitz die Europäische Akademie eröffnete, beauftragte er Lisa von Zitzewitz damit, erste deutsch-polnische Seminare und Begegnungen zu organisieren.

„Der Rektor der Uni Stettin hat uns eine Galgenfrist eingeräumt“, kommt die Hausherrin gleich zur Sache. „Am 22. Februar muss die Akademie endgültig das Schloss verlassen.“ Bis dahin muss Frau von Zitzewitz alles zusammenpacken lassen: die ganze Bibliothek, Töpfe, Tassen und Teller aus der Großküche, das Mobiliar der Gästezimmer. Kampfeslustig setzt die Akademieleiterin hinzu: „Aber so schnell gebe ich nicht auf.“ Zwar hätten all ihre Briefe und Gesprächsangebote an Professor Wlodarczyk, den Rektor der Stettiner Universität, nichts gebracht, aber „vielleicht haben ja die Stettiner Intellektuellen mit ihren Protesten mehr Erfolg.“

Das 50 Kilometer entfernte Stettin ist bis heute von Kriegsnarben gezeichnet. 1944 bombardierte die Royal Air Force die damals noch deutsche Stadt und zerstörte sie fast vollständig. Fünf Jahre zuvor hatten die Nazis die Stettiner Juden ins 1939 besetzte Polen deportiert. Nach dem Krieg mussten fast alle Deutschen die Stadt verlassen. Nur ein paar Bauwerke wie das Schloss der Pommernkönige, die Hakenterrasse oder die Kirche Peter und Paul erinnern noch an die deutsche Vergangenheit.

Im Bewusstsein der Polen spielt sie kaum eine Rolle. Auch der Rektor der Stettiner Universität, Professor Edward Wlodarczyk, ein Spezialist für die Hansestädte im 19. Jahrhundert, erklimmt tagtäglich die Stufen des ehemaligen König-Wilhelm-Gymnasiums, um in sein Büro zu gelangen, doch auf der Uni-Website ist kein Wort über die Geschichte des repräsentativen Backsteinbaus zu lesen.

Knappe Kassen

Nach ersten kritischen Artikeln im Kurier Szczecinski und im Lokalradio ist Rektor Edward Wlodarczyk für Journalisten nicht mehr zu sprechen. Tatsächlich haben Senat und Rektor der Uni Stettin mit dem geplanten Rauswurf der renommierten Europäischen Akademie in Kulice einen Skandal ausgelöst. Viele Stettiner erinnern sich durchaus noch daran, dass vor knapp 20 Jahren die Deutschen rund 3,5 Millionen D-Mark in die Ruine investierten und das prachtvoll wiederhergestellte Schlösschen der Stettiner Universität schenkten.

Die Uni und die Stiftung Europäische Akademie in Kulice sollten das Schlösschen zu einem Ort der deutsch-polnischen Verständigung machen. Das wurde es auch dank ihrer engagierten Leiterin Lisaweta von Zitzewitz. Doch in Zeiten knapper Kassen versprechen sich Senat und Rektor nun einen Millionengewinn von dem Verkauf.

Bogdan Twardochleb, leitender Kulturredakteur des Kurier Szczecinski, ist auf den Rektor schlecht zu sprechen: „Ich war auch mal Uni-Angestellter. Inzwischen schäme ich mich fast dafür.“ Er senkt den Kopf: „Denn es ist einfach so: Die Stettiner Universität hat weder ein Willy-Brandt-Zentrum auf die Beine gestellt wie die Uni Breslau noch die Viadrina-Idee verfolgt wie die Uni in Frankfurt (Oder) oder eine eigene Vision von einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit entwickelt.“

Er sucht die Artikel zusammen, die bislang im Stettiner Kurier über den geplanten Verkauf des Bismarck-Schlösschens erschienen sind. „Jetzt verliert Stettin auch noch die Akademie in Kulice/Külz. Das ist für die Region ein großer Verlust.“ Die anderen in der Runde, ein halbes Dutzend Stettiner Journalisten, Künstler und Historiker, nicken. Von Zitzewitz hatte wichtige Intellektuelle aus ganz Europa nach Kulice/Külz geholt und Impulse für viele Diskussionen gegeben.

Die Universität in Stettin hingegen genießt nicht unbedingt den besten Ruf. Obwohl sie mit rund 32.000 Studenten zu den größten des Landes gehört, belegt sie im jährlichen Uni-Ranking nur Rang 48 von insgesamt 88 Plätzen. Damit liegt sie weit abgeschlagen von den führenden Universitäten des Landes in Krakau, Warschau, Posen und Breslau.

Twardochleb deutet auf eine lange Stellungnahme des Rektors im Stettiner Kurier. Die Universität sei das Schlossgeschenk teuer zu stehen gekommen, schreibt dort Professor Wlodarczyk. In den letzten zehn Jahren habe die Stettiner Universität umgerechnet bis zu 750.000 Euro an öffentlichen Geldern zuzahlen müssen, allein schon wegen der als notwendig erachteten Neueinstellung eines Schlossverwalters, eines vom Rektor bestellten Schlossbevollmächtigten sowie mehrerer Sekretärinnen. Dazu seien die üblichen Unterhaltskosten für Schloss und Park gekommen. Trotz der wissenschaftlichen und zum Teil auch kommerziellen Veranstaltungen der Universität in Kulice sei die Bilanz negativ. Kulturredakteur Twardochleb schüttelt den Kopf und sagt: „Es ist hier natürlich zu fragen, ob das Rektoratsgebäude mehr Gewinn abwirft als das Schlösschen, oder ob es sich hier um einen Fall von Misswirtschaft handelt.“

Keine Veranstaltung

Dem Stettiner Radiojournalisten Zbigniew Plesner hatte Wlodarczyk zu Beginn des Skandals noch ein langes Interview gegeben. Der Journalist, der mit den anderen in der Runde beratschlagt, ob die Akademie noch zu retten ist, hat das Interview auf CD dabei. „Achtung“, sagt er und drückt die Taste, Wlodarczyks Stimme ist zu hören: „Im Grunde genommen haben in Kulice keinerlei Veranstaltungen stattgefunden, die sich aus den Universitätsstatuten ergeben hätten. […] Für die Universität war Kulice von Anfang an ein Klotz am Bein.“

Zurück in Kulice, zeigt Lisaweta von Zitzewitz das Haus – 17 eher spartanisch eingerichtete Doppelzimmer, zwei Konferenzsäle mit Übersetzerkabine, den Salon und die sogenannte Orangerie mit Palmen und den großen Fenstern, die einen herrlichen Blick auf den verschneiten Garten und die lange Allee freigeben. „Dort, wo zu kommunistischen Zeiten der Schweinestall der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft stand, könnte die Uni ein Gästehaus bauen“, erklärt sie. Das würde das Schloss rentabler machen, weil viele Seminarteilnehmer ins Hotel gehen mussten. Einnahmen, die der Akademie und damit der Uni bislang entgingen.

Von Zitzewitz streicht die schulterlangen blonden Haare zurück und deutet durchs Fenster auf den schneeverwehten Platz neben den anderen Wirtschaftsgebäuden: „Die Akademie hatte sogar schon eine Baugenehmigung für das Gästehaus und die Finanzierungszusage der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.“ Doch die Universität als Eigentümerin des Schlosses hätte einen gemeinsamen Nutzungsvertrag mit der Akademie unterzeichnen müssen. „Das wollte der damalige Rektor nicht, und so ist der Millionenbetrag für das Gästehaus verfallen.“ Fröstelnd zieht sie den roten Schal über die Schultern. „Und jetzt beklagt sich der Rektor, dass die gut funktionierende Akademie im Schloss für die Universität nicht genug Gewinn abwirft.“

Eine Palme zum Einzug

Am nächsten Morgen beugt sich die Hausherrin über einen Palmstumpf in der Orangerie des Bismarck-Schlösschens. „Das ist nun sehr symbolisch“, sagt sie. „Die Palme muss in den letzten Tagen eingegangen sein. Wir hatten sie zum Einzug geschenkt bekommen.“ Wie zum Abschied liest sie das Schild vor, auf dem in deutscher und polnischer Sprache steht: „70 Jahre alte Palme aus Schlawe, gestiftet von Janina und Jan Kraszewski aus Warschau, im November 1996“. Sie streicht über die letzten, inzwischen braunen Palmwedel. „17 Jahre hat sie es mit uns hier ausgehalten.“

Der Abschied von Kulice wird Lisaweta von Zitzewitz schwer fallen. Sycewice (Zitzewitz), der alte Familienstammsitz ihrer Familie, liegt zwischen Slawno (Schlawe) und Slupsk (Stolp). „Ich habe den Abschiedsschmerz nie so gefühlt wie mein Vater und dessen Familie“, erzählt sie. „Ich bin ja in Berlin geboren. Aber inzwischen ist Pomorze – Pommern – auch meine Heimat geworden.“

Philipp von Bismarck, den letzten Eigentümer des Schlösschens, der sich im Krieg dem militärischen Widerstand um Henning von Tresckow angeschlossen hatte, lernte sie in der Ostsee-Akademie von Travemünde nahe Lübeck kennen. Obwohl von Bismarck Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft war, lehnte er die neue Ostpolitik Willy Brandts nicht ab, sondern setzte sich für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ein.

Sein Traum war es, das Haus der von Bismarcks künftig der deutsch-polnischen Verständigung dienen zu lassen. Ist es damit nun vorbei? Lisaweta von Zitzewitz schüttelt den Kopf: „Noch habe ich einen Funken Hoffnung – aber der Rektor hat das Recht auf seiner Seite.“ Laut Vertrag darf dieser der Akademie kündigen und das Schloss an den Meistbietenden verkaufen. Oder – wenn es keinen Käufer gibt – das Gebäude wieder verfallen lassen. Das wäre dann das traurige Ende einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit.

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